Annette Schröter: Selbstbildnis - im Kunstverein Rüsselsheim

Annette Schröter gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Leipziger Schule und hat in den vergangenen 20 Jahren den Papierschnitt revolutioniert. Den kennen wir als Form der Illustration oder der Volkskunst, den Schattenriss oder abstrakte Ornamente aus zumeist schwarzem Papier. Schröter hat 2002 begonnen in Papier zu schneiden, allerdings mit Cutter und Skalpell statt der Schere - und hat so Strukturen entwickelt, in teilweise spektakulärer Ornamentik, mit feinsten Durchbrüchen und Durchsichten und einem verblüffenden Wechsle von schwarzen und weißen Flächen, die zu entdecken eine wahre Herausforderung für das Auge ist. Die Kunstwerke, die im Kunstverein Rüsselsheim zu sehen sind, stammen zum größten Teil aus den letzten vier Jahren, sind also alle ziemlich aktuell. Sie vermitteln den Eindruck, als würde sich die Technik unter den Händen von Annette Schröter regelrecht verselbstständigen. Eine eindrucksvolle Schau.

Wie groß werden ihre Arbeiten?

Die kleinsten sind etwa DIN A4 groß, die größten wandfüllend. Diese sind aus gewaltigen Papierbögen gestaltet, bis zu 1,5 Meter breit und teilweise bis zu 2 Meter hoch. Diese großen Arbeiten hängen ungerahmt an der Wand, nur mit feinen Nadeln festgepinnt. Das passt sehr gut in die Ausstellungsräume des Kunstvereins, denn dieser residiert im Untergeschoß der Festung Rüsselsheim. Also in einem Bau aus der frühen Neuzeit, mit dicken Säulen und einem Tonnengewölbe. Sehr schön, aber auch schwer mit Kunstwerken zu bespielen. Die großen Wandarbeiten von Anette Schröter aber sind nicht rechteckig, sondern zeigen z.B. zwei große Figuren, die an Schneewittchen mit einem Zwerg denken lassen, einmal beinahe volkstümlich und einmal wie als Schattenriss an eine Mauer gesprüht. Der Papierschnitt zeigt die Ziegelsteine, die mit Graffiti übersät sind. Die zweite wandfüllende Arbeit, auch in einem Säulenbogen gehängt, zeigt eine große Landschaft, in die eine Schrebergartensiedlung eingebettet ist, die wie ein Traum aus einer Märchenerzählung erscheint.

Es gibt in der Kunst von Anette Schröter Elemente, die auf traditionelles anspielen, wie Märchenfiguren und Elemente, die ganz der Gegenwart verhaftet sind?

Es gibt sehr viel Gegenwärtiges in ihrem Werk, Stadtbeobachtungen, brutalistische Architektur, Zäune, Tore, deren Gittermuster sehr abstrakt wirken, Hochspannungsleitungen. Dazu kommen Chiffren, die für das heimelige stehen, Einfamilienhäuser, Spitzendeckchen, Volkskunst. Allerdings wohnt diesem Stücken immer das Element des Unheimlichen inne. Rotes Licht, überwucherndes Unterholz, viel Schwarz. Licht und Gegenlicht spielt eine große Rolle, Laternen, Mond, Nacht. Überall ist etwas "Nicht-fassbares", "Sich-entziehendes", Irritierendes dabei.

Damit gibt sie dem Scherenschnitt tatsächlich eine neue Dimension?

Ich finde ja. Annette Schröter experimentiert und spielt mit ihrem Medium und mit den Elementen des Durchblickens, den Blick versperren, verschiedene Ebenen vor- und hintereinander schieben. So baut sie zweite Ebenen in ihre Arbeiten ein, milchige Scheiben, durch die man wie durch Nebel sieht, Tapetenelemente, Schattenwürfe. Wenn sie die Schnitte direkt auf die Wand pinnt, entstehen reale Schatten, die eine reale Räumlichkeit hinter den planen Flächen entstehen lassen. Dabei sind die Formen und Leerstellen, die sie schneidet, von einer beeindruckenden Präzision und handwerklichen Meisterschaft. Die Kunstwerke, die im Kunstverein Rüsselsheim zu sehen sind, stammen zum größten Teil aus den letzten vier Jahren, sind also alle ziemlich aktuell. Sie vermitteln den Eindruck, als würde sich die Technik unter den Händen von Annette Schröter regelrecht verselbstständigen. Eine eindrucksvolle Schau.

Annette Schröter
"Von Menschen und Mustern"
Kunstverein Rüsselsheim
Im Stadt- und Industriemuseum (Festung)
bis Februar 2025

Sendung: hr2-kultur, 20.11.2024, 7:30 Uhr