Audio Hohe Kunst von Immigranten: Hier-Sein und Nicht-Dort-Sein
"There is no there there" (Es gibt kein dort dort). Gertrude Steins Zitat ist der Titel der neuen Ausstellung des MMK in Frankfurt. Das Haus widmet sich einem Phänomen, das bisher von der Kunstwissenschaft weitgehend übersehen wurde: Welche Spuren haben die zahlreichen Künstlerinnen und Künstler, die als Einwanderer nach Deutschland kamen, in der Kunstwelt hinterlassen?
Ist das die erste Ausstellung, die sich diesem Thema widmet?
Nicht ganz, das Thema „Leben in der Fremde“ wurde schon verschiedentlich von Museen aufgegriffen, aber noch nicht in dieser Breite. Sogenannte „Gastarbeiter“ gab es sowohl in der DDR als auch in der BRD. Und welche Rolle diese in der Kunst und Kultur spielten, wird seit einigen Jahren auch untersucht, jedenfalls in der Musik. Da gab es schon vor 10 Jahren das erste Album „Songs of Gastarbeiter“, das eine Sammlung von Liedern früher Arbeitsmigrant:innen in Deutschland vorstellt. Aber die Bildende Künstlerinnen und Künstler, die ab den 60er bis 80er Jahren in die BRD und die DDR kamen, sind bis heute in der jüngeren Kunstgeschichtsschreibung nahezu komplett unterrepräsentiert. Das ist genau der Ansatz des MMK, diesen Kunstwerken auf die Spur zu kommen.
Das ist ja eine große Gruppe an Menschen - welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bringt die neue Ausstellung am Frankfurter Museum für Moderne Kunst den zutage?
Zu sehen sind Arbeiten von Künstlern, die bis in die Achtzigerjahre hinein nach Deutschland kamen. Manche als Gastarbeiter, aus Italien, Spanien oder der Türkei. Andere als Flüchtlinge, z.B. Menschen aus dem Iran oder aus Chile. Manche als ausländische Werktätige, die von ihren Heimatländern in die DDR „ausgeliehen“ wurden. Viele kamen aber auch mit Kunst-Stipendien nach Deutschland. Entsprechend verschieden ist auch die künstlerische Perspektive. Drago Trumbetaš kam 1966 aus dem ehemaligen Jugoslawien als sogenannter Gastarbeiter nach Frankfurt: Er arbeitete als Bügler, Packer und später als Setzer bei der Frankfurter Rundschau. Trumbetaš hat präzise Alltagsbeobachtungen in Frankfurt mit Tusche und Feder gezeichnet. Hart, scharf, zugespitzt. Vom Fixertod in der U-Bahn, über deutschen Bürokratiewahnsinn bis hin zur alltäglichen Ausländerfeindlichkeit. Der kurdische Maler Riza Topal dagegen hat Bilder von einer märchenhaften Schönheit geschaffen, die wie traumwandlerische Erzählungen aus seiner Heimat anmuten. Ziegenhirten, Frauen und Mädchen in Tracht, Gärten und Familien.
Gliedert die Ausstellung denn diese Fülle an Material?
Nein gar nicht und das ist sehr schade. Das ganze Haus ist bespielt, so wie in den letzten Ausstellungen der Direktorin Susanne Pfeffer auch. Alle drei Stockwerke, über 350 Arbeiten. Das ist eine Fülle, die man bei einem Besuch kaum bewältigen kann. Teilweise wirkt die Hängung etwas aneinandergereiht. Die 30 Künstlern sind zwischen 1930 und 1965 geboren, gehören also verschiedenen Genrationen an. Aber es gibt keine Wandtexte, die Hintergründe, Biografie oder Lebenswege vermitteln würden. Keine Einordnung der Arbeiten in ein Zeitgeschehen, keine Gliederung der verschiedenen künstlerischen Perspektiven, keinen Katalog, nur ein schmales Faltheftchen mit Kurztexten und ohne Abbildungen. Das hat mich total gestört. Ich habe mich wirklich stellenweise gefragt, für wen Susanne Pfeffer diese Ausstellung gemacht hat, für sich selbst, für die Künstler, oder für die Besucher? Diese werden jedenfalls mit den Werken ziemlich alleine gelassen. Dass der oberste Stock den Künstlern vorbehalten ist, die in der damaligen DDR gelebt haben, muss man sich selbst erschließen, es gibt keinen Hinweis darauf. Das kann zwar auch ein kuratorisches Konzept sein, aber ich empfinde es als vertane Chance.
Was waren für Sie die Highlights?
Die Werke. Großartige Kunst. Portraits und Familienbilder, das Leben der „Gastarbeiter“ in Deutschland. Die Bedeutung eines türkischen Radiosenders, das Entwurzelt-sein, das Ankommen im fremden Land. Aber auch Szenen der Diktatur in Spanien oder Chile, Zeitgeschichte, Bilder, die Erinnerungen an Heimat festhalten, poetische Naturimpressionen, riesenhafte Masken und große frei im Raum hängende Stoffbilder. Malerei, Skulptur, Fotografie, Filme, Druckgrafische Werke, plastische Arbeiten, Wandteppiche. Das MMK zeigt eine ungeheure Fülle an Kunst, von teilweise hoher und höchster Qualität. Die Ausstellung würdigt Künstler, die bis jetzt allzumeist übersehen wurden. Aber es wäre schön gewesen, nicht nur die Kunst selbst ernst zu nehmen, sondern auch die Frage, wie man sie in einer Ausstellung präsentiert. Und vielleicht wäre auch einmal weniger etwas mehr.
Das Foto (MMK/Axel Schneider) zeigt von Serpil Yeter "Am Fenster, 1986", courtesy of the artist
Sendung: hr2-kultur, 16.4.2024, 7:30 Uhr