Bianca Andrew (Mezzosopran) und Anne Larlee (Klavier)

Die Mezzosopranistin Bianca Andrew, Mitglied des Ensembles der Oper Frankfurt, hat zusammen mit der Pianistin Anne Larlee einen Liederabend im Frankfurter Opernhaus gegeben, ein sehr besonderer Abend, ein Abend mit Liedern über Frauen - aber nicht die üblichen Lieder der Klassik, in denen Frauen aus männlicher Sicht beschrieben werden. Lieder, die Gefühle von Frauen, das Gefühl von Weiblichkeit selbst, besondere weibliche Erfahrungen in verschiedenen Lebensaltern einer Frau, ausdrücken. Jeder Ton ist eine Umarmung.

Was ist das für ein Programm?

Dieses Programm hat eine Idee: es ist ein Narrativ, das von Weiblichkeit erzählt, von weiblicher Erfahrung – und zwar in verschiedenen Lebensaltern einer Frau. Bianca Andrew hat sich inspirieren lassen durch die Rolle der Aurelia aus der Oper "Blühen" von Vito Zuraj, die sie in Frankfurt gesungen hat: da geht es um eine Frau in der Menopause.

Hier in diesem Liederabend nun hat sie Lieder zusammengestellt, die Gefühle von Frauen, das Gefühl von Weiblichkeit selbst, besondere weibliche Erfahrungen in verschiedenen Lebensaltern einer Frau ausdrücken. Sie macht sechs Lebensalter einer Frau aus und hat für jedes Lieder gesammelt: egal aus welcher Epoche, egal aus welcher Kultur und von welchem Komponisten.

Das geht von der Geburt über die Kindheit, über das Werden zu einem Mädchen, das in der Pubertät seine Sexualität und Attraktivität entdeckt, bis hin zum Frausein mit den Themen Mutterschaft, Emanzipation, Langeweile in der Ehe und schließlich erzählt sie auch vom letzten Lebensabschnitt, der von Weisheit und Abschiednahme und von der Sehnsucht nach Verbundenheit mit der Natur erzählt.

 Was ist das für ein Narrativ, ein prototypisches, ein idealtypisches? 

Dieses Narrativ von Weiblichkeit ist eben kein idealtypisches wie es das romantische Kunstlied von Schumann, Schubert, Brahms entwirft: da ist nicht die Rede von schönen Jungfrauen, die in Liebe schwelgen, von Mädchen, die hüpfen – sondern von Gefühlen, Befindlichkeiten, Eindrücken IMMER aus weiblicher Perspektive.

Es ist auch kein prototypisches, sondern ich würde sagen: es ist eine sehr realistische, ehrliche Reise durch die Weiblichkeit von heute – mit extrem interessanten Aspekten von Frausein. Wir hören Musik von Komponistinnen und Komponisten, die sonst hier in Deutschland eher selten auf einem Konzertprogramm stehen: Jake Heggie, Jenny McLeod, Josie Burdon oder Claire Cowan, Dorothee Freed.

Natürlich hören wir auch Lieder von Namen wie Charles Ives, Carl Loewe, Francis Poulenc, Hugo Wolf, Claude Debussy, aber Bianca Andrew hat inhaltlich den Schwerpunkt Kompositionen aus ihrem Herkunftsland Neuseeland gelegt.

Das Werk, das auf mich den stärksten Eindruck gemacht und mich mit am meisten berührt hat, ist ein Song von Josie Burdon: "When I first asked for my Whakapapa". Das Lied erzählt von einer neuseeländischen Frau, die hin-und hergerissen ist in Fragen ihrer Herkunft. Sie fragt nach ihren weiblichen Vorfahren der Maori-Abstammung und zugleich analysiert sie ihre europäische Abstammung. Sie fragt nach den Namen ihrer Väter und Mütter und kommt zu resignierender Erkenntnis.

Wie hat der Abend geklungen? 

Fantastisch! Wie aus einem Guss: Bianca Andrew und die Pianistin Anna Larlee haben eine einzige große Erzählung aus den über 30 Liedern gemacht. Keine Revue, sondern ein großes Bild gezeichnet über Weiblichkeit heute.

Bianca Andrew hat eine Stimme, die mich extrem berührt: weil sie Wörter komplett in Klang umformen kann, so: dass selbst Konsonanten klingen und man alles verstehen kann. Hier hat sie das in Englisch, Deutsch, Französisch und Maori gezeigt.

Sie ist technisch so brillant, dass sie ihre Stimme IMMER ohne Kontrolle hat: jedes Forte, jedes abrupte Piano kommt ganz weich immer auf den Atem gesetzt.

Nie merkt man eine Anstrengung. Sie singt viele Lieder sehr sanft und zärtlich mit so genannter mezza voce: das ist halbe Stimme. Mezza voce ist ganz hohe Kunst. Alles wirkt so natürlich und echt vom Gefühl. Jeder Ton, so habe ich mir ins Programmheft geschrieben, ist eine Umarmung. Anne Larlee ist eine perfekte Partnerin für Bianca Andrew: sie bereitet ihr schon mit ganz wenigen Klängen am Klavier jeweils eine ganze Welt. Ihr Spiel ist eher dezent, sehr elegant, aber atmosphärisch extrem dicht und auf den Punkt: man spürt bereits nach ein, zwei Takten, welche emotionalen Panoramen sie aufzieht.

Der Abend ist insgesamt kontemplativ, aber seine Dramaturgie baut doch auf Kontraste: da wechselt sich ein plappernder Mozart mit einem sehr weichen Debussy. Da werden wir mit dem Song Toothbrush Time von William Bolcom geradezu reportagig konkret in Welt einer Frau geworfen, die ihren Liebhaber gerade mal nicht mehr riechen kann.

Fazit: Großartig, oder?

Ich würde diesen Abend so auf Platte bringen. Ich würde damit auf Tournee gehen. Er ist ehrlich. Macht eine neue Welt auf. Er ist nicht nur für Frauen. Er berührt über alle Massen hinweg. Er ist im besten Sinne das, was ein Liederabend heute sein kann.

Unser Foto von Barbara Aumüller zeigt Bianca Andrew (Mezzosopran) und Anne Larlee (Klavier) während des besprochenen Liederabends.

Sendung: hr2-kultur, 11.9.24, 7:31 Uhr