"Katja Kabanowa" am Staatstheater mit Don Lee (Savël Prokofjevič Dikój) und Ulrike Schneider (Kabanicha)

Man könnte denken, da gäbe es eine geheime Absprache: Die hessischen Musiktheaterbühnen starten nämlich durchweg mit modernen oder zumindest moderneren Werken in die neue Spielzeit – gestern berichteten wir an dieser Stelle über Henzes "Der Prinz von Homburg" an der Oper Frankfurt. Und bevor in Bälde Ligeti in Wiesbaden, Zimmermann in Darmstadt und Cage in Gießen folgen, blicken wir heute ans Staatstheater Kassel. Dort hatte am Samstag "Katja Kabanowa" von Leoš Janáček Premiere. Mit dem Uraufführungsdatum 1921 ist sie in diesem Premierenreigen der „Klassiker der Moderne“ – und Stephan Hübner hat sich die Vorstellung am Samstagabend angesehen.

Hat sich die Reise nach Kassel gelohnt?

Sie hat sich gelohnt – denn das Staatstheater bringt diese Oper in einer Art und Weise auf die Bühne, die einem den Zugang zu diesem Stück eigentlich recht leicht macht. Und das ist sicherlich nicht schlecht, denn obwohl Janáček ja inzwischen eigentlich schon zu den „Klassiker“ gehört, obwohl schon diverse seiner Werke in Kassel über die Bühne gegangen sind, und obwohl „Katja Kabanowa“ eine seiner bekanntesten Opern ist, war das Kassler Opernhaus an diesem Abend doch eher luftig besetzt. Da hilft es also sicher, Barrieren abzubauen und mit einer qualitativ guten Aufführung zu punkten.

Worum geht es?

Wir sind hier im Bereich der Literaturoper. Janáček hat das Schauspiel "Gewitter" des russischen Dichters Aleksander Ostrowskij vertont. Und da geht es um eine junge Frau, Katja, die sich nach echter, leidenschaftlicher Liebe sehnt. Soe steckt aber in einer Zweckehe fest, die im Prinzip vor allem dazu dient, das Überleben einer traditionsverhafteten Kaufmannsfamilie zu sichern, Und als ihr Mann Tichon dann von seiner Mutter Marfa, genannt Kabanicha, auf eine Reise geschickt wird, nutzt Katja die Gelegenheit und bandelt mit einem anderen Mann an. Was am Ende, nach Tichons Rückkehr, so große Schuldgefühle in ihr auslöst, dass sie sich in der Wolga ertränkt.


Also eine sehr traurige Geschichte, der das Staatstheater Kassel aber dennoch wohl attraktive Seiten abzugewinnen weiß...?

Auf jeden Fall. Und bei mir haben sich da vor allem drei Facetten dieses Abends im Gedächtnis festgesetzt. Das eine war das Orchester unter der Leitung des deutschen Dirigenten Moritz Gnann. Für mein Empfinden hätte die Musik zwar an einigen Stellen noch dramatisch etwas zugespitzter sein können. Im letzten der drei Akte etwa, bevor Katja den Freitod beschließt – da hatte die Personenführungen so einen leichten Durchhänger, den auch das Orchester nicht ganz auffangen konnte – aber was soll’s: Insgesamt war es sehr erfreulich, was da für ein Janáček-Sound aus dem Graben kam.

Welche Facetten sind noch hängengeblieben?

Bühnenbild und Stimmen. Gesungen wurde in tschechischer Originalsprache, und ich möchte hier drei Damen stellvertretend herauspicken, die den Abend besonders bereicherten. Als erstes die norwegische Sopranistin Margrethe Fredheim als Katja Kabanowa. Sie ist Ensemblemitglied in Kassel und gestaltete die Rolle souverän und glaubwürdig, wurde teils vielleicht von der Regie etwas alleine gelassen – aber sie bleibt ebenso in Erinnerung wie die Kabanicha von Ulrike Schneider. Die legte ihre Rolle mal nicht nur als keifenden, unterdrückenden Witwen-Drachen an. Sondern da war eine Kabanicha mit Verletztlichkeit und eigenen Bedürfnissen, die nur bedingt aus ihrer Haut kann – etwa wenn ihre Begegnung mit dem Kaufmann Dikoj zu einer halbnackten Liebesszene auf dem Balkon auswartet. Und drittens, in ihrer jugendlich-kecken Art einfach hinreißend: die kroatische Mezzosopranistin Ena Pongrac, Gast vom Theater Basel, als Varvara, die Pflegtochter im Hause Kabanow, die am Ende eigentlich als einzige das Liebesglück findet.

Die Damen punkteten also stimmlich besonders - und offenbar auch das Bühnenbild. Inwiefern das?

Insofern als ich lange nicht mehr ein so detailverliebtes Opern-Bühnenbild gesehen habe, wie das, was Anton von Bredow da für die Kasseler Drehbühne entworfen hat. Es ist eine Mischung aus Kleingarten- und Freizeitanlage. Vorne der maschendrahtumzäunte Garten der Kabanows mit Gartenhütte, Gartenteich und einem ramponierten Kinder-Spielhaus. Das Haus der Kabanows ist in einen Felsen gebaut – eine Extravaganz, die für Reichtum ebenso wie für eine soziale Verpanzerung spricht. Dahinter ein Sportplatz mit Weitsprungbahn. Und wenn sich die Bühne dann Ende des zweiten, Anfang des dritten Aktes das einzige Mal dreht – im Kontext der Gewitterszene, die das Ehebruchs-Geständnis Katjas einläutet, sieht man noch viel, viel mehr Details und tolle Einfälle, sodass es eigentlich ziemlich schade ist, dass in den anderthalb Stunden Spieldauer nicht noch mehr aus diesem Set geholt wurde. Den Namen Anton von Bredow muss man sich aber merken, finde ich.

Trifft das auch für die Regisseurin Christiane Pohle zu, die das Stück im Bühnenbild von Bredows und in den Kostümen von Regine Standfuss inszeniert hat?

Dier Inszenierung ist sehr naturalistisch, dicht am Libretto, ich hatte es schon angedeutet – und ich hörte nach der Vorstellung sich auch von diversen Zuschauerinnen und Zuschauern, dass man das sehr genossen habe, dass das Stück so unverfälscht auf die Bühne gebracht worden sei. Entsprechend groß war der Applaus, und die Zustimmung für das Kreativteam war 97-%ig – wenngleich es auch ein paar Details gab, auf man meines Erachtens auch hätte verzichten können. Ein Double des Komponisten etwa flanierte immer wieder durch die Szenerie, wohl eine Erinnerung daran, dass Janáček selbst in einer unglücklichen ehe gefangen war. Und dann war da auch noch die unaufhörlich trainierende Weitspringerin, die sich beim entscheidenden Sprung verletzte: wohl ein Spiegelbild des nicht gelungenen Ausbruchs der Katja. Kann man machen, muss man nicht machen, ändert aber nichts daran, dass es sich für diese Produktion von "Katja Kabanowa" lohnt, in Kassel in die Oper zu gehen.

Sendung: hr2-kultur, 24.9.2024, 7:30 Uhr