Leaks am Schauspiel Frankfurt

Wie wehrhaft ist unsere Demokratie? Und wie verlässlich sind ihre Sicherheitsbehörden? Diese Fragen stellten sich in den letzten Jahren immer häufiger – bei der verschleppten Aufklärung der Verbrechen des NSU beispielsweise. In den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt beleuchtet nun Regisseur Nuran David Calis den rechtsradikalen Terror und seine Verbindungen in staatliche Institutionen. "Leaks. Von Mölln bis Hanau" heißt sein Stück. Wie nimmt sich der Regisseur und Autor dieses Themas an?

Nuran David Calis möchte rechtsradikale Kontinuitäten nicht nur in der deutschen Zivilgesellschaft, sondern vor allem auch in staatlichen Institutionen nachweisen. Seit dem Zweiten Weltkrieg, bis heute. Er macht das aber nicht in Form eines Dokumentartheaterstücks, sondern in Form einer Satireshow nach Vorbild Late-Night-Shows wie der "Heute Show" und des "ZDF Magazins Royale". Damit möchte er, so steht es im Programmheft, die Rechtsradikalen mit Humor entwaffnen, mit Mitteln der Satire ins Lächerliche zu ziehen.

Das klingt nach einer künstlerisch interessanten, auch überraschenden Entscheidung. Wie können wir uns diese Satire konkret vorstellen?

Die Bühne von "Leaks. Von Mölln bis Hanau" ähnelt einem Fernsehstudio. Es gibt kleine Showbühnen im Hintergrund, ein Keyboard für Live-Musik goldene Vorhängen für Auf- und Abtritte und diverse Projektionsflächen für Videoeinspielungen. Durch den Abend führt uns aber kein mehr oder minder charismatischer Gastgeber, sondern eine Gruppe aus vier Clowns.

Unter ihnen Schauspieler Wolfgang Vogler, der uns anfangs als aufgekratzer Showmaster verspricht, "Leaks" sei eine Enhüllungsshow, an deren Ende wir, das Publikum, nicht mehr sagen könnten, wir hätten von nichts gewusst. Enthüllt werden sollen die bereits genannten Verbindungslinien, die Alt-Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg in mächtige Institutionen gelangten, wie beispielsweise in Verfassungsschutz, der die junge Bundesrepublik ja eigentlich gerade vor den Rechten schützen sollte.

Und wie gelangen Nuran David Calis und sein Team dann von den Nachkriegsjahren bis in die Gegenwart? Was verbindet das Adenauer-Deutschland mit rechtsradikalen Straftaten wie Tobias Rathjens Morden in Hanau im Jahr 2020?

Die Reise durch die Zeit ist eher sprunghaft und assoziativ: Die Clowns erzählen einerseits mit Hilfe von teilweise KI-generierten Videos, wie im Kalten Krieg die Gefahr durch den Kommunismus außerhalb immer als bedrohlicher eingeschätzt wurde als die Gefahr durch rechte Netzwerke innerhalb und rechter Terror auch vom Verfassungsschutz heruntergespielt wurde.

Dabei springen sie eben ziemlich abrupt durch die Zeit, Wehrsportgruppe Hoffmann, Baseballschlägerjahre, Mölln, Solingen. Viele historische Ereignisse werden nur angetippt, in Stichworten - und rechnet mit Vorwissen beim Publikum. Hat es das wirklich? Ist dies immer der Fall?

Außerdem schlüpfen die vier Spieler:innen, der bereits genannte Vogler, Katharina Linder, Christoph Bornmüller und Viktoria Miknevich immer wieder in die Rolle von Altnazis, die als Strippenzieher im Hintergrund mit durch die Jahrzehnte springen, staatliche Institutionen unterwandern und ihre Netzwerke so lange ausbauen, bis diese sich verselbständigen und ihrer Kontrolle entziehen. In diesen Szenen werden Rechtsradikale karikiert oder persifliert. Wenig lustig im Wortsinn.

Ist die Idee also nicht überzeugend, Aufklärung über rechte Umtriebe in Form einer Satire-Show zu leisten?

Das stimmt, ich bin mit dem Abend nicht warm geworden. Einerseits inhaltlich eben sehr voraussetzungsreich, im historischen Abriss mit schnelle Wechseln zwischen Schauplätzen und Protagonist:innen, kommt man im Publikum kaum mit. Zudem wird Form der Satire-Show im Theater auch nicht konsequent entwickelt. Denn in TV-Shows ist die Gastgeber:innen-Figur zentral, markenbildend, schafft aber auch Vertrauen bei Publikum. Bei Calis aber sind die Clowns durch ihre weiß geschminkten Gesichter anonym, sie haben auch keinen Namen, sie stellen sich nicht vor.

Wir wissen überhaupt nicht, mit wem wir es zu tun haben und wer uns diese heftigen Geschichten erzählt. Das ist so politisch brisanten Thema wirklich ein Problem, dass buchstäblich niemand sein Gesicht hinhält für das Erzählte, lässt uns ziemlich allein mit diesen Erkenntnissen, mit dieser "Enthüllungs-Show".

Es gab ja zu genau diesen Themenkomplexen, zum NSU, zu den Morden von Hanau, zum NSU 2.0 sehr gute künstlerische Projekte hier in Frankfurt, etwa Marie Schwesinger „Werwolfkommandos“, Forensic Architecture FKV - aber dieses „Leaks“ zählt nicht dazu.

Lesen Sie hier ein Interview mit dem Regisseur von "Leaks. Von Mölln bis Hanau", Nuran David Calis: "Wir müssen die Rechten ärgern"

Sendung: hr2-kultur, 20.12.24, 7:30 Uhr