Rineke Dijxtra: Jalta, Ukraine, aus: Beach Portraits - im Städel

Dass diese Bilder von unbekannten Menschen, die die niederländische Künstlerin vor 30Jahren an Stränden in aller Welt mit einer Großformat-Kamera gemacht hat, gerade jetzt in Frankfurts wichtigstem Museum der Bildenden Künste zu sehen sind, ist bestimmt kein Zufall: Hängen doch im selben Haus zur Zeit Öl-Portraits der Bürger von Amsterdam aus dem 17. Jahrhundert. Rineke Dijkstras Ikonen der Fotografiegeschichte zeigen Badende in ihrer Unschuld, kein Lächeln, keine Posen. Das sind reduzierte Bilder wie Gemälde, die heute so nicht mehr realisiert werden könnten. Also auch ein Blick in die Vergangenheit, auf junge Menschen, die längst anders und erwachsen sind.

Was ist genau zu sehen?

Man sieht einen oder mehrere Protagonisten vor der Kamera stehen, fast alle sind Kinder oder Jugendliche. Hinter ihnen das Meer, der Strand, der Himmel. Keine Schiffe oder Inseln sind hinter ihnen zu sehen, nur große Weite. Man kann den Bildern nicht ansehen, an welchem Ort, an welchem Strand sie entstanden sind, die Fotografin Rineke Dijkstra bereiste 1992 und 1993 sowohl die Vereinigten Staaten, aber auch Polen und die Ukraine, kurz nach Zusammenbruch der Sowjetunion, also nachdem sich der Eiserne Vorhang geöffnet hatte.

Das war ein besonderer Moment in der Geschichte, ein Augenblick, in dem alles möglich schien, war ihr das zu diesem Zeitpunkt bewusst?

Absolut, sie ist sehr bewusst nach Osteuropa gereist und hat Menschen portraitiert, die an der Schwelle zum Erwachsenenleben stehen, die auch an einem Wendepunkt in ihrem Leben sind, wo vieles möglich scheint, aber eben noch offen ist. Jugendliche, die nicht mehr Kind, aber noch nicht erwachsen sind. Das transportieren diese Fotografien total. Man fragt sich auch automatisch, was aus diesen Menschen nach 30 Jahren geworden ist und wie sich ihr Leben entwickelt hat.

Wie zeigen sich die jungen Leute denn in den Bildern, posieren sie, versuchen sie, besonders cool rüberzukommen?

Nein, Rineke Dijkstra hat sie darum gebeten, direkt in die Kamera zu schauen und dabei nicht zu lächeln, sonst hat sie keine Vorgaben gemacht. aber die Jungen und Mädchen transportieren keine Posen, sondern erscheinen sehr authentisch. Sie haben kaum Objekte dabei, es gibt keine Verweise auf ihren sozialen Status oder ihr Lebensumfeld. Man sieht sie einfach in der Natur, vor der offenen Weite. Was besonders intensiv ist, ist der Eindruck, dass sie UNS anschauen, sie blicken zurück und haben eine große Präsenz in den Bildern. In dieser Form wäre diese Portraitserie vermutlich heute gar nicht mehr möglich, denn die Jugendlichen heute sind umgeben mit Beispielen der Selbstdarstellung in den sozialen Medien und würden sich vermutlich bei einem solchen Projekt direkt darauf beziehen. Aber in den frühen 90er Jahren war das Internet in seinen Kinderschuhen und die Jugendlichen in den Bildern strahlen eine gewisse Unberührtheit und Unschuld aus. Es gibt auch auf keinen Kleidungsstücken irgendwelche Labels. Bei genauerem Hinsehen, sieht man dann doch, dass die Badesachen an den amerikanischen Stränden mehr fancy sind und die aus der Ukraine aus Baumwolle, aber da muss man sich schon intensiver auf die Bilder einlassen.

Was zeichnet für Sie persönlich die Qualität dieser Serie aus?

Die Bilder haben eine starke gesättigte Farbigkeit, ein strahlendes Licht und eine große Unmittelbarkeit. Faszinierend ist der hohe technische Anspruch. Sie wurden ganz altmodisch mit einer Großformatkamera aufgenommen, was zu einer hohen Tiefenschärfe führt, aber jetzt noch als Inkjet-Prints abgezogen, was diese satte Farbe erzeugt, beinahe wie bei einem Aquarell. Und die jungen Leute haben so etwas zeitloses. Manche erscheinen wie Figuren aus den 50er- oder 60er Jahren, haben so etwas Hollywood-klassisches. Andere erinnern an griechische Skulpturen oder die Venus von Botticelli, wie Figuren aus der Kunstgeschichte. Die Fotografien hatte ja nur ganz kurze Begegnungen mit ihnen, aber jetzt, 30 Jahre später, sind sie immer noch so präsent, dass auch wir, als Betrachter eine richtige Begegnung mit ihnen haben können.

Zufall? Die Öl-Portrais hängen im selben Haus!

Und – das war vielleicht nicht geplant, hat sich jetzt aber so ergeben – im Ausstellungshaus sind ja die niederländischen Portraits des 17. Jahrhunderts zu sehen, von Rembrandt und seinen Zeitgenossen und im Metzler-Foyer nun die zeitgenössischen, gegenwärtigen Portraits der Niederländerin Rineke Dijkstra, das ist wie eine Weiterführung einer künstlerischen Tradition – sehr schön.

Rineke Dijkstra - Beach Portraits - bis 18. Mai 2025 im Städel Museum, Frankfurt.
Die Ausstellung "Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?" ist bis zum 23. März 2025 zu sehen


Sendung: hr2-kultur, 13.12.2024, 7:30 Uhr