Ab 27. Dezember im Radio und auf hr2.de Das Literaturjahr in Hessen. Große Preise. Starke Menschen.

Anne Applebaum, Carolin Emcke, Oswald Egger, Dinçer Güçyeter, Matthias Jügler sie wurden in diesem Jahr ausgezeichnet, weil sie mit ihren Köpfen, mit ihrer Literatur, mit ihrer Beharrlichkeit und Durchsetzungskraft etwas bewegen. Sie waren in diesem Jahr "starke Menschen". Sie wurden Büchnerpreisträger, Stadtschreiber, Friedenspreisträgerin, erhielten "das Glas der Vernunft" oder 111 Flaschen Rheingauer Riesling.

Hessens Literaturpreise
Feuerwerk Bild © Imago Images

Dinçer Güçyeter wird Stadtschreiber von Bergen-Enkheim
27.12.2024

"Dinçer Güçyeter ist ein Grenzgänger im besten Sinne: Zwischen zwei Sprachen, zwei Kulturen, zwei Literaturgattungen wandert er mühelos hin und her und beobachtet mal mit kindlichem Staunen, mal mit nachdenklicher Melancholie, dann wieder mit Galgenhumor oder mit theatralischem Zorn das Geschehen und die Menschen um sich herum. Er schreibt sich dabei frei. Und beleuchtet mit einer Laterne aus Worten diejenigen, die oft mitten in unserer Gesellschaft im Verborgenen bleiben.", begründete die Jury ihre Entscheidung. Güçyeters Romandebüt 'Unser Deutschlandmärchen' erzählt die Geschichte von Einwanderern, ihre Suche nach einer Heimat, ihre Versuche, jenseits von Identitätsvorgaben und Rollenklischees das eigene Ich zu finden. Vor allem der Perspektive der Frauen in der Familie – zwischen großen Träumen und harten Alltagsnöten, Aufbruchsstimmung und Ernüchterung, weder hier noch dort daheim – gilt sein Blick. Aus diesem Dazwischen sprechen Güçyeters Texte zu uns, und mit jedem Wort, das er an das vorherige reiht, tritt deutlicher zutage, was dem Grenzgänger ein Zuhause werden kann: die Literatur.

Büchnerpreis 2024 für Oswald Egger
30.12.2024

Seit seiner ersten Veröffentlichung 1993 überschreite und erweitere Egger die Grenzen der Literaturproduktion, begründete die Jury die Entscheidung. "Er arbeitet an einem Werkkontinuum, das Sprache als Bewegung, als Klang, als Textur, als Bild, als Performance begreift und sich in der Fortschreibung und Veränderung des Sprachgebrauchs entwickelt." Eggers "Wortkosmos" beruhe dabei auf der Mehrsprachigkeit und den Landschaften seiner Südtiroler Herkunft und orientiere sich an der sinnlichen Wahrnehmung. So klingt auch Oswald Eggers Dankesrede für den Büchnerpreis unkonventionell und experimentell – eine Sprach-Performance, in die er Satzfragmente aus Büchners Lenz einwebt. Hören sie selbst.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2024 für Anne Applebaum
31.12.2024

"Die polnisch-amerikanische Historikerin und Publizistin hat mit ihren so tiefgründigen wie horizontweitenden Analysen der kommunistischen und postkommunistischen Systeme der Sowjetunion und Russlands die Mechanismen autoritärer Machtergreifung und -sicherung offengelegt und sie anhand der Dokumentation zahlreicher Aussagen von Zeitzeug*innen verstehbar und miterlebbar gemacht." - so begründet die Jury die Wahl. "Mit ihren Forschungen zur Wechselwirkung von Ökonomie und Demokratie sowie zu den Auswirkungen von Desinformation und Propaganda auf demokratische Gesellschaften zeigt sie auf, wie fragil diese sind – besonders wenn Demokratien von innen, durch Wahlerfolge von Autokraten, ausgehöhlt werden. Historiographische Erkenntnisse mit wacher Gegenwartsbeobachtung zu verbinden, das gelingt Anne Applebaum in ihren Veröffentlichungen über autokratische Staatssysteme und deren international wirkende Netzwerke. In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden."

Rheingau Literaturpreis 2024 für Matthias Jügler
2.01.2025

"Jüglers literarische Präzision erlaubt ihm, seinen Stoff in nicht einmal hundertfünfzig Seiten zu fassen und sich dennoch den nötigen Raum für eine Beschreibungsgenauigkeit zu nehmen, die der psychologischen Last verzweifelter Eltern ebenso gerecht wird wie dem für den Ich-Erzähler seelenwichtigen Naturerlebnis des Angelns. "Maifliegenzeit", der einen realen Verdachtsfall zur Vorlage hat, macht einen Schatten der Zeitgeschichte sichtbar, aber erhebt nicht den Anspruch aufzuklären, was damals geschah. Die Literatur bleibt bei sich: als Möglichkeitsraum."

Das "Glas der Vernunft" aus Kassel für Carolin Emcke
3.01.2025

"Carolin Emcke hat in ihrem gesamten Werk, in den Büchern, Essays und Reportagen sich den Fragen von Gewalt und Entrechtung zugewandt. Sie sucht nach einer Sprache, die Hass und Gewalt etwas entgegensetzen kann, die Raum für Verständigung und Anerkennung öffnet", sagt Wilfried Sommer, Vorsitzender des Vorstandes der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Preises. Ihre Texte seien voller analytischer Kraft und besonnen zugleich. Sie appelliere an jede Einzelne und jeden Einzelnen, Empathie und Vernunft zu verbinden. Vorstand und Kuratorium würdigen, dass Carolin Emcke eine universalistische Empathie als ethische Praxis übt. Carolin Emcke war von 1998 bis 2014 als Reporterin in Krisengebieten unterwegs. Carolin Emcke studierte Philosophie in London, Frankfurt/M. und Harvard und promovierte über den Begriff "Kollektiver Identitäten". Sie arbeitete von 1999 bis 2014 als internationale Reporterin mit Fokus auf Menschenrechten und Krisenregionen. Emcke berichtete u.a. aus dem Kosovo, aus Afghanistan, Irak, Gaza, Kolumbien und Haiti.Seit 2014 ist sie als freie Publizistin tätig. In ihren Büchern, Essays, Kolumnen, aber auch mit ihren künstlerischen Interventionen befasst sie sich mit den Themen Gewalt und Trauma, Demokratie-feindlichkeit und Rassismus, Sexualität und Begehren.

Quelle: hr2-kultur