Horst Bingel-Preis für Literatur 2024
Mit dem Preis werden Arbeiten in der "Kleinen Form" gewürdigt (Lyrik, Erzählung, Kurzprosa, Essay, Reportage oder Blogg), deren literarische Qualität auch als gesellschaftliches Engagement zu lesen ist.
Die diesjährigen Preisträger:
Alexandru Bulucz wurde 1987 in Alba Iulia (Rumänien) geboren; als 13-jähriger kam er ins Rhein-Main-Gebiet, an der Goethe-Universität studierte er bei Werner Hamacher Komparatistik. Zwischen den Sprachen findet er seine ganz eigene als Lyriker, Übersetzer, Herausgeber und Kritiker. Seine aktuellen Gedichtbände erscheinen bei Schöffling & Co. Seine literarische Gabe, das Fremde durch sprachliche Auseinandersetzung ins Eigene zu wenden, zeigt sich in der Wirkung seiner Lyrik, deren Wege sich meist mit der letzten Zeile des Gedichts erst öffnen. Alexandru Bulucz skizziert sein poetologisches Programm selbst: "Wer aber bemüht ist, vom Ende her zu schreiben, sich mit seinen Schicksalsgenossen über ein Universalthema zu verständigen und zugleich Mitgefühl zu ermöglichen sowie Trost zu spenden, muss ein Dialogiker sein." Diese Eigenschaft zeigt er auch in seinem neuesten Gedichtband Stundenholz. Er erhält den diesjährigen Lyrikpreis.
Björn Kuhligk, 1975 in West-Berlin geboren, gehört seit "50 Semestern angewandter Lyrik" zum Stammensemble des literarischen Lebens: Als Autor von 20 (meist Gedicht)-Bänden ebenso wie als Herausgeber, Redakteur, Veranstalter und Verleger. Parallel schärft er seine zweite Ausdrucksform, die Fotografie, derzeit in einem Studium. In An einem Morgen im März. Langgedicht (Hanser Berlin, 2023) scheint Kuhligk eine von der Pandemie gelähmte Gesellschaft abzubilden und doch dem Bild zu widersprechen. So entsteht die poetische Dokumentation einer ihrer sozialen Routinen beraubten Lebenswelt. In seinem lyrischen Ich verdichtet Kuhligk das kollektive Gedächtnis an die größte Krise zu Friedenszeiten mit einem Instrument, das selbst zum Gegenstand des Langgedichts wird: "Das Wort Risikogebiete in der Sprache, die ich spreche / zusammengefügt aus zwei Substantiven / als könne diese Sprache alles zusammentackern / was der Wirklichkeit bis dahin fremd / was die Sprache, wenn sie will, alles kann".
Katja Petrowskaja, 1970 in Kiew geboren, kam 1999 nach Berlin. In ihrem Debut von 2015, Vielleicht Esther (Suhrkamp Verlag), gelangte eine von Monstrosität − Shoa und Vernichtungskrieg − erschlagene Familiengeschichte in erzählerischen Fragmenten zur Sprache: "Geschichten", in denen das Unfassbare durch den Blick auf das Detail begreifbar wird. Diesen Blick richtet sie fortan auf Bilder, deren Interpretation von 2015 bis 2021 als Kolumnen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und 2022 gebunden bei Suhrkamp erschienen: Das Foto schaute mich an. Dank der hier versprachlichten Humanität bewirkt ihre Prosa, was sie selbst in einer ihrer Bildbetrachtungen formuliert: "als hätte ich plötzlich etwas gefunden, etwas Zartes, beinahe Verschwundenes, wie eine Heimat, von der man geträumt hat, die einem niemals gehören wird, wie die verlorene, dahingeglittene Zeit."