von Ivy Der Fisch
Meine Augen öffnen sich. Ich buddle mich langsam aus dem Sand heraus und treffe auf die wunderschönen Korallen, den schönen Algengarten und vereinzelte Kalksteine. Außerdem ist es schön hell, was dem Ganzen ein gewisses Etwas verleiht. Daraufhin fange ich an, durch das Wasser zu schwimmen und immer schneller zu werden, bis ich schließlich flitze. Doch was ist das?: Ich versuche meine Sicht zu stärken und die Sache vor mir zum Fokus zu bringen. Doch es bleibt unklar. Deshalb schwimme ich langsam hin und nehme immer mehr an Geschwindigkeit an, bis ich von einer Schicht des Widerstands getroffen werde. Ach stimmt, ... da war ja was. Ich bin ja gar nicht im See, sondern stecke in einer blöden Glasbox fest. Bei mir ist nur eine kleine Schnecke, Nessi, die nichts von mir wissen will. Davon abgesehen sprechen wir gar nicht dieselbe Sprache. Es ist nun mehr als ein halbes Jahr her, seit ich aus meiner Heimat gerissen wurde. Wie ich die vermisse.. Tja, nun bin ich hier - mit Nessi, die mich nicht versteht. Von dem Prall gegen die Glaswand ist mir ganz schwindelig, weshalb ich mich hinter einen Feuerstein begebe, um wieder zu mir zu kommen. Nach ein paar Minuten kommt mein ,"Besitzer". Selbst über diesen Begriff nachdenken zu müssen, fällt mir schwer. Ich weiß genau, dass er mich wieder sucht, um mich, wie jeden Tag anzustarren, doch ich möchte nicht, dass er mich hinter dem Stein entdeckt. Jetzt nimmt er den Deckel der Glasschachtel ab und schaut unfairerweise von oben hinein. Irgendetwas kommt aus seinem Mund, aber ich verstehe nichts. Jetzt greift der aber ins Wasser. Das kann nicht wahr sein. Warum versucht er nach mir zu greifen? Schnell flitze ich los, um ihm zu entkommen. Doch nach kurzer Zeit hat er mich. ,"Ich brauch Wasser du Idiot", denke ich mir, während er mich in seinen riesigen Händen hält. Er setzt mich in eine Schüssel, die mit Wasser befüllt ist. Wie lange soll ich nun hier drinnen bleiben? Eine halbe Stunde vergeht und schließlich spüre ich Bewegung. Das sind bestimmt seine Schritte, die die Schüssel zum Wackeln bringen. Der Typ nimmt die ganze Schüssel und schüttelt das Wasser und mich in das Aquarium hinein. Ich muss sagen, dass das Wasser ziemlich angenehm ist. Es war ein wenig warm geworden, weshalb das kalte Wasser so schön gegen meine Kimmen sprudelt. Wenigstens gibt es heute eine Sache, über die ich mich freuen kann. Ein kleines Geschenk... ich versuche mittlerweile, so etwas zu schätzen. Nachdem ich das Aquarium meines neuen Freundes sauber gemacht und mit neuem Wasser befüllt habe, setze ich mich an meinen Schreibtisch und fange an zu arbeiten. Ich lebe jetzt schon seit einem halben Jahr in dieser neuen Stadt. Anfangs war es ziemlich toll, aber so weit weg von meinen Freunden zu sein, ist oft schwer. Mich in irgendeiner Hinsicht zu sozialisieren ist wegen der Arbeit momentan fast undenkbar. Aus diesem Grund habe ich mir diesen Fisch besorgt, damit er mir Gesellschaft leistet. Ich schaue ihn oft an. Dabei denke ich immer wieder über mein Leben nach. Diese Arbeit hat mich ein langes Studium gekostet, aber lohnt es sich so weit weg zu sein? Jeden Tag meines Erwachens beginnt mit einer kleinen Denklücke. Das ist nicht meine altes kleines Zimmer im Keller bei meinen Eltern. Außerdem ist es auch nicht geprägt von den lauten Ge-räuschen meiner kämpfenden Geschwister. Stille... Damit darf ich jeden Morgen aufwachen. Es gibt zwar den Straßenverkehr, jedoch ist dieser durch meine dicken Fenster nicht hörbar. Naja, das ganze Ich-fühle-mich-schlecht-für-mich-selbst wird dann langsam auch etwas melancholisch und depressiv. Um mich besser zu fühlen, muss ich etwas unternehmen. In meinem eigenen Selbstmitleid zu ertrinken, raubt mir nur alle Energie. Der Tag vergeht, wie die der letzten Monate und ich begebe mich abends wieder früh in mein Bett. Als ich morgens erwache, befinde ich mich gerade wieder in der Hand des Räubers. Zwei Tage hintereinander muss man erstmal hinbekommen, aber diese Menschen haben sowieso keine Gna-de. Diesmal bin ich jedoch nicht in einer Schüssel. Nein. Ich kann alles klar erkennen. Ich bin in einer klaren Tüte - ich verbessere mich- einer mit Wasser befüllten Plastiktüte. Erkennen tue ich sie, weil es in meinem See oft Leute gab, die dadurch krank wurden und in den schlimmsten Fällen sogar starben. Es scheint nicht hell draußen zu sein. Bestimmt der Morgenhimmel. Der Mensch hält mich in sei-ner Hand und geht mit mir raus. Warte - wir sind draußen! Ein Schritt näher zur Freiheit. Was mir jedoch nicht so ganz passt, ist, als er anfängt zu rennen. Und er wird schneller, und schneller bis er einen richtigen Sprint anlegt. Wohin willst du denn? Nun ist es heller und zusammen laufen wir in die Morgendämmerung. Warum nimmst du mich bei deiner kleinen Wanderung mit? Was ist dein Ziel, du Hirni? In der Nacht war ich aus dem Nichts erwacht und musste raus. Irgendwas sagte mir, ich solle den dummen Fisch mitnehmen. Deshalb tat ich es. Ich füllte etwas Wasser in eine Plastiktüte und packte ihn schließlich hinein. Draußen war es noch nicht ganz hell, doch man sah im Osten, wie die Sonne aufging. Nun rannte ich noch weg von den Straßen in Richtung Feld. Im Laufe der Zeit wurde es immer heller, doch ich hörte nicht auf. Den Fisch hielt ich fest in meiner Hand. Irgendwann hörte ich das Geräusch von Wasser, welches gegen Steine stieß. In mir ging das Gefühl der Freiheit auf. Jedoch nicht meine, sondern die des Fisches. Deshalb rannte ich in Richtung des Flusses. Als ich ankam, setzte ich mich außer Atem auf einen Stein neben den Fluss und betrachtete die Umgebung. Ich wusste, dass der Fisch von hier herkam, da mir der Verkäufer stolz erklärte, die Fische seien aus der Region. Ich nahm den kleinen Fisch in die Hand. Er hatte es nicht verdient, aus seiner Heimat gerissen zu werden. Das war der Unterschied zwischen ihm und mir. Dieses Leben hatte ich mir ausgesucht, er wurde gezwungen. Schließlich öffnete ich die Tüte über dem Wasser und ließ den Fisch hineinplumpsen. Etwas an dem Ganzen war schön. Zurück zuhause zu sein. Dort fühlte er sich wahrscheinlich tausendmal besser als in einem Aquarium eingesperrt zu sein. Kaum hatte ich es bemerkt, floss mir eine Träne übers Gesicht und fiel auf den Stein, auf den ich mich gesetzt hatte. Das Gefühl von Freiheit und Zugehörigkeit war etwas, was ich unbedingt erreichen wollte. Und das hieß, mich meiner Angst zu stellen, gesehen zu werden.