Opernbühne Aus Wien: "Cardillac" von Paul Hindemith
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Seinen Schmuck verkaufen, die neuen Besitzer ermorden und sich das Geschmeide dann zurückholen - das klingt nach einem perfiden Geschäftsmodell. In Hindemiths "Cardillac" verhält es sich aber doch anders: der in sein Werk vernarrte Goldschmied ist als Künstler ein Getriebener, der gar nicht anders kann, und dessen fatalistischer Wahn auch vor dem Liebhaber der Tochter nicht haltmacht.
Cardillac - Tomasz Konieczny
Die Tochter - Vera-Lotte Boecker
Der Offizier - Herbert Lippert
Der Goldhändler - Wolfgang Bankl
Der Kavalier - Daniel Jenz
Die Dame - Stephanie Houtzeel
Der Führer der Prévôté - Evgeny Solodovnikov
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Leitung: Cornelius Meister
(Aufnahme vom 5. November 2022 aus der Staatsoper)
Nach seinen erotisch-provozierenden, vermutlich noch mehr aufgrund der Sujets als wegen der Musik skandalträchtigen Einaktern vom Beginn der 1920er Jahre befand sich Hindemith mit seinem "Cardillac" von 1926 auf dem Weg zur Konsolidierung. Das zur Zeit Ludwigs XIV. spielende Stück beruht auf der Novelle "Das Fräulein von Scuderi" von E.T.A. Hoffmann, wobei die ursprüngliche Nebenfigur des Goldschmieds Cardillac ganz ins Zentrum gerückt wird.
Die Oper macht dabei mit ihrer Tendenz zum neobarocken Nummernstück aus der eigentlich romantischen Figur geradezu einen "Helden der Sachlichkeit", wie es der Librettist Ferdinand Lion formulierte. Jedenfalls sorgt die allenthalben durchhörbare Kontrapunktik für einen gegen das Pathos des Expressionismus gerichteten, objektiven Tonfall, der die zweite Hälfte der 20er Jahre generell und nicht nur bei Hindemith bestimmte. Unterstützt wird diese Loslösung vom subjektiven Ausdruck durch eine bläser- und schlagzeuglastige Instrumentation mit einem oft harten und gelegentlich schrillen Klang.
Bis auf Cardillac tragen die Personen auch keine Namen, sind gewissermaßen austauschbare Figuren ohne gefühlsbindende Identität, wohingegen die Titelgestalt durch metaphysisch-religiöse Aufladung ihres künstlerischen Schaffens fast schon überhöht wird. Ein Thema, das Hindemith - vermutlich nicht ohne autobiographische Bezüge - auch in seiner Oper "Mathis, der Maler" wieder beschäftigen sollte. 1952 hat der Komponist eine stark veränderte Neufassung des "Cardillac" vorgelegt, auf den Spielplänen hat sich jedoch vornehmlich die erste Version gehalten.
Auch in Wien griff man im vergangenen November auf das Original zurück in der Wiederaufnahme einer Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf aus dem Jahr 2010. Besonderen Beifall bekam zurecht das Vater-Tochter Duo: der voluminös-profunde Bassbariton von Tomasz Konieczny und die auch als ferngesteuerte Puppe grandios agierende Vera-Lotte Boecker, die nicht umsonst 2022 von der "Opernwelt" als "Sängerin des Jahres" ausgezeichnet wurde.
Anschließend:
Brahms: Streichquartett c-Moll op. 51 Nr. 1 (Amar Quartett)
Mozart: Klaviersonate B-Dur KV 333 (Roberto Prosseda)
Sendung: hr2-kultur, "Opernbühne", 15.04.2023, 20:04 Uhr.