Vier aufgekratzte Clowns führen uns in einer Art TV-Show durch die braunen Kontinuitäten deutscher Geschichte – so die Idee des Regisseurs Nuran David Calis, dessen "Leaks. Von Mölln bis Hanau" am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt wurde. Mit den Mitteln der Satire wollen sie Rechtsradikale lächerlich machen, um sie zu entblößen. Klappt nur so làlà, findet unsere Rezensentin.
Esther Boldt weiß, dass Komik im Theater mit das Schwerste ist - und mit "Leaks. Von Mölln bis Hanau" am Schauspiel Frankfurt leider misslingt.||
In der Ausstellung "Von Spiegeln und Schatten" im Kunsthaus Wiesbaden treffen ausgestopfte Tierschädel auf Vorhänge aus Gummihandschuhen - Birgit Berg-Blocks liebste Epoche der Kunstgeschichte ist der Surrealismus. Die andere Inspirationsquelle, die die Künstlerin selbst nennt, ist das Buch "Alice hinter den Spiegeln". Birgit Berg-Block kombiniert Objekte, die auch auf den zweiten Blick nichts miteinander zu tun haben. Und mit den Spiegeln, die sie hinter vielen Objekten platziert, macht sie den Betrachter zu einem Teil ihrer Kunstwerke.
Tanja Küchle konnte sich an der Ausstellung "Von Spiegeln und Schatten" mit Kunstwerken von Birgit Berg-Block im Kunsthaus Wiesbaden nicht satt sehen.||
Sandrine und Christophe sind 20 Jahre verheiratet, haben zwei Kinder großgezogen - und leben inzwischen aneinander vorbei. Das ist die Ausgangslage des Films "Es liegt an dir, Chéri". Irgendwann gibt es den berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, und Sandrine (Charlotte Gainsbourg) schlägt vor, sich zu trennen. Das rüttelt Christophe (José Garcia) wach, und er bittet seine Frau um einen letzten Wochenendausflug, um die Ehe zu retten. In Frankreich war "Es liegt an dir, Chéri" ein großer Erfolg, und wieder einmal bestätigt sich: Die Franzosen machen einfach die besseren Komödien.
Daniella Baumeister genießt in Filmen wie "Es liegt an dir, Chéri" die Leichtigkeit französischer Komödien auch bei schwierigen Themen.||
Mit "Aua" ist Axel Hacke ein heißer Anwärter auf den kürzesten Buchtitel aller Zeiten. Hierin erzählt er die Geschichte seines Körpers und machte dabei auf seiner Lesereise auch in Frankfurt Station. Schnell ist der Kontakt zum Publikum hergestellt. Immer wieder gelingen Hacke Gedanken zum Nachsinnen: Stecken in meinem Körper tatsächlich noch Moleküle meiner Großmutter oder sogar irgendeiner berühmten Persönlichkeit? Und Hacke verschweigt auch seine Alterserscheinungen nicht, etwa wenn er einen guten Freund trifft, sich beim besten Willen aber nicht mehr an den Namen erinnern kann.
Ulrich Sonnenschein bekam von Axel Hacke auf dessen Lesereise zu "Aua! Die Geschichte meines Körpers" das, was das Publikum erwartet hatte.||
Das Nonnen-Musical "Nunsense", das das "English Theatre" in Frankfurt ins Programm genommen hat, hat schon einige Jahre auf dem Buckel. 1985 als Off-Broadway-Produktion in New York entstanden, war es das zweiterfolgreichste Off-Broadway-Musical aller Zeiten, was die Laufzeit angeht. 1985 waren die Missbrauchsskandale in der Kirche noch nicht bekannt geworden, und Kirchenkritik kommt nur gedämpft daher. Das Musical reizt eher das komische Potenzial der Nonnenfigur aus, denn eine Frau gewinnt immens an moralischer Fallhöhe, wenn sie in ein Nonnenhabit schlüpft. Vom Karneval bis zu Horrorfilmen treiben sich auffällig viele Nonnen in der Pop-Kultur herum, und "Nunsense" steht mit am Anfang dieser Tradition.
Ulrich Sonnenschein brachte das Musical "Nunsense" am English Theatre Frankfurt zum Nachdenken über die Beliebtheit von Nonnen in der Pop-Kultur.||
Das Nonnen-Musical "Nunsense", das das "English Theatre" in Frankfurt ins Programm genommen hat, hat schon einige Jahre auf dem Buckel. 1985 als Off-Broadway-Produktion in New York entstanden, war es das zweiterfolgreichste Off-Broadway-Musical aller Zeiten, was die Laufzeit angeht. 1985 waren die Missbrauchsskandale in der Kirche noch nicht bekannt geworden, und Kirchenkritik kommt nur gedämpft daher. Das Musical reizt eher das komische Potenzial der Nonnenfigur aus, denn eine Frau gewinnt immens an moralischer Fallhöhe, wenn sie in ein Nonnenhabit schlüpft. Vom Karneval bis zu Horrorfilmen treiben sich auffällig viele Nonnen in der Pop-Kultur herum, und "Nunsense" steht mit am Anfang dieser Tradition.zur hessenschau.de Audio-Einzelseite
Ulrich Sonnenschein brachte das Musical "Nunsense" am English Theatre Frankfurt zum Sinnieren über die Beliebtheit von Nonnen in der Pop-Kultur.||
Dass diese Bilder von unbekannten Menschen, die die niederländische Künstlerin vor 30Jahren an Stränden in aller Welt mit einer Großformat-Kamera gemacht hat, gerade jetzt in Frankfurts wichtigstem Museum der Bildenden Künste zu sehen sind, ist bestimmt kein Zufall: Hängen doch im selben Haus zur Zeit Öl-Portraits der Bürger von Amsterdam aus dem 17. Jahrhundert. Rineke Dijkstras Ikonen der Fotografiegeschichte zeigen Badende in ihrer Unschuld, kein Lächeln, keine Posen. Das sind reduzierte Bilder wie Gemälde, die heute so nicht mehr realisiert werden könnten. Also auch ein Blick in die Vergangenheit, auf junge Menschen, die längst anders und erwachsen sind.
Stefanie Blumenbecker war von Aufwand und Ergebnis der Fotografien beeindruckt||
Ein Abend über die Augsburger Puppenkiste - nach dem vielbeachteten Roman "Herzfaden" von Thomas Hettche: Gefeiert werden die Puppen und auch die Idee des Puppenspiels. Es gibt wirklich tolle Szenen mit Marionetten zu sehen, alle möglichen Arten, einen Kaspar, einen riesiger Urmel und einen mächtigen Lukas, den Lokomotivführer. Regisseur Moritz Sostmann hat einiges mitgebracht, er ist selbst studierter Puppenspieler, hat lange das Puppentheater Magdeburg geleitet.Kurzum: Ein intelligenter, bildgewaltiger, origineller Theaterabend, bei dem man eine völlig neue Perspektive auf Puppen, das Puppenspiel und nicht zuletzt in die legendäre Puppenkiste-Familie Oehmichen bekommen kann.
Ursula May war im Staatstheater Wiesbaden fasziniert von der Geschichte rund um die Marionetten||
Am Staatstheater Kassel ist das neue Stück von Sina Ahlers "Milch & Schuld" uraufgeführt worden: Die Übermutter schafft alles, wenn sie es nur will, selbst mit Drillingen. Während die eine Schauspielerin das Mantra verkündet, sitzt eine andere auf ihren Schultern. Zwei weitere hängen an ihren Armen. Mit viel Körpereinsatz und Performance lotet "Milch & Schuld" Gefühle, Gedanken, Urteile rund um die Mutterschaft aus. Im Zentrum: Zartie und Holly. Holly wünscht sich so sehr ein Kind, dass sie Zartie als Leihmutter engagiert – gegen Bezahlung. Doch das ungeborene Kind hat einen "Defekt" – genau wie die einbeinige Taube, die im Frankfurter Hauptbahnhof auf Zarties Schoß hockt.
Vera John erlebte mit dem neuen Stück "Milch & Schuld" am Staatstheater Kassel alle Aspekte der Mutterschaft.||
Die britische Ausstellung "Wildlife Photographer of the Year" kommt nach Darmstadt ins Hessische Landesmuseum – zum ersten Mal in der Geschichte des renommierten Foto-Wettbewerbs, der 2025 sein 60. Jubiläum feiert. Gezeigt werden 100 Fotografien aus über 60.000 Einsendungen, die Finalisten des aktuellen Wettbewerbs. Sie machen sichtbar, wie schön und zerbrechlich die Natur ist. Fast jede einzelne Fotografie ist ein Dokument dessen, was auf der Erde allmählich verschwindet. Und damit lässt einen die Ausstellung einerseits bezaubert zurück – und andererseits sehr traurig.
Tanja Küchle kam aus dem Landesmuseum Darmstadt und war von der Vielfalt der Fotografien wilden Lebens überrascht||
Sechs Bücher hat Dinçer Güçyeter veröffentlicht, darunter den Roman "Unser Deutschlandmärchen", für den er den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Seit September ist er nun Stadtschreiber von Bergen-Enkheim, kam aber erst jetzt dazu, seine Antrittsvorlesung zu halten. Güçyeter schöpft aus seiner Familiengeschichte: Die Großmutter war noch die Tochter einer Nomadin, die durch Anatolien zog. Die Mutter schlägt sich in den 60er-Jahren in Köln durch. Schnell lernt sie, dass man in Deutschland das Geld nicht von den Bäumen pflücken kann, wie sie glaubte; aber sie besteht auf ihrer Selbständigkeit, etwa indem sie ihren Führerschein macht. Güçyeter lässt uns eintauchen in das Leben als Einwanderer und betont, wieviel er dabei seiner eigensinnigen Mutter verdankt.
Mario Scalla durfte über den Stadtschreiber von Bergen-Enkheim, Dinçer Güçyeter, an den anatolischen Lebensweisheiten von dessen Großmutter teilhaben.||
Dieser Dokumentarfilm verbindet eine beeindruckende Tanzkultur mit einem der größten Massenmorde der Menschheitsgeschichte. Tanz durfte es im Steinzeitkommunismus von Pol Pot zwischen 1975 und 1979 nicht geben. Es ist die Idee des Kölner Regisseurs Enrique Sanchez Lansch, beides miteinander zu verbinden, um Geschichte anders zu erzählen und Erinnerung an eine Zeit, die nicht vergessen werden darf, anders zu erhalten.
Daniella Baumeister empfiehlt den Film "Pol Pot Dancing" all jenen, die zum Baden nach Südostasien fahren||
Spielzeug bietet ein getreues Abbild der Zeitläufte, wie eine neue Ausstellung im Hessischen Puppen- und Spielzeugmuseum, Hanau, vermittelt, bei der es um Mobilität in allen Spielarten geht. Dazu gehört der Tretroller genauso wie der Brummkreisel, der eine fliegende Untertasse darstellen soll. Im Dritten Reich wurde mit Hilfe von Spielzeug schon einmal der Krieg eingeübt, und heute geht die Digitalisierung auch am Kinderzimmer nicht vorbei. Eine Ausstellung für alle, die erfahren möchten, dass auch unsere Vorfahren einmal Kinder waren.
Mario Scalla wurde im Hessischen Puppen- und Spielzeugmuseum, Hanau, nostalgisch zumute.||
Beinahe wäre die Premiere von Verdis "Macbeth" an der Oper Frankfurt geplatzt, da die Darstellerin von Lady Macbeth - Tamara Wilson - beim besten Willen nicht singen konnte. Aus Kopenhagen wurde die dänische Sopranistin Signe Heiberg eingeflogen, und obwohl sie nur eine halbe Stunde Zeit für Absprachen hatte, rettete sie den Abend. Nichts wackelte, sie sang ausdrucksvoll, dramatisch, souverän und auswendig. Die Inszenierung von R. B. Schlather spielt zu Hause bei den Macbeth's, wo das Spiel um Gier und Macht seinen Lauf nimmt. Der Chor war großartig, das Orchester fantastisch, differenziert dirigiert von Thomas Gugeis. So lässt sich erleben, wie toll die Musik von Verdi ist.
Meinolf Bunsmann über einen in jeder Hinsicht gelungenen Opernabend mit Verdis "Macbeth", der auf der Kippe stand.||
Das Gießener Rathaus beherbergt auch die Gießener Kunsthalle. Die neue Ausstellung, die dort gezeigt wird, trägt den Titel "Raphaela Vogel. Die Dressur des Raumes". Raphaela Vogel "dressiert" den Ausstellungsraum, indem sie einen eigenen "Raum im Raum" erschafft. Für Kritikerin Tanja Küchle fühlte es sich an, als würde sie in eine Parallelwelt eintreten, ähnlich dem Kaninchenbau von "Alice im Wunderland". Süß und verspielt – und gleichzeitig düster und unheimlich. Als eine Art Künstler-Forscherin geht es Raphaela Vogel um Fragen wie: Was schreibt sich in Orte und Räume ein, welche Bedeutungen, welche Nutzungen? Wie prägen Machtverhältnisse Orte und Räume – und worin zeigt sich das? Ihre Kunst ist sehr durchdacht und intellektuell anregend, sie enthält ungemein viele Bezüge und Anspielungen quer durch die Kunstgeschichte, von venezianischen Deckenfresken bis zur Performance-Kunst von Bruce Nauman. Sie ist aber gleichzeitig auch sinnlich und unmittelbar körperlich erfahrbar. Und bei aller Intellektualität und Kritik der Verhältnisse behält Raphaela Vogel eine sehr humorvolle Perspektive. Die aber die Kritik nicht abschwächt. Im Gegenteil. Einfach herausragend!
Tanja Küchle hat in der Kunsthalle Gießen staunend gelernt, dass bei Raphaela Vogel Putzen die höchste Form der Dressur sei||
Ein junger Mann soll Frankfurt verlassen, um seinen Opa in Albanien ein letztes Mal zu besuchen. Er sträubt sich, macht sich doch auf den Weg - und kommt zu spät. Jetzt soll er die Asche verstreuen, an einem Strand mit großer Bedeutung... Enkelejd Lluca schafft - auch mit vielen Rückblenden - ein vielschichtiges und poetisches Portrait eines Mannes, der ohne Eltern aufwuchs und seine Herkunft sucht. Die schönen Bilder von albanischer Landschaft und den oft jungen Schauspielern sowie eine Verbeugung vor der Menschlichkeit machen Lust auf mehr von diesem Regisseur sowie Kameramann Blerim Destani - und auf ein Land, das die meisten nicht kennen.
Ulrich Sonnenschein mochte die vielen Geschichten und die Bilder im Film von Enkelejd Lluca ||
Die große Winterausstellung in Frankfurts wichtigstem Museum bildener Künste entführt uns ins 17. Jahrhundert: "Rembrandts Amsterdam": Eine Ausstellung über eine Stadt, eine Stadtgesellschaft, die für etwa 100 Jahre die vielleicht reichste Stadt Europas war und mit großem Selbstbewusstsein sich selbst und ihre Bürgerschaft feierte. Man sieht Malerei und Druckgrafik auf höchstem Niveau. Das Thema ist komplex, aber gut präsentiert und klug aufbereitet. Die Bilder werden wie Stars im Theater in Szene gesetzt, Licht, Wandfarbe, alles dient der Steigerung der Malerei. Das Goldene Zeitalter war in Bezug auf die Malerei wirklich golden und Amsterdam liegt gerade am Main!
Stefanie Blumenbecker hat Bilder gesehen, die die Ausnahmestellung des Frankfurter Städels untermauern||
Erinnerung hat auch eine politische Dimension: Damit die Menschheit die eigene Geschichte nicht vergisst, aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen kann, gibt es – unter anderem – Museen. Das Historische Museum Frankfurt ist bekannt für sein Stadtlabor, in dem Berichte von Frankfurter Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesammelt und ausgestellt werden. Am Wochenende war das Junge Ensemble des Schauspiel Frankfurt hier zu Gast, mit der Premiere "Zeit für Zeug:innen".
Esther Boldt hat einen schönen und berührenden Abend im Historischen Museum erlebt||
Das dreitägige "Komponistinnen Musikfestival" in Frankfurt führt Werke von Frauen auf. Ihnen gegenübergestellt werden Stücke von männlichen Komponisten. In der Qualität ist kein Unterschied zu hören; allerdings stellt sich der Wiedererkennungseffekt fast nur bei den Männern ein. Da ist zum Beispiel die französische Komponistin Mélanie Bonis. Sie reichte ihre Stücke bei Kompositionswettbewerben ein, erhielt aber nie einen Preis. Erst als sie ihren Vornamen auf M. abkürzte, galt sie plötzlich als preiswürdig. Man könnte nun denken, das ist ein Jahrhundert her, aber das Programm des Musikfestivals beweist, dass es unter Komponistinnen immer noch viel zu entdecken gibt.
Adelheid Kleine entdeckte viel "neue" Musik beim "Komponistinnen Musikfestival" in Frankfurt.||
Von Pflanzensamen, die vom Wind oder von Tieren, an andere Orte transportiert werden, über die Nazi-Verordnungen von 1942, die jüdischen Menschen und Sinti- und Romnja die Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs in Frankfurt untersagt haben, bis zu Frankfurt als Knotenpunkt der Datenströme: Die Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt bietet eine großen Überblick, der eher in die Breite als in die Tiefe geht. Erstaunlicher Weise funktioniert das sehr gut. Die Ausstellung ist nämlich auch spielerisch und assoziativ – und regt so wirklich dazu an, sich mit Fragen der Mobilität auseinanderzusetzen.
Tanja Küchle hat sich im Historischen Museum Zeit gelassen - und umso mehr erfahren||
Wer hierzulande über die ersten Anzeichen von Weihnachten stöhnt, hat noch nicht das Großereignis Weihnachten in Irland erlebt. In seinem Dokumentarfilm "So this is christmas" entführt Ken Wardrop die Zuschauer in eine irische Kleinstadt. Was dort für die einen die schönste Zeit des Jahres ist, ist für andere eine Zeit großer Einsamkeit. Und die besonders Hartgesottenen behaupten, mit Weihnachten nichts am Hut zu haben. Wie bei jedem Dokumentarfilm stellt sich auch hier die Frage, wie weit die Anwesenheit der Kamera das Geschehen beeinflusst hat.
Ulrich Sonnenschein liebt alles Irische, so auch den Dokumentarfilm "So this is christmas" von Ken Wardrop.||
Annette Schröter gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Leipziger Schule und hat in den vergangenen 20 Jahren den Papierschnitt revolutioniert. Den kennen wir als Form der Illustration oder der Volkskunst, den Schattenriss oder abstrakte Ornamente aus zumeist schwarzem Papier. Schröter hat 2002 begonnen in Papier zu schneiden, allerdings mit Cutter und Skalpell statt der Schere - und hat so Strukturen entwickelt, in teilweise spektakulärer Ornamentik, mit feinsten Durchbrüchen und Durchsichten und einem verblüffenden Wechsle von schwarzen und weißen Flächen, die zu entdecken eine wahre Herausforderung für das Auge ist. Die Kunstwerke, die im Kunstverein Rüsselsheim zu sehen sind, stammen zum größten Teil aus den letzten vier Jahren, sind also alle ziemlich aktuell. Sie vermitteln den Eindruck, als würde sich die Technik unter den Händen von Annette Schröter regelrecht verselbstständigen. Eine eindrucksvolle Schau.
Stefanie Blumenbecker hat erlebt, wie sich die Kunstwerke im Kunstverein Rüsselsheim unter ihren Blicken verselbständigen||
Das Hessische Staatstheater fragt in dieser Spielzeit nach dem Erbe – nach dem materiellen ebenso wie nach dem immateriellen. Von vorangegangenen Generationen erben wir Haarfarben und Talente, vielleicht Schmuck und vergilbte Fotoalben, aber auch finanziellen Wohlstand oder Schulden. Um alte Vermögen und Steuergerechtigkeit geht es in der Uraufführung in Wiesbaden: „Unser Erbe. Tax me if you can“ in der Regie von Helge Schmidt am Staatstheater Wiesbaden wirft große Themen wie in die Waagschale. Die These, dass das bestehende Steuersystem in Deutschland die Ungleichheit befördere und letztlich die Demokratie gefährde, untermauern Schmidt und sein Team mit so vielen Daten und Fakten, dass unserer Rezensentin der Schädel schwirrte.
Esther Boldt empfand im Staatstheater Wiesbaden, dass in dieser sympathischen Aufführung weniger mehr gewesen wäre||
In Mozarts "Così fan tutte" geht es bekanntlich um eine Liebeswette, bei der die Treue zweier Schwestern auf die Probe gestellt wird. Vivien Hohnholz dreht in ihrer Inszenierung am Staatstheater Kassel das Spiel um, weil bei ihr die beiden Schwestern keine unwissenden Versuchskaninchen sind. Natürlich durchschauen sie die Masken ihrer Ehemänner. Sängerinnen, Sänger und Chor singen gut. Und das Orchester - das erhöht vor der Bühne des Schauspielhauses sitzt - wird von Kiril Stankow sicher durch die Vorstellung geführt. Das Publikum war begeistert.
Meinolf Bunsmann verbrachte am Staatstheater Kassel einen vergnüglichen Abend mit "Così fan tutte".||
"Ich muss mich erst mal sammeln" heißt die neue Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Das Künstler-Kuratorinnen-Duo Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata haben sich dafür mit den Sammlungen des Universalmuseums auseinandergesetzt. Vom ausgestopften Fuchs über Goldrand-Porzellan bis zu Gegenwartskunst ist hier alles vertreten und wird gelichberechtigt in der Ausstellung kombiniert. Man merkt, mit wie viel Nonchalance und Humor, mit welcher Hingabe und subversiven Lust, diese Schau in Darmstadt entstanden ist.
Tanja Küchle hat sich im Hessischen Landesmuseum Darmstadt gern positiv überraschen lassen||
Der Film "Is anybody there?" des Regisseurs John Crowley ist vor 16 Jahren in die britischen Kinos gekommen, läuft aber erst jetzt bei uns an. "Better late than never", würde ein Engländer das wohl kommentieren, denn der Film ist ein großes Kino-Erlebnis. Die Eltern des kleinen Edward betreiben ein privates Hospiz, und Edward rätselt, wohin die alten Menschen beim Sterben verschwinden. Edwards Eltern haben wenig Zeit für ihn, doch als der von Michael Caine gespielte Magier Clarence einzieht, entsteht eine Freundschaft über die Generationen hinweg.
Ulrich Sonnenschein freut sich, dass der Film "Is anybody there?" nach 16 Jahren nun auch in deutschen Kinos gezeigt wird.||
Der internationale Hochhauspreis des Deutschen Architekturmuseums ist vergeben, nach Singapur, Nominierte und Sieger sind in Fotos und Modellen zu bestaunen. Und das in den Räumen des Museum Angewandte Kunst Frankfurt, da das DAM noch renoviert wird. Anspruch ist, alle zwei Jahre die auf der Welt neugebauten Wolkenkratzer zu sichten. Die Bjarke Ingels Group hat im im Business-District mit "CapitaSpring" eine Kombination aus klassischer Hochhaus-Architektur mit Glas und Metallstreben gebaut, dazwischen zeigen sich aufgelockerte, geradezu aufgerissene Elemente. Dieser Erste Preisträger wirkt wie aus den Dreharbeiten zum letzten "Mission-Impossible"- Film...
Mario Scalla mag es, wenn Wolkenkratzer Landschaften bilden und staunte nicht schlecht über die Preisträger im MAK Frankfurt||
Eine turbulente, knallig-farbenfrohe, und fantasievolle Inszenierung im Staatstheater - und etwa nicht das französische Original. Regisseurin Anna Weber hat das Stück "überschrieben, neue Handlung, neuer Text, neue Rollen: Sogar die Titelfigur, Fantasio, eine Hosenrolle, ist jetzt nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar eine Frauenrolle. Das gefiel nicht jedem im Publikum, die Musik allerdings bleibt Offenbach pur. Mit den märchenhaften Kostümen von Laura Kirst wirkt alles wie in einem Kindertheaterstück, ein rosa Pferd, schräge Frisuren, schwebende Tänzerinnen, es ist viel los auf der Bühne. Es wird getanzt, ein bisschen Slapstick ist auch dabei - und am Schluss Happy End: Theater, Narrenfreiheit und Fantasie sind gerettet. Das Solistenensemble überzeugt, Favoriten unseres Manns im Publikum waren Camille Sherman als Fantasio und Josefine Mindus als There mit ihren klaren, flexiblen, warmen Koloraturen. Dazu ein präsenter Chor, die Mitglieder des Jungen Staatsmusicals bestens choreographiert von Paulina Alpen, kurzum: Am Ende ist die Aufführung als Gesamtpaket beim Wiesbadener Premierenpublikum sehr gut angekommen.
Meinolf Bunsmann sah in Wiesbaden über winzige Wackler in der Premiere hinweg - und liebt warme Soprane.||
Händel ist viel zu gut, um ihn den Geschichtsbüchern zu überlassen, denkt man sich an der Oper Frankfurt und bringt dort in schöner Regelmäßigkeit Händels Opern auf die Bühne, in dieser Spielzeit sogar gleich vier an der Zahl. Gestern war das in Frankfurter Erstaufführung die Oper "Partenope", die Händel 1730 in London realisiert hat. Partenope ist Gründerin und Königin von Neapel, die gleich von drei Männern umworben wird. Die weitaus schöneren Arien hat aber Arsace, nach dem man genauso gut die Oper hätte benennen können.
Imke Turner kehrte begeistert von Händels Oper "Partenope" im Bockenheimer Depot in Frankfurt zurück.||
In der Frankfurter Schirn wurde eine Hans Haacke gewidmete Ausstellung eröffnet. Haacke, 1936 geboren, lebt seit 1965 in New York und gilt als einer der einflussreichsten und bekanntesten deutschen Künstler. Seine frühen Werke zur ökologischen Krise besitzen eine prophetische Qualität, aber auch die politischen Interventionen, mit denen er bekannt wurde, sind hier dokumentiert. Seine Provokationen gingen soweit, dass er zeitweise aus dem Kunstbetrieb ausgesperrt wurde.
Mario Scalla staunte über die prophetische Kraft der frühen Werke des Künstlers Hans Haacke in der Frankfurter Kunsthalle Schirn.||
Der Film "Weisheit des Glücks" ist ein Portrait des 14. Dalai Lama, der auch für viele Nicht-Buddhisten ein Vorbild ist. Seine Weisheit habe er von seiner Mutter - einer armen Arbeiterin und Analphabetin - geerbt. Überraschen wird, dass der Dalai Lama schöne und teure Dinge liebt. Er darf sie zwar nicht besitzen, aber betrachten sei ihm schon erlaubt. Thematisiert wird im Film auch die Rolle als Führer der Tibeter, die seit der Invasion der Volksrepublik China im Exil leben müssen. Und zum Schluss meint er noch verschmitzt, nichts spräche dagegen, dass der nächste Dalai Lama eine Frau wird.
Daniella Baumeister war im Film "Weisheit des Glücks" überrascht, dass der nächste Dalai Lama eine Frau sein könnte.||
Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden ist gerade die Ausstellung der Follow-Fluxus-Stipendiatin 2023 Maja Smrekar zu sehen. Die slowenische Künstlerin zeigt dort ältere und neue Arbeiten unter dem Titel Dooms of Love – übersetzt: Schicksal der Liebe. Das könnte für manche eine Provokation sein, denn es geht in Smrekars Kunst um die enge Beziehung zwischen Mensch und Hund.
Tanja Küchle ist in Wiesbaden von der Mensch-Tier-Ästhetik überzeugt worden||
In ihrem neuen Solo "Songs of the Wayfarer", das am Sonntag im Mousonturm uraufgeführt wurde, widmet sich die Choreografin Claire Cunningham dem Wandern. Sie wandert durch verschiedene Gebirgslandschaften, um mit Gustav Mahlers Liederzyklus "Lieder eines fahrenden Gesellen" über Lebenskraft und Verlust nachzudenken. Ein berührender Abend, der der Zerbrechlichkeit Raum gibt und den Zauber des menschlichen Wesens gerade in seiner Vergänglichkeit entdeckt.
Esther Boldt ließ sich von den "Songs of the Wayfarer" von Claire Cunningham im Frankfurter Mousonturm berühren.||
Eine "Alleszerstörerin" hat Karl Kaus Alban Bergs Frauenfigur "Lulu" genannt. Lulu ist eine Frau – Täterin und Opfer zugleich – an der sich eine patriarchale Gesellschaft abarbeitet, indem sie ihre misogynen Phantasien auf sie projiziert. So sieht es Nadja Loschky, die das Werk neu an der Oper Frankfurt inszeniert hat. Lulu wird zur Symptomträgerin, weil sie die gesellschaftlichen Missstände, die heteronormativen Zwänge und sexuellen Abartigkeiten dieser Männergesellschaft an die Oberfläche bringt.
Natascha Pflaumbaum erlebte mit "Lulu" an der Oper Frankfurt eine Frau, die jedes bürgerliche Maß sprengt.||
Die neue Ausstellung im Weltkulturenmuseum Frankfurt heißt "Country bin pull’em. Ein gemeinsamer Blick zurück". Es geht um die Kunst indigener Gruppen in Australien und ein ethnologisches Forschungsprojekt von 1938, das diese erforschte, kopierte und zum Teil mitbrachte. Der damalige Blick auf Kunst und Kult(ur) dreier Ureinwohner-Stämme und die Sicht darauf im heutigen Postkolonialismus werden jetzt miteinander in Beziehung gesetzt. Wer nicht mit indigener australischer Kunst, wie man sie immer mehr auch in aktuellen Biennalen wie etwa in Venedig zu sehen bekommt, nicht so viel anfangen kann, ist hier richtig: Diese Ausstellung öffnet Augen, macht vieles verständlich, gerade weil sie einen großen Bogen von den ethnologischen Objekten zur zeitgenössischen Kunst und zurück schlägt: Man erhält tiefe Einblicke in die Kultur, aus erster Hand - ein echter Schatz und ein großes Erlebnis!
Tanja Küchle kam aus dem Frankfurter Weltkulturmuseum mit vielen Erkenntnissen heraus||
Deutsche Komödien haben nicht den allerbesten Ruf - allerdings gibt es da noch den Regisseur Simon Verhoeven, der fast alleine in der deutschen Filmlandschaft steht. Seine Komödien sind nie anklagend und vor allen Dingen nie peinlich. Das beweist er wieder mit "Alter weißer Mann", der hier von Jan Josef Liefers dargestellt wird. Der trinkt zwar aus einer Tasse mit der Aufschrift "Ich Boss, du nichts"; aber auch er hat mitbekommen, dass die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sich geändert haben und bemüht sich redlich, sich den neuen Zeiten anzupassen.
Der alte, weiße Mann Ulrich Sonnenschein fand sich im Film "Alter weißer Mann" von Simon Verhoeven wieder.||
"Die schöne Magelone" von Johannes Brahms ist gewiss nicht so bekannt wie Schuberts "Die schöne Müllerin". Sein einziger Liedzyklus wurde am Dienstag an der Oper Frankfurt vorgetragen. Ungewöhnlicherweise stehen dabei drei Personen auf der Bühne: Der erst 31-jährige Bariton Konstantin Krimmel ist dieses Jahr zum "Sänger des Jahres" erklärt worden. Am Klavier begleitete ihn Wolfram Rieger. Und die verbindenden Texte - die Brahms vorgesehen hat - sprach Brigitte Fassbaender, der man ihre 85 Jahre nicht ansah. Sie hat "Die schöne Magelone" oft selbst gesungen. Und so ergab sich ein perfektes Zusammenspiel über die Generationen hinweg.
Meinolf Bunsmann erlebte das perfekte Zusammenspiel verschiedener Generationen bei einem Liederabend an der Oper Frankfurt||
Das Hotel Chelsea ist legendär – Kreative aus allen Richtungen haben sich dort in New York, in den 60er, 70er und 80er Jahren getroffen: Janis Joplin, Andy Warhol, Arthur Miller, Sid Vicious von den Sex Pistols, Leonhard Cohen. Ihnen allen und vielen mehr begegnen wir auf der Bühne des Kasseler Schauspielhauses – in einem wilden Ritt aus Musik und Performance. Dabei kommt das Stück "Hotel Chelsea" ganz ohne gesprochene Sprache aus. Das Premierenpublikum feierte den Punkrock: "Hey ho let’s go".
Vera John war erst befremdet, dann begeistert von "Hotel Chelsea" am Staatstheater Kassel||
Das Museum Giersch in Frankfurt ist in einer alten Villa untergebracht, die ursprünglich dem Wohnen gedient hat. Mit der Ausstellung "Our house: künstlerische Positionen zum Wohnen" kehrt das Museum zu seinen Ursprüngen zurück. Jeder Raum ist von einer anderen Künstlerin oder Künstler gestaltet worden. Entsprechend unterschiedlich fallen die Ergebnisse aus. Und da die Kunstwerke zum Wohnen einladen, fällt es manchmal schwer zu entscheiden, was man noch anfassen oder wo man sich setzen darf und wo nicht.
Stefanie Blumenbecker fiel es in der Ausstellung zum Wohnen des Museums Giersch manchmal schwer zu entscheiden, was sie noch anfassen durfte.||
Das "Performing Arts & Digitalität Festival“, PAD, reklamiert für sich, das wichtigste deutschsprachige Festival für die Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks in digitalen Zeiten zu sein. Mario Scalla war bei einer der ersten Veranstaltungen dabei, "S.A.D. - Secretly a dinosaur" war die Aufführung auf der Studiobühne des Staatstheaters betitelt. Digitalität und Multimedialität sind Programm bei diesem Festival – hier werden Texte wie "Alles ist schrecklich. Ich kann nicht mehr. Fühlst du dich ausgebrannt?" vorgelesen, die Leinwand zeigt verwüstete Landschaft, alle Wälder schon vernichtet, vor 65 Millionen Jahren. In vulkanischer Landschaft zwei kleine gezeichnete Dinosaurier, die Gefühle wie Jugendliche von heute hegen. "Wie es ist, heute jung zu sein" - das sollte erzählt werden. Das Bild des Einschlags bekommt da metaphorische Qualitäten, wenn man sich mit aussterbenden Dinos identifizieren soll, keine aufhellende Perspektive. - Ein Beispiel, wie verwobene Welten und die Sprache eine Symbiose eigehen. Das PAD-Festival bietet bis Sonntag (27. Oktober) nicht nur Theater, auch Performances zum Thema künstlerischer Ausdruck in digitalen Zeiten , eine VR-Inszenierung, die sich "Erwartung", der Oper von Arnold Schönberg widmet. Und eine zweitätige Konferenz am Wochenende, auf der es um Theater, KI, Kreativität mit digitalen Mitteln geht.
Mario Scalla hat nur eine Umsetzung des Themas beim Festival des Staatstheaters Wiesbaden gesehen, sich aber schon ein Bild machen können.||