Annette Schröter gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Leipziger Schule und hat in den vergangenen 20 Jahren den Papierschnitt revolutioniert. Den kennen wir als Form der Illustration oder der Volkskunst, den Schattenriss oder abstrakte Ornamente aus zumeist schwarzem Papier. Schröter hat 2002 begonnen in Papier zu schneiden, allerdings mit Cutter und Skalpell statt der Schere - und hat so Strukturen entwickelt, in teilweise spektakulärer Ornamentik, mit feinsten Durchbrüchen und Durchsichten und einem verblüffenden Wechsle von schwarzen und weißen Flächen, die zu entdecken eine wahre Herausforderung für das Auge ist. Die Kunstwerke, die im Kunstverein Rüsselsheim zu sehen sind, stammen zum größten Teil aus den letzten vier Jahren, sind also alle ziemlich aktuell. Sie vermitteln den Eindruck, als würde sich die Technik unter den Händen von Annette Schröter regelrecht verselbstständigen. Eine eindrucksvolle Schau.
Stefanie Blumenbecker hat erlebt, wie sich die Kunstwerke im Kunstverein Rüsselsheim unter ihren Blicken verselbständigen||
Das Hessische Staatstheater fragt in dieser Spielzeit nach dem Erbe – nach dem materiellen ebenso wie nach dem immateriellen. Von vorangegangenen Generationen erben wir Haarfarben und Talente, vielleicht Schmuck und vergilbte Fotoalben, aber auch finanziellen Wohlstand oder Schulden. Um alte Vermögen und Steuergerechtigkeit geht es in der Uraufführung in Wiesbaden: „Unser Erbe. Tax me if you can“ in der Regie von Helge Schmidt am Staatstheater Wiesbaden wirft große Themen wie in die Waagschale. Die These, dass das bestehende Steuersystem in Deutschland die Ungleichheit befördere und letztlich die Demokratie gefährde, untermauern Schmidt und sein Team mit so vielen Daten und Fakten, dass unserer Rezensentin der Schädel schwirrte.
Esther Boldt empfand im Staatstheater Wiesbaden, dass in dieser sympathischen Aufführung weniger mehr gewesen wäre||
In Mozarts "Così fan tutte" geht es bekanntlich um eine Liebeswette, bei der die Treue zweier Schwestern auf die Probe gestellt wird. Vivien Hohnholz dreht in ihrer Inszenierung am Staatstheater Kassel das Spiel um, weil bei ihr die beiden Schwestern keine unwissenden Versuchskaninchen sind. Natürlich durchschauen sie die Masken ihrer Ehemänner. Sängerinnen, Sänger und Chor singen gut. Und das Orchester - das erhöht vor der Bühne des Schauspielhauses sitzt - wird von Kiril Stankow sicher durch die Vorstellung geführt. Das Publikum war begeistert.
Meinolf Bunsmann verbrachte am Staatstheater Kassel einen vergnüglichen Abend mit "Così fan tutte".||
"Ich muss mich erst mal sammeln" heißt die neue Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Das Künstler-Kuratorinnen-Duo Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata haben sich dafür mit den Sammlungen des Universalmuseums auseinandergesetzt. Vom ausgestopften Fuchs über Goldrand-Porzellan bis zu Gegenwartskunst ist hier alles vertreten und wird gelichberechtigt in der Ausstellung kombiniert. Man merkt, mit wie viel Nonchalance und Humor, mit welcher Hingabe und subversiven Lust, diese Schau in Darmstadt entstanden ist.
Tanja Küchle hat sich im Hessischen Landesmuseum Darmstadt gern positiv überraschen lassen||
Der Film "Is anybody there?" des Regisseurs John Crowley ist vor 16 Jahren in die britischen Kinos gekommen, läuft aber erst jetzt bei uns an. "Better late than never", würde ein Engländer das wohl kommentieren, denn der Film ist ein großes Kino-Erlebnis. Die Eltern des kleinen Edward betreiben ein privates Hospiz, und Edward rätselt, wohin die alten Menschen beim Sterben verschwinden. Edwards Eltern haben wenig Zeit für ihn, doch als der von Michael Caine gespielte Magier Clarence einzieht, entsteht eine Freundschaft über die Generationen hinweg.
Ulrich Sonnenschein freut sich, dass der Film "Is anybody there?" nach 16 Jahren nun auch in deutschen Kinos gezeigt wird.||
Der internationale Hochhauspreis des Deutschen Architekturmuseums ist vergeben, nach Singapur, Nominierte und Sieger sind in Fotos und Modellen zu bestaunen. Und das in den Räumen des Museum Angewandte Kunst Frankfurt, da das DAM noch renoviert wird. Anspruch ist, alle zwei Jahre die auf der Welt neugebauten Wolkenkratzer zu sichten. Die Bjarke Ingels Group hat im im Business-District mit "CapitaSpring" eine Kombination aus klassischer Hochhaus-Architektur mit Glas und Metallstreben gebaut, dazwischen zeigen sich aufgelockerte, geradezu aufgerissene Elemente. Dieser Erste Preisträger wirkt wie aus den Dreharbeiten zum letzten "Mission-Impossible"- Film...
Mario Scalla mag es, wenn Wolkenkratzer Landschaften bilden und staunte nicht schlecht über die Preisträger im MAK Frankfurt||
Eine turbulente, knallig-farbenfrohe, und fantasievolle Inszenierung im Staatstheater - und etwa nicht das französische Original. Regisseurin Anna Weber hat das Stück "überschrieben, neue Handlung, neuer Text, neue Rollen: Sogar die Titelfigur, Fantasio, eine Hosenrolle, ist jetzt nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar eine Frauenrolle. Das gefiel nicht jedem im Publikum, die Musik allerdings bleibt Offenbach pur. Mit den märchenhaften Kostümen von Laura Kirst wirkt alles wie in einem Kindertheaterstück, ein rosa Pferd, schräge Frisuren, schwebende Tänzerinnen, es ist viel los auf der Bühne. Es wird getanzt, ein bisschen Slapstick ist auch dabei - und am Schluss Happy End: Theater, Narrenfreiheit und Fantasie sind gerettet. Das Solistenensemble überzeugt, Favoriten unseres Manns im Publikum waren Camille Sherman als Fantasio und Josefine Mindus als There mit ihren klaren, flexiblen, warmen Koloraturen. Dazu ein präsenter Chor, die Mitglieder des Jungen Staatsmusicals bestens choreographiert von Paulina Alpen, kurzum: Am Ende ist die Aufführung als Gesamtpaket beim Wiesbadener Premierenpublikum sehr gut angekommen.
Meinolf Bunsmann sah in Wiesbaden über winzige Wackler in der Premiere hinweg - und liebt warme Soprane.||
Händel ist viel zu gut, um ihn den Geschichtsbüchern zu überlassen, denkt man sich an der Oper Frankfurt und bringt dort in schöner Regelmäßigkeit Händels Opern auf die Bühne, in dieser Spielzeit sogar gleich vier an der Zahl. Gestern war das in Frankfurter Erstaufführung die Oper "Partenope", die Händel 1730 in London realisiert hat. Partenope ist Gründerin und Königin von Neapel, die gleich von drei Männern umworben wird. Die weitaus schöneren Arien hat aber Arsace, nach dem man genauso gut die Oper hätte benennen können.
Imke Turner kehrte begeistert von Händels Oper "Partenope" im Bockenheimer Depot in Frankfurt zurück.||
In der Frankfurter Schirn wurde eine Hans Haacke gewidmete Ausstellung eröffnet. Haacke, 1936 geboren, lebt seit 1965 in New York und gilt als einer der einflussreichsten und bekanntesten deutschen Künstler. Seine frühen Werke zur ökologischen Krise besitzen eine prophetische Qualität, aber auch die politischen Interventionen, mit denen er bekannt wurde, sind hier dokumentiert. Seine Provokationen gingen soweit, dass er zeitweise aus dem Kunstbetrieb ausgesperrt wurde.
Mario Scalla staunte über die prophetische Kraft der frühen Werke des Künstlers Hans Haacke in der Frankfurter Kunsthalle Schirn.||
Der Film "Weisheit des Glücks" ist ein Portrait des 14. Dalai Lama, der auch für viele Nicht-Buddhisten ein Vorbild ist. Seine Weisheit habe er von seiner Mutter - einer armen Arbeiterin und Analphabetin - geerbt. Überraschen wird, dass der Dalai Lama schöne und teure Dinge liebt. Er darf sie zwar nicht besitzen, aber betrachten sei ihm schon erlaubt. Thematisiert wird im Film auch die Rolle als Führer der Tibeter, die seit der Invasion der Volksrepublik China im Exil leben müssen. Und zum Schluss meint er noch verschmitzt, nichts spräche dagegen, dass der nächste Dalai Lama eine Frau wird.
Daniella Baumeister war im Film "Weisheit des Glücks" überrascht, dass der nächste Dalai Lama eine Frau sein könnte.||
Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden ist gerade die Ausstellung der Follow-Fluxus-Stipendiatin 2023 Maja Smrekar zu sehen. Die slowenische Künstlerin zeigt dort ältere und neue Arbeiten unter dem Titel Dooms of Love – übersetzt: Schicksal der Liebe. Das könnte für manche eine Provokation sein, denn es geht in Smrekars Kunst um die enge Beziehung zwischen Mensch und Hund.
Tanja Küchle ist in Wiesbaden von der Mensch-Tier-Ästhetik überzeugt worden||
In ihrem neuen Solo "Songs of the Wayfarer", das am Sonntag im Mousonturm uraufgeführt wurde, widmet sich die Choreografin Claire Cunningham dem Wandern. Sie wandert durch verschiedene Gebirgslandschaften, um mit Gustav Mahlers Liederzyklus "Lieder eines fahrenden Gesellen" über Lebenskraft und Verlust nachzudenken. Ein berührender Abend, der der Zerbrechlichkeit Raum gibt und den Zauber des menschlichen Wesens gerade in seiner Vergänglichkeit entdeckt.
Esther Boldt ließ sich von den "Songs of the Wayfarer" von Claire Cunningham im Frankfurter Mousonturm berühren.||
Eine "Alleszerstörerin" hat Karl Kaus Alban Bergs Frauenfigur "Lulu" genannt. Lulu ist eine Frau – Täterin und Opfer zugleich – an der sich eine patriarchale Gesellschaft abarbeitet, indem sie ihre misogynen Phantasien auf sie projiziert. So sieht es Nadja Loschky, die das Werk neu an der Oper Frankfurt inszeniert hat. Lulu wird zur Symptomträgerin, weil sie die gesellschaftlichen Missstände, die heteronormativen Zwänge und sexuellen Abartigkeiten dieser Männergesellschaft an die Oberfläche bringt.
Natascha Pflaumbaum erlebte mit "Lulu" an der Oper Frankfurt eine Frau, die jedes bürgerliche Maß sprengt.||
Die neue Ausstellung im Weltkulturenmuseum Frankfurt heißt "Country bin pull’em. Ein gemeinsamer Blick zurück". Es geht um die Kunst indigener Gruppen in Australien und ein ethnologisches Forschungsprojekt von 1938, das diese erforschte, kopierte und zum Teil mitbrachte. Der damalige Blick auf Kunst und Kult(ur) dreier Ureinwohner-Stämme und die Sicht darauf im heutigen Postkolonialismus werden jetzt miteinander in Beziehung gesetzt. Wer nicht mit indigener australischer Kunst, wie man sie immer mehr auch in aktuellen Biennalen wie etwa in Venedig zu sehen bekommt, nicht so viel anfangen kann, ist hier richtig: Diese Ausstellung öffnet Augen, macht vieles verständlich, gerade weil sie einen großen Bogen von den ethnologischen Objekten zur zeitgenössischen Kunst und zurück schlägt: Man erhält tiefe Einblicke in die Kultur, aus erster Hand - ein echter Schatz und ein großes Erlebnis!
Tanja Küchle kam aus dem Frankfurter Weltkulturmuseum mit vielen Erkenntnissen heraus||
Deutsche Komödien haben nicht den allerbesten Ruf - allerdings gibt es da noch den Regisseur Simon Verhoeven, der fast alleine in der deutschen Filmlandschaft steht. Seine Komödien sind nie anklagend und vor allen Dingen nie peinlich. Das beweist er wieder mit "Alter weißer Mann", der hier von Jan Josef Liefers dargestellt wird. Der trinkt zwar aus einer Tasse mit der Aufschrift "Ich Boss, du nichts"; aber auch er hat mitbekommen, dass die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sich geändert haben und bemüht sich redlich, sich den neuen Zeiten anzupassen.
Der alte, weiße Mann Ulrich Sonnenschein fand sich im Film "Alter weißer Mann" von Simon Verhoeven wieder.||
"Die schöne Magelone" von Johannes Brahms ist gewiss nicht so bekannt wie Schuberts "Die schöne Müllerin". Sein einziger Liedzyklus wurde am Dienstag an der Oper Frankfurt vorgetragen. Ungewöhnlicherweise stehen dabei drei Personen auf der Bühne: Der erst 31-jährige Bariton Konstantin Krimmel ist dieses Jahr zum "Sänger des Jahres" erklärt worden. Am Klavier begleitete ihn Wolfram Rieger. Und die verbindenden Texte - die Brahms vorgesehen hat - sprach Brigitte Fassbaender, der man ihre 85 Jahre nicht ansah. Sie hat "Die schöne Magelone" oft selbst gesungen. Und so ergab sich ein perfektes Zusammenspiel über die Generationen hinweg.
Meinolf Bunsmann erlebte das perfekte Zusammenspiel verschiedener Generationen bei einem Liederabend an der Oper Frankfurt||
Das Hotel Chelsea ist legendär – Kreative aus allen Richtungen haben sich dort in New York, in den 60er, 70er und 80er Jahren getroffen: Janis Joplin, Andy Warhol, Arthur Miller, Sid Vicious von den Sex Pistols, Leonhard Cohen. Ihnen allen und vielen mehr begegnen wir auf der Bühne des Kasseler Schauspielhauses – in einem wilden Ritt aus Musik und Performance. Dabei kommt das Stück "Hotel Chelsea" ganz ohne gesprochene Sprache aus. Das Premierenpublikum feierte den Punkrock: "Hey ho let’s go".
Vera John war erst befremdet, dann begeistert von "Hotel Chelsea" am Staatstheater Kassel||
Das Museum Giersch in Frankfurt ist in einer alten Villa untergebracht, die ursprünglich dem Wohnen gedient hat. Mit der Ausstellung "Our house: künstlerische Positionen zum Wohnen" kehrt das Museum zu seinen Ursprüngen zurück. Jeder Raum ist von einer anderen Künstlerin oder Künstler gestaltet worden. Entsprechend unterschiedlich fallen die Ergebnisse aus. Und da die Kunstwerke zum Wohnen einladen, fällt es manchmal schwer zu entscheiden, was man noch anfassen oder wo man sich setzen darf und wo nicht.
Stefanie Blumenbecker fiel es in der Ausstellung zum Wohnen des Museums Giersch manchmal schwer zu entscheiden, was sie noch anfassen durfte.||
Das "Performing Arts & Digitalität Festival“, PAD, reklamiert für sich, das wichtigste deutschsprachige Festival für die Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks in digitalen Zeiten zu sein. Mario Scalla war bei einer der ersten Veranstaltungen dabei, "S.A.D. - Secretly a dinosaur" war die Aufführung auf der Studiobühne des Staatstheaters betitelt. Digitalität und Multimedialität sind Programm bei diesem Festival – hier werden Texte wie "Alles ist schrecklich. Ich kann nicht mehr. Fühlst du dich ausgebrannt?" vorgelesen, die Leinwand zeigt verwüstete Landschaft, alle Wälder schon vernichtet, vor 65 Millionen Jahren. In vulkanischer Landschaft zwei kleine gezeichnete Dinosaurier, die Gefühle wie Jugendliche von heute hegen. "Wie es ist, heute jung zu sein" - das sollte erzählt werden. Das Bild des Einschlags bekommt da metaphorische Qualitäten, wenn man sich mit aussterbenden Dinos identifizieren soll, keine aufhellende Perspektive. - Ein Beispiel, wie verwobene Welten und die Sprache eine Symbiose eigehen. Das PAD-Festival bietet bis Sonntag (27. Oktober) nicht nur Theater, auch Performances zum Thema künstlerischer Ausdruck in digitalen Zeiten , eine VR-Inszenierung, die sich "Erwartung", der Oper von Arnold Schönberg widmet. Und eine zweitätige Konferenz am Wochenende, auf der es um Theater, KI, Kreativität mit digitalen Mitteln geht.
Mario Scalla hat nur eine Umsetzung des Themas beim Festival des Staatstheaters Wiesbaden gesehen, sich aber schon ein Bild machen können.||
Der spanische Filmregisseur Pedro Almodóvar hat vor fünf Jahren beim Filmfestival in Venedig den Preis für sein Lebenswerk bekommen. In seinem Film "The Room Next Door" setzt er sich nun mit der Sterblichkeit auseinander. Martha (Tilda Swinton) hat als Kriegsreporterin mit dem Tod gelebt; jetzt ist sie selbst todkrank. Zufällig trifft sie ihre Freundin Ingrid (Julianne Moore). Martha möchte sich die Entscheidung vorbehalten, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, und bittet ihre Freundin, im Zimmer nebenan zu warten. Von den Bildern und Dialogen her ein gelungener Film, wenn nicht Almodóvar versucht hätte, auch noch das Thema Klimawandel mit hineinzunehmen.
In Daniella Baumeister wirken die Bilder aus Almodóvars Film "The Room Next Door" immer noch nach. Was kann man Besseres über einen Film sagen?||
"Ikona – Heilige Frauen" heißt die neue Ausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt. Sie wird ausgerichtet vom Ikonenmuseum, das dem Haus angeschlossen ist, und ist die erste Sonderausstellung zu Ikonen in Frankfurt überhaupt. Eine Ikone ist kein Kunstobjekt, wie religiöse Kunst im Westen inzwischen weitgehend verstanden wird. Sie wird wirksam, wenn sie geweiht ist, und dient den Gläubigen als direkter Draht zur Heiligen. Anders als in der westlichen Kunst zeigen die dargestellten Personen nie Gefühle, ihr Gesichtsausdruck wirkt auf uns maskenhaft. Eine spannende Ausstellung für alle, die eine fremdartige Welt religiöser Kunst und Glaubenspraxis erleben wollen.
Stefanie Blumenbecker tauchte in der Ausstellung "Ikona – Heilige Frauen" im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt, in eine fremde Welt ein.||
Im Tanzabend "Broken Bob" am Staatstheater Darmstadt steht "Bob" für den Menschen an sich. Eine androgyne Masse tanzt eine weiße Treppe hinauf und hinab. Nur ab zu löst sich ein "Bob" aus dieser Masse, fügt sich aber im Gedröhn der Elektromusik schnell wieder ein. Mit dieser Neukreation des niederländischen Geschwisterpaars Imre und Marne van Opstal stellt das Hessische Staatsballett wieder zeitgenössischen Tanz vor. Und in "Broken Sense of Beauty" beschreibt die chinesische Choreografin Xie Xin eine persönliche Tragödie: Ihr Tanzstudio in Schanghai ist abgebrannt.
Joelle Westerfeld empfiehlt den Doppelabend "Broken Bob" des Hessischen Staatsballetts nicht nur Liebhabern des zeitgenössischen Tanz.||
Mit elf Jahren sah Pat Metheny die "Beatles" im Fernsehen und wusste: Ich will Gitarre spielen. Von seinen Eltern wünschte er sich so ein Instrument und die sagten: Die musst du dir selbst zusammensparen. Das ist nun sechzig Jahre her und fast so lange steht Metheny schon auf der Bühne. Nur seine rund ein Dutzend Gitarren hat er diesmal dabei, zu jeder einzelnen pflegt er ein persönliches Verhältnis. Und die Alte Oper in Frankfurt ist für ihn ein magischer Ort, den er bei jeder seiner Touren aufsucht. Das Publikum erlebte einen Metheny, der mit dem Alter nicht nur immer experimentierfreudiger, sondern auch gesprächiger wird.
Daniella Baumeister erlebte in der Alten Oper Frankfurt einen Pat Metheny, der mit dem Alter immer experimentierfreudiger wird.||
"Join" ist ein ambitioniertes Kooperationsprojekt: Neben den 17 Tänzerinnen und Tänzern der Frankfurt Dresden Dance Company stehen 25 Studierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst mit auf der Bühne. Mit präzise inszenierten Gruppenszenen sorgt Choreograf Ioannis Mandafounis dafür, dass alle zu ihrem Recht kommen. Das Zusammenkommen verschiedener Generationen erzählt wie nebenbei viel über das Körperwissen, das im professionellen Tanz über Jahre und Jahrzehnte kultiviert wird. Ein mitreißendes Wimmelbild, das auch inhaltlich um Formen von Begegnung kreist – friedliche und konflikthafte, neugierige und routinierte.
Esther Boldt ist vom Zusammenspiel der Dresden Frankfurt Dance Company mit Frankfurter Studierenden begeistert||
"The Rough and Rowdy Ways" heißt die Tour, die Bob Dylan an drei Tagen in die Frankfurter Jahrhunderthalle bringt. hr2-Kritiker Mario Scalla erlebte den US-amerikanischen Singer/Songwriter am ersten Abend aber alles andere als wild: altersmild und abgeklärt wirkte der mittlerweile 83-jährige Musiker, ruhig und episch die Stücke seines neuen Albums.
Mario Scalla fand Bob Dylan trotz seiner 83 Jahre musikalisch und stimmlich voll präsent.||
Beim Gang zur Guillotine ist Hilde Coppi (Liv Lisa Fries) die Nr. 7 von 25 auf ihre Hinrichtung wartenden Frauen. Regisseur Andreas Dresen hat in seinem Film "In Liebe, Eure Hilde" einen ungewöhnlichen Zugang zum Thema Nationalsozialismus gewählt. Sein Film ist weitgehend frei von Hakenkreuzen und ähnlicher Symbolik. Er erzählt das zunächst mal sehr private Schicksal einer Frau, die in den Widerstand gerät. Und wie der Regisseur geht auch die Kamera ganz nah dran, registriert die Regungen in den Gesichtern - bis zum schrecklichen Ende.
Ulrich Sonnenschein lobt, wie Andreas Dresen den Nationalsozialismus in "In Liebe, Eure Hilde" abseits der Klischees darstellt.||
Das Museum Wiesbaden ist Zentrum von Jugendstil und Art Nouveau, Wiener Sezession und Symbolismus. Jetzt gibt es, neben den hochwertigen Gemälden, Möbeln, Vasen, Lampen und Objekten seit letzter Woche auch die Kunst der Straße aus dieser Zeit zu sehen: "Plakatfrauen – Frauenplakate" zeigt Plakatkunst aus der Zeit des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Stefanie Blumenbecker findet, die Ausstellung "Plakatfrauen – Frauenplakate" passe perfekt zum Jugendstil-Schwerpunkt des Museums Wiesbaden.||
"La cage aux folles" am Staatstheater Kassel handelt von einem Nachtclub-Besitzer, der mit seinem größten Star liiert ist: Dragqueen Zaza. Sein Sohn will auf einmal die Tochter eines erzkonservativen Politikers heiraten. Das kann nur für Ärger sorgen. Tut es auch und das wird mit viel Witz, Übertreibung und Klischee auf der Bühne gefeiert. Über allem steht der Hit des Musicals: "I am what I am" – "ich bin, was ich bin". Ein Plädoyer für Toleranz und Vielfalt. Vom Kasseler Premierenpublikum wurde das mit Standing Ovations gefeiert.
Vera John feiert die mitreißende Show und die berauschenden Kostüme bei "La cage aux folles" am Staatstheater Kassel.||
"Rebellin der Moderne" - Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt zeigt eine umfangreiche Retrospektive der Italienerin, die ab den 1930er Jahren künstlerisch aktiv wird. Damals hatte eine Frau gesellschaftlich und künstlerisch nicht viel zu melden. Erst recht nicht im erzkatholischen Italien. Und auch als Künstlerin fühlte sie sich von der internationalen Kunstszene nicht gewürdigt. Also provozierte sie mit ihren Arbeiten, mit grellen, obszönen, verstörenden Collagen. Aber es ging Caral Rama (1918-2015) nicht um die Provokation an sich, sondern um ein Aufbegehren gegen das, was Usus ist. Gegen das, was sich schickt. Das, was im Umkehrschluss, sie als Person und als Künstlerin einschränkt. Sie selbst hat einmal gesagt, sie liebe Objekte und Situationen, die andere ablehnen. Das sagt schon vieles! Kurzum: Es ist beeindruckend, wie Carol Rama sich ihre Freiheit erkämpft und erhalten hat.
Tanja Küchle empfindet die buchstäblich vielschichtigen Arbeiten in der Frankfurter Schirn als bis heute lebendig||
"Der diskrete Charme der Bourgeoisie", "Ein andalusischer Hund" oder "Das goldene Zeitalter" - mit zahlreichen Titeln hat sich Luis Buñuel in die Filmgeschichte eingeschrieben. Javier Espada ist der spanische Buñuel-Experte, und er wagt es, mit dem Dokumentarfilm "Buñuel - Filmemacher des Surrealismus", noch einmal Neues über den Meister zu erzählen. Der Film lohnt sich gerade für die, die noch nicht alles über Buñuel wissen. Und weil es um Surrealismus geht, darf auch manche Frage offen bleiben. Trotzdem ein faszinierender Bilderbogen.
Daniella Baumeister beschreibt "Buñuel - Filmemacher des Surrealismus" als einen faszinierenden Bilderbogen.||
An ein kleines Wunder grenzt, dass Text und Noten der Oper "Gudrun" von Carl Amand Mangold im Staatsarchiv Darmstadt den Bombenkrieg überstanden haben. Große deutsche Opern aus der Romantik sind der "Freischütz" und natürlich die Opern von Richard Wagner. Ansonsten dominierten französische und italienische Komponisten die Szene. Mangolds "Gudrun" war 1850 ein Erfolg und verschwand trotzdem in den Schubladen. Nach rund 175 Jahren wurde die Oper nun im Darmstadtium wieder vorgetragen. Und obwohl die Akustik in diesem Kongresszentrum zu wünschen übrig lässt, ließ die halbszenische Aufführung spüren, dass hier ein großes Werk zu Unrecht in Vergessenheit geriet.
Susanne Pütz meint, dass Carl Amand Mangolds Oper "Gudrun" zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.||
Der österreichische Schriftsteller, der als genialer Opernerzähler gilt und Mitbegründer der Salzburger Festspiele war, würde in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag feiern. Wie kann man Literatur im Museum erzählen? Man kann diese in Vitrinen legen, vor allem, wenn es sich um kostbare Originale oder Erstausgaben oder Schmuckausgaben handelt, aber dann kommt man ja an die Literatur nicht heran. Das Deutsche Romantik-Museum hat für die Ausstellung ein Konzept, das gut funktioniert: Hofmannsthals Nachlass wird in 14 Szenen, also 14 Ausstellungsstationen, um das Werk von Hugo von Hofmannsthals verwoben und stellt so seine poetischen Verfahren vor. Große Hofmannsthal-Fans finden hier genügend Stoff, um an mehreren Tagen wiederzukommen. Und eine Führung hilft ganz sicher, um einen Zugang zu finden, vor allem, wenn man nicht sehr vertraut mit dem Autor ist.
Stefanie Blumenbecker war zunächst von der Fülle erschlagen, hat aber durch eine Führung Orientierung gefunden||
"The winner takes it all" - Der eingespielte Abba-Song im Theaterstück "Triage" von Maya Arad Yasur am Staatstheater Kassel bringt das Thema auf den Punkt: Manchmal haben Ärzte nicht genügend Mittel zur Verfügung, um alle Patienten zu behandeln. Die Autorin spielt am Beispiel von Beatmungsgeräten verschiedene Szenarien durch. Soll man den älteren Patienten sterben lassen, damit der jüngere lebt? Was jedoch, wenn der Ältere Familie hat und der Jüngere ledig ist? Nebenbei werden die Liebschaften und Probleme des Krankenhaus-Personals behandelt. In der Mischung geht das für unsere Kritikerin nicht auf.
Für Vera John hat die Mischung aus Ärzte-Soap und Drama in "Triage" am Staatstheater Kassel nicht funktioniert.||
Die neuen Intendantinnen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden haben am letzten Wochenende ein Premierenfeuerwerk gezündet, mit sieben Premieren in drei Tagen – im Schauspiel stand "Double Serpent" im Programm, eine Uraufführung des US-amerikanischen Autors Sam Max, inszeniert von Ersan Mondtag. Ein sehr beklemmendes modernes Schauermärchen, wunderbar bizarr, auch alles etwas überfrachtet - letztlich geht es wohl darum, einen Glückssuchenden in einer unglücklichen Welt zu zeigen - und die Hauptfigur Connor kommt einem im Laufe des Abends sehr nahe. Eine beeindruckende Inszenierung, starker Aufschlag.
Esther Boldt hat im Schauspiel des Staatstheaters Wiesbaden einen eher düsteren Auftakt gesehen.||
Das Zollamt MMK ist ein eigenständiger Ausstellungsraum gegenüber des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt. Ein Ort, an dem sich seit Jahrzehnten der viel versprechende künstlerische Nachwuchs präsentiert. Die neue Ausstellung mit dem Titel „Corner Dry Lungs“ zeigt Werke der jungen deutsch-ghanaischen Künstlerin Akosua Viktoria Adu-Sanyah. Zu sehen ist viel schwarz, an den Wänden und Backsteinsäulen des großen Raums lehnen riesige, schwarz bemalte Platten.
Tanja Küchle preist die vielschichtige Arbeit von Akosua Viktoria Adu-Sanyah im MMK Zollamt||
Am Samstag war die erste Musiktheater-Premiere am Staatstheater Wiesbaden und gleichzeitig das Antrittsfest der beiden neuen Intendantinnen Dorothea Hartmann und Beate Heine. Ligetis "Le Grand Macabre" verhandelt den drohenden Weltuntergang - ist das eine glückliche Wahl für den optimistischen Neuanfang? Aber dieser Weltuntergang findet ja gar nicht statt, Fehlalarm, und das zügellose Leben in Breughelland kann einfach weitergehen. Genau also kein schlechtes Zeichen. Für den gelungen Auftakt sei stellvertretend Dirigent Leo McFall genannt, sehr souverän leitet er Orchester und Chor (ohne Blickkontakt!) sicher durch die vertrackte Partitur. Toll anzusehen, großartig umgesetzt, sehr intensiv, sehr laut, sehr unmittelbar, ein grell inszeniertes Spektakel mit Sängerinnen und Sängern auf der Höhe ihrer Kunst.
Imke Turner hat in Wiesbaden die Weltuntergangsstimmung live erlebt, auch einen lauten Rettungseinsatz vor dem Staatstheater||
Die Ausstellung "Eclectic Affinities – Hamid Zénati und die Sammlung des Museum Angewandte Kunst" ist für unsere Kritikerin eine echte Entdeckung eines spannenden Künstlers, der 2022 verstorben ist und der jetzt erst entdeckt und gezeigt wird. Hamid Zénati hatte einen enormen Schaffensdrang, hat vor allem auf Textilien gemalt, auf Vasen, Stühlen und anderen Objekten. Und wer hineintritt in diesen großen farbenprächtigen Reigen an tanzenden Formen und Mustern, auf Objekten und v.a. Stoffen, die auch quer durch den Raum gespannt sind, spürt sofort eine Lebendigkeit, einen großen Optimismus, Lebensbejahung: Man wird beschwingt.
Tanja Küchle ist im Museum Angewandte Kunst Frankfurt zur Detektivin geworden||
Im Film "Die Kinder aus Korntal" geht es um Missbrauch innerhalb der evangelischen Kirche der schlimmsten und übelsten Art, ein Film darüber, was Menschen den Schwächsten, den Kindern, antun - unter dem Schutz der Kirche und unter den Augen eines ganzen Ortes. Überlebende sprechen jetzt, ein halbes Leben später, und das ist wichtig und einfach verstörend. Triggerwarnung! Schilderung von Gewalt.
Daniella Baumeister war nach "Die Kinder aus Korntal" froh, auch einen Film über die Weinbauern des Rioja sehen zu können||
Man könnte denken, da gäbe es eine geheime Absprache: Die hessischen Musiktheaterbühnen starten nämlich durchweg mit modernen oder zumindest moderneren Werken in die neue Spielzeit. Der Besuch der Staatsoper in Kassel lohnt sich allein schon des detailverliebten, naturalistischen Bühnenbilds wegen, das Anton von Bredow für Leoš Janáčeks "Katja Kabanowa" entworfen hat. Die dramatische Literaturoper aus dem Jahr 1921 kommt in Nordhessen delikat und geschmackvoll musiziert auf die Bühne, und vor allem die Sängerinnen der drei weiblichen Hauptpartien nehmen das Publikum für sich ein. Am Ende große Zustimmung seitens des Publikums, auch wenn die Regie stellenweise noch etwas mutiger hätte sein können.
Stephan Hübner genoss in Kassel die Musik aus den 1920ern und wünscht sich etwas mehr Pfiff||