Die Tochter einer adligen Familie möchte den Sohn eines Autohändlers heiraten. Weil sie Einwände ahnt, besorgt sie sich Genmaterial ihrer Eltern und Schwiegereltern in spe und lässt es analysieren. Alle waren sie bisher auf ihre rein französische Herkunft stolz, doch der Schwiegervater stellt sich nun zu 50 Prozent als deutsch heraus, die Schwiegermutter zu 50 Prozent als englisch; ihre eigene Mutter ist portugiesischer Herkunft und beim Vater steckt ein Indianer im Stammbaum. In dieser französischen Knallkomödie steckt der Witz im schnellen Schlagabtausch, und wer des Französischen einigermaßen mächtig ist, sollte sich diesen Film im Original anschauen.
Ulrich Sonnenschein bescheinigt der Filmkomödie "Oh la la: Wer ahnt denn sowas?" einigen Witz.||
Barbara Kingsolver, Autorin zahlreicher, vielfach übersetzter Romane, stellt ihren neuen Roman "Demon Copperhead" im Literaturhaus Frankfurt im Rahmen ihrer Welttournee vor. Sie hat für ihn u.a. den Pulitzerpreis und den Woman's Prize for Fiction bekommen. Der große Roman gewährt einen tiefen Blick ins ländliche Amerika, dessen Bewohner in der öffentlichen Meinung kaum eine Rolle spielen: In den Apalachen, der gebirgigen Region, die sich weit über Ostküste bis hoch nach Kanada erstreckt, leben Menschen oft in Trailerparks, in großer Armut, herrschen Opiod-Krise und Tablettensucht.
Mario Scalla war bei einer Lesung dabei, die durch die Leistung von Schauspieler Robert Stadtlober an Wucht gewann||
Es gab einmal eine Zeit, da war die Erinnerung an eine bestimmte Musik mit der Erinnerung an eine Plattenhülle verbunden. Anton Corbijn widmet seinen Film "Squaring the Circle" den kompromisslosesten Designern dieser Plattenhüllen: zwei Designern von "Hipgnosis". Als es noch nicht die Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung gab, zündeten sie halt einen Stuntman an, wenn eine Plattenhülle von Pink Floyd einen brennenden Mann zeigen sollte. Mit zur Wirkung des Films trägt ein Kunstgriff von Anton Corbijn bei: Die Bilder sind schwarz-weiß gehalten, nur die Plattenhüllen leuchten in Farbe. Ein Film für alle, die die Musik der 70er und frühen 80er Jahre lieben sowie für alle, die sich für Design interessieren.
Ulrich Sonnenschein ließ sich vom Film "Squaring the Circle" in die Popmusik der 70er Jahre entführen.||
Selbst mal mit einem Werk in einer großen Kunstausstellung vertreten sein, wäre das nicht schön? Der französische Künster Philippe Thomas hat das möglich gemacht. Welche Personen wurden gesucht? Kunstsammler oder auch Kulturinstitutionen, die sich die Urheberschaft an Kunstwerken kaufen möchten – und zwar bei der Agentur des Künstlers Philippe Thomas.
Gudrun Rothaug kannte den "Künstler-Künstler" nicht und empfiehlt die Schau auf der Maininsel in Frankfurt||
"Die Hamletmaschine" ist ein "Musiktheater in fünf Teilen", das Wolfgang Rihm auf den gleichnamigen Text von Heiner Müller komponierte. Seit seiner Uraufführung 1987 war es selten live zu erleben, doch nun setzt sich das Staatstheater Kassel überzeugend für das monumentale Stück ein. Auf den "Ruinen von Europa" entfaltet sich eine Studie über das Scheitern von Revolutionen und die zerstörerische Natur des Menschen. Die spartenübergreifende Produktion von Oper, Schauspiel und Tanz_Kassel regt damit auch zum Nachdenken über die Gegenwart an.
Stephan Hübner war am Staatstheater Kassel von der Musik überwältigt und bekam viel Denkfutter||
"Auslöschung. Ein Zerfall" ist eigentlich ein Roman des großen Österreich-Hassers Thomas Bernhard, den Felix Metzner für die Bühne im Staatstheater Darmstadt adaptiert hat. Alles, was an Österreich hassenswert ist - die nationalsozialistische Vergangenheit, die Heuchelei der katholischen Kirche - läuft für Bernhard in einem Begriff zusammen: Wolfsegg, und dieses Wolfsegg muss ausgelöscht werden. Auf der Darmstädter Bühne erklingt der typische Bernhard-Sound. Und leider muss man feststellen, dass seine Österreich-Kritik in letzter Zeit wieder an Aktualität gewinnt.
Ursula May erlebte in Darmstadt mit "Auslöschung. Ein Zerfall", wie eine neue Generation von Theatermachern mit Thomas Bernhard umgeht.||
Die japanische Geigerin Midori ist auf Tournee - mit dem Violinkonzert von Antonin Dvořák und der Prague Philharmonia unter der Leitung von Eugene Tzigane. Die Frau mit der Wunderkindkarriere, 1971 geboren, als Kind übergesiedelt in die USA, spielt absolut bemerkenswert: Man hört ihre legendäre perfekte Technik und blitzsaubere Intonation, die sie auf ihrer Guarneri-Geige von 1734 produziert, ganz edle und einfach schöne, elegante Töne.
Meinolf Bunsmann hat im Kurhaus Wiesbaden Dvořáks Achte für sich neu entdeckt||
Veit Helmers Film "Gondola" handelt von einer Seilbahn in Georgien mit genau zwei Gondeln. Die Gondeln werden von den Schaffnerinnen Iva und Nino geführt, und in den wenigen Sekunden, in denen sich die Gondeln über dem Tal treffen, funkt es zwischen den beiden. Mit jeder Fahrt bauen sie die Gondeln etwas um oder basteln an ihrer Verkleidung. Nur ein einziges Wort fällt, aber paradoxerweise lebt dieser Stummfilm von den Geräuschen und der Musik. Veit Helmer dreht am liebsten in den Ländern des Kaukasus, weil er hier seine poetischen Film-Ideen am besten umsetzen kann.
Ulrich Sonnenschein war von Veit Helmers neuestem Film "Gondola" angetan.||
PEN-Clubs für deutsche Schriftsteller gab und gibt es mehrere, darunter den vor 90 Jahren gegründeten Exil-PEN. PEN steht für "Poets, Essayists, Novelists", doch inzwischen können Vertreter aller schreibenden Berufe Mitglied werden. Der Deutsche Exil-PEN wurde 1934 unter anderen von Lion Feuchtwanger und Ernst Toller in Großbritannien gegründet. Auf einer Festveranstaltung in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt wurde die Mission des Exil-PENs als gescheitert bezeichnet, denn Zensur sowie Gründe, ins Exil zu gehen, gibt es bis heute. Doch immerhin ist für deutsche Schriftsteller das Exil inzwischen freiwillig, wie für Barbara Honigmann, die in Straßburg lebt. Und Deutschland ist zu einem Ort geworden, wo Schriftsteller ihr Exil suchen, wie Shida Bazyar aus dem Iran.
Mario Scalla über eine eindrückliche Festveranstaltung zu 90 Jahre Deutscher Exil-PEN in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt||
Das Museum Angewandte Kunst Frankfurt präsentiert Kunsthandwerk und Design aus Frankfurt und der ganzen Welt. Die neue Sonderausstellung „In Serien – 40 Jahre Licht. Form. Material.“ stellt die Arbeit von Manfred Wolf und Jean-Marc da Costa vor. Kennengelernt haben sich beide an der HfG in Offenbach und noch während ihres Studiums haben sie die ersten Leuchten entwickelt. Alte und neue Stücke sind zu sehen - eine kleine Geschichte eines strahlenden Erfolgs.
Darf man dazu noch "Lampe" sagen? Stefanie Blumenbecker ist von den handgemachten Objekten im MAK Frankfurt beeindruckt||
Im zeitgenössischen Tanz spielt der Bühnenraum meist keine große Rolle. Anders in der Choreografie "Glue light blue" von Nadav Zelner am Staatstheater Wiesbaden: Hier tanzen selbst die auf der Bühne herumliegenden Steine, Wände werden hochgezogen und senken sich. Die Szene ist in die Farben hellblau und rostbraun getaucht. Die Musik des israelischen Choreografen klingt orientalisch, und seine Themenwelt entführt in eine fantasievolle Kindheit. Dazu kommt eine hervorragende Leistung des Ensembles, die vom Publikum mit anhaltendem Applaus belohnt wurde.
Ursula May erlebte einen magischen Tanzabend mit "glue light blue" am Staatstheater Wiesbaden||
Die Themen Flucht und Migration sind von beklemmender Aktualität. Doch wie kann man Kindern und Jugendlichen davon erzählen? Das unternimmt das Berliner Performancekollektiv andcompany&Co. in seinem neuen Stück beim Festival "Starke Stücke". Es nimmt Bezug auf Irmgard Keuns Exil-Roman „Kind aller Länder“, heißt jedoch „Land aller Kinder“. Es geht darum, Gegenwart mithilfe der Vergangenheit besser zu verstehen.
Esther Boldt lobt die Sensibilität der Kindertheatermacher aus Berlin||
Wollte man Hannah Arendts Diktum von der "Banalität des Bösen" durch einen Film illustrieren, dann wäre das "The zone of interest" von Jonathan Glazer. Er spielt in einer Villa, die nur durch eine Mauer vom Vernichtungslager Auschwitz getrennt ist. Dort führen der Kommandant von Auschwitz Rudolf Höß (Christian Friedel) und seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) ein banales, nationalsozialistisches Familienleben. Der Film lebt davon, was er nicht zeigt und höchstens auf der Tonspur aus dem Lager hinüberdringt. So ist der Holocaust bisher nie künstlerisch umgesetzt worden; doch erfordert der Film eine Menge Vorwissen und ist keinesfalls als Einführung in das nationalsozialistische Gewaltsystem für Jugendliche geeignet.
Ulrich Sonnenschein findet, der Holocaust-Film "The zone of interest" sei anders als alle anderen Filme.||
Wer ihn bekommt, gilt als vielversprechendes Talent. Der renommierte “Pontopreis MMK“ für Nachwuchskünstlerinnen und -künstler wird alle zwei Jahre vergeben – von der Jürgen-Ponto-Stiftung und dem Museum für Moderne Kunst, kurz MMK, in Frankfurt. Verbunden ist mit dem Preis ein Zugewinn an Renommee, 10.000 Euro Preisgeld und eine Ausstellung. Die diesjährige Preisträgerin ist die Französin Christelle Oyiri. In ihrer eigens fürs Zollamt entwickelten Arbeit, einer so unheimlichen wie verlockenden Rauminstallation, widmet sie sich dem Phänomen der Choufs und dem Scheitern der utopischen Idee des französischen Banlieues. Ihre künstlerische Arbeit ist enorm vielschichtig: sehr analytisch und gleichzeitig sehr poppig, sehr jung und futuristisch, sehr düster, aber gleichzeitig auch sehr gefühlvoll.
Die französische Künstlerin ist jemand, den man auf der Liste haben muss, sagt Tanja Küchle ||
Wer die Verdi-Oper "Otello" am Staatstheater Darmstadt besucht, wird eine riesige Leinwand über der Bühne aufgespannt finden, auf der Otello, Jago und Desdemona als Avatare in einem Computerspiel auftauchen. Die Idee ist nicht schlecht, doch wird dafür immer wieder die Handlung unterbrochen, um das Publikum per Handy über den weiteren Ablauf abstimmen zu lassen. Die Zuschauer reagierten mit Buh-Rufen und Rufen nach mehr Musik. Endgültig zur Reizüberflutung wird die Inszenierung durch mehrere Bildschirme, auf denen alles Mögliche abgehandelt wird. Eine Oper lebt bekanntlich von der Musik. Die war durchaus achtenswert umgesetzt, ging aber durch die Inszenierung unter. Nach der Pause blieben zahlreiche Plätze leer. Das Regie-Team schien am Schluss der Vorstellung die Verstörung zu genießen, die es unter den Zuschauern angerichtet hatte.
Susanne Pütz brummte nach der Aufführung von "Otello" am Staatstheater Darmstadt der Kopf.||
"Der Traumgörge" ist eine Oper, die Alexander Zemlinsky Anfang des 20. Jahrhunderts im Auftrag von Gustav Mahler komponiert hat. Weil Mahler als Jude aus Wien vertrieben wurde, kam es jedoch damals nicht zur Aufführung. Die Oper Frankfurt hat nun dieses selten gespielte Werk aufgegriffen. "Traumgörge" ist ein verträumter Einzelgänger. Die auf den ersten Blick simple Handlung gewinnt vor dem Hintergrund von Sigmund Freuds Einsichten eine komplexe zweite Ebene. Die Musik klingt nach einer Mischung von Mahler und Wagner, ist aber durchaus originell. Herausragend Zuzana Marková als "Gertraud".
Natascha Pflaumbaum beglückwünscht die Oper Frankfurt zur Aufführung von Alexander Zemlinskys "Der Traumgörge".||
Wie immer kurz vor der Oscar-Verleihung laufen im Moment keine großen Filme an, man kann aber richtig schöne, kleine Entdeckungen machen - und das kann große Kinokunst sein: Etwa der Dokumentarfilm mit dem schönen Titel: "And the King Said: What a Fantastic Machine“, ein Film über bewegte Bilder. König Edward VII. soll diesen Satz 1902 gesagt haben, als er den Film über seine Krönung gesehen hatte. Worum gehts in diesem Film?
Daniella Baumeister hat den Eindruck, Filmemacher Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck hätten sich für "And the King Said, what a Fantastic Machine" sämtliche Bilder dieser Welt angeschaut||
Aus schrecklichem Anlass hat der Hanauer Çetin Gültekin sich vorgenommen, die Geschichte seiner Einwandererfamilie zu schreiben. "Geboren, aufgewachsen und ermordet in Deutschland" ist seinem Bruder Gökhan gewidmet, der vor vier Jahren bei dem Anschlag in Hanau umkam. Das Buch fängt mit seinem Vater an, der aus der Türkei angeworben wurde, um in Deutschland eine Autobahn zu bauen. Deutschkurse für die Arbeitsmigranten gab es nicht; mit hohem Arbeitsethos schuf der Vater eine Existenz für seine Familie. Über den Bruder Gökhan schreibt Çetin Gültekin auch Dinge, die die Familie lieber verschwiegen hätte; aber er hat sich absolute Ehrlichkeit vorgenommen. Und dann der Tod in einem rassistisch motivierten Anschlag. Ein Buch für alle, die erfahren wollen, wie das Leben in einer Einwandererfamilie tatsächlich aussieht.
Mario Scalla war beeindruckt von der Lesung, die Çetin Gültekin aus seinem Buch "Geboren, aufgewachsen und ermordet in Deutschland" gab.||
Frankfurt hat ein neues Theater: Im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum öffnete das Jüdische Theater mit der Komödie von Woody Allen "Broadway Danny Rose". Unsere Kritikerin Esther Boldt war etwas erstaunt über die Wahl dieses Stücks, sind doch die Vorwürfe gegen Woody Allen wegen Missbrauchs der Adoptivtochter seiner früheren Partnerin Mia Farrow nicht geklärt. Und tatsächlich wirken die Witze, die Allen auf Kosten von Frauen in seiner Komödie macht, reichlich abgestanden.
Esther Boldt wünscht dem Jüdischen Theater Frankfurt bei der Auswahl seiner nächsten Stücke eine glücklichere Hand||
Die Kunstsammlung des genossenschaftlichen Bankhauses befasst sich ausschließlich mit Fotografie. In den Ausstellungsräumen am Platz der Republik in Frankfurt werden seit vielen Jahren Kunstwerke gezeigt, die das breite Spektrum der künstlerischen Fotografie vor Augen führen. Die aktuelle Ausstellung heißt "Von hier aus – eine Bestandsaufnahme" und versucht genau das zu klären: Wo steht die Fotografie heute? Wie verändert sie sich durch die Digitalisierung, was kann Fotografie in Zukunft sein? Teile der Ausstellung befassen sich mit Fragen von Theorie und Geschichte der Fotografie, Digitales ist insofern ein Thema, als eine unübersehbar große Fülle an Möglichkeiten angedeutet wird. Das ist ein Ritt durch Geschichte und Möglichkeiten, macht neugierig auf die kommenden Ausstellungen - zumal die Kuratoren um Christina Leber immer ausführlichen und exzellenten Lesestoff dazu anbieten. Mit diesem kostenlosen Heft in der Hand erschließt sich auch diese Kunst besser und führt weiter.
Stefanie Blumenbecker war in der DZ Bank und empfiehlt die Lektüre des Katalogs||
Sind wir nicht alle ein bisschen Woyzeck? Regisseurin Eva Lange begreift Büchners "Woyzeck" am Hessischen Landestheater Marburg nicht als Individuum, sondern als Kollektiv. Deswegen stellt sie einen Chor von acht Personen auf die Bühne, die den Text gemeinsam skandieren. Und tatsächlich eignet sich Büchners Sprache gut zum Skandieren. Und weil der "Woyzeck" ein Fragment ist, erlaubt sich Eva Lange, noch einen modernen Schluss hinzu zu dichten: Woyzeck kommt in eine Gewaltpräventions-Therapie und Marie in ein Mutter-Kind-Heim. Manchmal wirkt das Ganze etwas verkopft, aber jedenfalls gibt es viel Stoff zum Nachdenken in Marburg.
Natascha Pflaumbaum über eine ungewöhnliche "Woyzeck"-Aufführung am Hessischen Landestheater Marburg||
"Shallow Lakes" ist eine Installation der Künstlerin Melike Kara. Sie ist in Deutschland geboren und hat einen kurdischen Familienhintergrund - der spielt hier eine bedeutende Rolle. Ihre Gestelle, die mit bemalten Leinwänden bespannt sind, bieten einen eher abstrakten Assoziationsraum. Man sieht festgefrorene Seen, bemerkt Kälte des Metalls, nach oben wandert der Blick: Zu Wandfolien, Tapeten, großformatigen alten Hochzeits- und Familienfotos, denen man ansieht, dass dort die Eltern- und Großelterngeneration verewigt wurde. In den Collagen wird einiges deutlich, es bleiben viele Unschärfen. Steckt Zerrissenheit in dieser Migrationsgeschichte? Wer durch diese Ausstellung geht, sammelt Informationen, setzt sich das alles peu à peu zusammen. Das ist Erinnerungsarbeit, ein Sammeln ohne Sicherheit. Es bleiben Geheimnisse und Rätsel. Insofern ist dieses Kunstwerk ein Ort für die verstreute kurdische Community - aber auch für jedeermann - um zu schauen, wie familiäre Vergangenheit kulturell aufbewahrt und erinnert werden kann.
Mario Scalla hat sich Zeit genommen und viele Details in dieser riesigen Collage entdeckt ||
Die ungewöhnliche Story über die Kommissarin Marianne Atzerodt-Freier, eine Pionierin bei der Polizei: Sie löst nicht nur einen der spektakulärsten Mordfälle der deutschen Kriminalgeschichte, sie kämpft auch mit dem System. Frauen als Ermittlerinnen waren in dieser Männersparte nicht gern gesehen. Auf jeden Fall passt "Die Unsichtbaren“ sehr gut in den Zeitgeist, Krimis sind in. Und das hier ist wirklich "True Crime": Ein Familienvater foltert, mordet und fällt nur dieser Polizstin auf. Filmemacher Matthias Freier ist der Stiefsohn der Kommissarin - und kommt so sehr nah an sie ran. Es ist eine Geschichte aus einer Zeit, als Frauen sich nicht übers Gendern Gleichberechtigung und Anerkennung besorgten, sondern über Durchhaltevermögen und Starrsinn im positiven Sinn.
Daniella Baumeister schauderte es bei "Die Unsichtbaren", dem Dokumentarfilm von Martin Freier ||
Der Schwank "Der Raub der Sabinerinnen" aus dem Jahr 1883 ist nicht tot zu kriegen. Und er ist ja tatsächlich witzig. Den Schauspielern vom Schauspiel Frankfurt erlaubt er, ihr komödiantisches Talent unter Beweis zu stellen. "Der Raub der Sabinerinnen" ist ein Stück im Stück, das Gymnasialprofessor Gollwitz als Student geschrieben hat. Theaterdirektor Striese kommt nun auf die fatale Idee, die "Jugendsünde" des Professors aufführen zu wollen. Der Witz und Kunstgriff besteht darin, dass man vom Stück selbst gar nichts zu sehen bekommt, sondern nur das Chaos hinter der Bühne. Ideal für alle, die mal wieder befreit lachen wollen.
Ursula May vergnügte sich im "Raub der Sabinerinnen" am Schauspiel 'Frankfurt||
An Händels Oper "Xerxes", die das Stadttheater Gießen präsentiert, stimmt nichts - und damit alles. Der Gießener Xerxes ist mit einer Frau besetzt (Fanny Lustaud). In der Opernhandlung verliebt sich diese(r) Xerxes in die Ehefrau seines Bruders - in Gießen ebenfalls eine Frau. Damit entsteht die lustigste Verwirrung der Geschlechter. Mit dazu bei trägt eine Rolle, die bei Händel überhaupt nicht vorkommt: eine Putzfrau. Sie sagt nichts, sie singt nichts, aber mit ihrem Besen bringt sie schwungvoll die Handlung in Gang. Wer einen vergnüglichen Abend verbringen will, mache sich auf nach Gießen!
Susanne Pütz amüsierte sich gut im "Xerxes" des Stadttheaters Gießen||
In dem irischen Film "My sailor, my love" ist eine Tochter mit der Pflege ihres alternden Vaters überfordert und sucht ihm eine Haushälterin. Die verträgt sich mit dem grummelnden Matrosen für den Geschmack der Tochter eher zu gut. Doch wer denkt, er wüsste, wie solche Filmromanzen ausgehen, der wird von "My sailor, my love" überrascht sein. Die Schauspieler Brid Brennan and James Cosmo sind eine hervorragende Besetzung, und eine geheime Hauptrolle spielt die wilde Landschaft der westirischen Küste.
Ulrich Sonnenschein ließ sich vom Film "My sailor, my love" gerne nach Irland entführen.||
Der französische Kandidat für den Auslands-Oscar ist "Geliebte Köchin" von Tran Anh Hung. Eugénie - gespielt von Juliette Binoche - ist Köchin bei dem Gastronomen Dodin (Benoît Magimel). Seit 20 Jahren kocht sie für ihn auf höchstem Niveau. Dodin würde sie gern zu seiner Frau machen, doch bisher hat sie seine Anträge abgelehnt. Da verfällt er auf eine wahnwitzige Idee: Ein einziges Mal wird er für sie kochen. Ein perfekter Film - wenn nur der banale deutsche Titel nicht wäre.
Daniella Baumeister warnt davor, "Geliebte Köchin" zu sehen ohne vorher gut gespeist zu haben||
Der Lyriker José Oliver schreibt auf Deutsch, sein Kollege Mario Martín Gijón auf Spanisch. Beide übersetzen des jeweils anderen Gedichte in die andere Sprache. Bei einem von Hessischen Literaturforum organisierten Gespräch im Frankfurter Mousonturm gaben sie Einblick in ihre Übersetzerwerkstatt. Was soll man zum Beispiel damit anfangen, dass im Spanischen die Vokale "a" und "o" vorherrschen, im Deutschen dagegen "e" und "i". Wie wirkt sich die Tatsache aus, dass es im Spanischen zwei verschiedene Artikel gibt, im Deutschen dagegen drei? Wer die eigene Sprache aus dem Blickwinkel einer fremden Sprache betrachtet, lernt auch viel über die eigene Kultur.
Mario Scalla tauchte im Hessischen Literaturforum in die Feinheiten der deutschen und der spanischen Sprache ein.||
Er ist seit vielen Jahren ein klingender Name in der Musikwelt: Zunächst als Pianist, später dann mehr und mehr als Dirigent. Die Liste der Orchester, bei denen er als Chefdirigent gewirkt hat, ist lang. Am Wochenende war Christoph Eschenbach in Kronberg und Frankfurt zu Gast, denn die Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hat ihm die Ehrendoktorwürde verliehen - feierlich, aber nicht zu akademisch oder gar steif, sondern in zwei Gesprächsrunden wurde Christoph Eschenbach den Anwesenden noch etwas persönlicher vorgestellt, als dass die Aufzählung seiner vielen und wichtigen Stationen als Musiker eben leisten könnte. Dazu gab es aber auch Musik von Ensembles der Musikhochschule. Im Herbst wird er noch einmal ein neues Amt antreten, dann wird Christoph Eschenbach für fünf Jahre die Breslauer Philharmonie leiten – und damit schließt sich ein Kreis: denn in Breslau wurde er 1940 geboren, unter denkbar schwierigsten Umständen. Nun kehrt er zurück und kann wieder mit einem neuen Orchester gemeinsam Musik erleben.
Martin Grunenberg skizziert den Lebensweg des wichtigen Dirigenten anlässlich eines Abends in der HfMDK Frankfurt||
Über wild abgelagerten Sperrmüll kann man sich ärgern - oder ihn als Kunst begreifen, so wie Maike Häusling in der Ausstellung "Entsorgte Moderne" im Studio West der Kunsthalle Darmstadt. Nicht nur malt sie auf Brettern aus dem Sperrmüll, ihr Thema sind auch die Sperrmüllhaufen, die bei näherer Betrachtung durchaus künstlerisch reizvoll sein können. Katja von Puttkamer nimmt sich dagegen Gebäudedetails der Nachkriegsmoderne vor. Und auch hier ist so manches architektonisch reizvolle Detail zu entdecken. Nicht zuletzt ist auch die Kunsthalle Darmstadt selbst ein Beispiel für diese Nachkriegsmoderne, die gegenwärtig massenhaft abgerissen und damit entsorgt wird.
Stefanie Blumenbecker findet, dass "Entsorgte Moderne" in Darmstadt Kunst ist, die nicht einfach weg kann.||
"Komödie der Worte", unter diesem Titel hat das Wiesbadener Staatstheater drei selten gespielte Einakter von Arthur Schnitzler herausgebracht: Der große Ergründer seelischer Zustände hat sie Anfang des vorigen Jahrhunderts geschrieben, über Beziehungsprobleme, wie man sie heute noch kennt. Regisseur Noah L. Perktold und die souverän agierenden Schauspieler toben sich ziemlich aus, es gibt sehr böse Pointen - die Stücke sind Steilvorlagen für gute Schauspieler: großartige Dialoge, Wendungen, die sich nicht unbedingt vorher sehen lassen - lustig und unterhaltsam.
Urusula May ist im Staatstheater Wiesbaden immer wieder das Lachen im Halse stecken geblieben.||
Am 19. Februar 2020 erschoss ein Täter neun Hanauer Bürger aus Einwandererfamilien, sowie seine eigene Mutter und sich selbst. Said Etris Hashemi wurde schwer verletzt, unter den Ermordeten waren ein Bruder und Freunde. Im Frankfurter Mousonturm stellte Hashemi nun sein Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte" vor. Zeugen berichten darin zum Beispiel, dass der Notausgang in dem Lokal auf Anordnung der Polizei versperrt gewesen sei. Und Hashemi erzählt, wie die fünf Minuten Gewalt sein Leben umgekrempelt haben; noch heute kann er nicht in einem Lokal sitzen, ohne die Umgebung ständig im Blick zu haben.
Mario Scalla kam beeindruckt aus der Lesung von Said Etris Hashemis Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte" zurück.||
Der Darsteller in dem österreichischen Film "Rickerl - Musik is höchstens a Hobby" schlägt konsequent jede Chance aus, sich aus seiner prekären Lebenssituation zu befreien. Sein Biotop sind die Wiener Kneipen; aber da ist auch noch der kleine Sohn, um den er sich kümmern muss. Und manchmal wirkt es, als ob er sich zwischen Sohn und Musik entscheiden müsste. Eine geheime Hauptrolle in dem Film spielt die Stadt Wien, und wer den österreichischen Zungenschlag liebt, kommt hier voll auf seine Kosten.
Ulrich Sonnenschein war dankbar für die deutsch-sprachigen Untertitel in dem österreichischen Film "Rickerl - Musik is höchstens a Hobby"||
Das Feuerwerk der guten Laune zündet im Publikum erst so richtig im 2. und 3. Akt, dafür aber umso mehr. Viele Lacher, viel Applaus und Bravorufe - diese Musik ist ein Fest für Jacques-Offenbach-Fans und macht Spaß! Was die Inszenierung angeht, bietet Regisseurin Katharina Thoma viel fürs Auge, eine Mischung aus Biederkeit und witzigen Regieeinfällen, aber auch sehr viel Stapstick. Eine Oper mit satirischem Potential, eine Verwechselungskomödie, eine Mischung aus Tradtion und Moderne im quasi barocken Bühnenbild von Etienne Pluss. Pourquoi pas? Alpenidyll mit Bergen und Bäumen, Grenzübergrang oder Autobahnrestaurant - dazu ein schlank besetztes agiles Orchester unter Gastdirigent Karsten Januschke, wie immer ein toller Chor mit witzigen choreographischen Einlagen, das Riesenaufgebot im Soloensemble: 22 Sängerinnen und Sänger, allein elf Tenöre, wohl ein Rekord. Fast alle aus dem eigenen Ensemble sind besetzt, Gerard Schneider als Räuberhauptmann; Elizabeth Reiter und Kelsey Lauritano als seine Tochter und seinen Schwiegersohn in spe stechen hervor - Kompliment!
Meinolf Bunsmann lobt Stimmen und Kurzweil in "Die Banditen" - und die Rutsche...||
Der deutschen Kulturszene ist vorgeworfen worden, im Oktober mit Schweigen auf das Massaker der Hamas an zahlreichen Israelis reagiert zu haben. Nicht so am Staatstheater Darmstadt. Intendant Karsten Wiegand hat sich sofort daran gemacht, die Kammeroper "Pnima ... ins Innere" von Chaya Czernowin vorzubereiten, die am Samstag - am Holocaustgedenktag - aufgeführt wurde: Der neunjährige Momik versucht herauszufinden, warum seine Eltern nicht mit ihm über den Holocaust sprechen. Sein Großonkel, der das KZ überlebt hat, will ihm dringend etwas mitteilen, aber heraus kommt nur Stammeln.
Susanne Pütz empfiehlt unbedingt die Kammeroper "Pnima ... ins Innere" in Darmstadt zu besuchen - und vorher die Einführung zu hören.||
Es gibt eine neue Reihe, die dem Jazz in Frankfurt noch mehr Spielmöglichkeiten geben soll: Gestern Abend hatte "Ella & Louis" im Frankfurter Holzhausenschlösschen Premiere. Das Konzert des Trompeters Thomas Siffling und seiner Band war auch eine Verneigung vor einer langen Tradition, die der Saxophonist Emil Mangelsdorff über Jahrzehnte fortgesetzt hatte, bis zu seinem Tod vor zwei Jahren. Die Band, die da auf der Bühne stand, hatte so noch nie vorher gespielt, einige kannten sich noch nicht mal, aber es passte, und die Energie hat sich schnell aufs Publikum übertragen. Thomas Siffling sagte, das sei ein Glücksfall, man hat es noch nicht zwanzig Mal gespielt und es entsteht ganz neues - wenn es passt. Und das passte! In diesem Fall mit weitgehend altem aber sensationellem Material. Gut, dass Siffling diese Tradition fortsetzt, demnächst mehr von ihm und anderen!
Daniella Baumeister freute sich am Zusammenspiel von Thomas Siffling und Freunden - als Fortsetzung der Konzerte mit Mangelsdorff||
Katrin Rothes Film "Johnny & me" ist eine Hommage an den kommunistischen Grafiker John Heartfield. Aus Protest gegen den deutschen Nationalismus legte er sich einen englischen Künstlernamen zu, und mit seinen Collagen und Fotomontagen trieb er die Nationalsozialisten zur Weißglut. Im Film entdeckt die Grafikerin Stephanie - gespielt von Stephanie Stremler - die Kunst ihres Kollegen aus den 1920er Jahren neu. Das Faszinierende dabei ist, wie der Film selbst mit den Mitteln der Kunst von John Heartfield arbeitet. Ein Triumph der Animationstechnik!
Ulrich Sonnenschein sieht Parallelen im Film "Johnny & me" zur Zeit von heute.||
So eine Schenkung bekommt man nicht alle Tage: Das Städel zeigt einen Querschnitt des kompletten Schaffens von Honoré Daumier. Die Werke stammen vom Frankfurter Sammler und Anwalt Hans-Jürgen Hellwig. Dieser vermachte mehr als 4.000 Lithographien, Zeichnungen, einige Bronzeplastiken und zwei Gemälde des französischen Karikaturisten und Künstlers des 19. Jahrhunderts. Im Kabinett gibt es neben fast jeder Karikatur einen kurzen Text, der relevante Hintergrund, Personen und Kontext erläutert. Das zeichnerische Können Daumiers, die große Ausdrucksstärke, gewonnen oft aus den genau richtig gesetzten, scharfen Kontrasten von schwarz und weiß, aus genau dem richtigen Schwung der solitären Linie, bereiten auch ästhetisches Vergnügen. So traurig und gravierend die Inhalte oft sind: Es macht – umso mehr mit dem zeitlichen Abstand zum Dargestellten, den wir heute einnehmen können – einen Riesenspaß, sich das anzusehen!
Tanja Küchle hat auf den sehenswerten Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert sogar den ein oder anderen Zensurvermerk entdeckt||
Die Dresden Frankfurt Dance Company zeigt Katja Erfurths und Florian Mayers Tanzstück "Wandeln" im Bockenheimer Depot. Sie tanzt, er, der klassisch ausgebildete Violinist, spielt und die beiden tun das ausdrücklich für Kinder. Katja Erfurth tanzt barfuß im roten Kleid, der klassisch ausgebildete Violinist und Komponist Florian Mayer, ebenfalls barfuß, spielt in T-Shirt und bequemen Hosen Kompositionen von Johann Sebastian Bach und Neue Musik. Die beiden leben in Dresden und arbeiten bereits seit Mitte der neunziger Jahre zusammen. Den philosophischen Titel „Wandeln“ setzen die an der Palucca-Schule ausgebildete Tänzerin und der vielseitige Musiker auf begeisternd wortwörtliche Weise um.
Wibke Hüster ist wie die kleinen Zuschauer vom Ton-Tanz-Projekt der DFDC begeistert ||
Eine Gruppe Menschen, die überraschend in einem Raum auf unbestimmte Zeit festgesetzt wird, ist ein beliebter Topos in der Kunst. Das komische wie tragische Potenzial dieser Situation buchstabiert Luis Buñuel in seinem Film von 1962 durch, Regisseurin Claudia Bauer hat diese Situation nun für die kleine Bühne des Schauspiels Frankfurts adaptiert. Es geht ganz klar um eine Handlungsfähigkeit einer gesellschaftlichen Klasse, die aufgrund ihrer guten wirtschaftlichen Situation mit großer Verantwortung betraut ist - die sich aber außerstande sieht, dieser gerecht zu werden und ins Handeln zu kommen, obgleich sich die Krisen anhäufen. Im Kammerspiel sieht unsere Besucherin einen handwerklich sehr gut gemachter Abend mit gut aufgelegtem Ensemble, der dramaturgisch allerdings Problem der Vorhersehbarkeit habe - entsprechend gebe es einige Längen. Inhaltlich bewege er sich nah an tagesaktuellen Diskursen, aber man erfahre wenig Neues, was schade ist.
Esther Boldt über die erste Bühnen-Adaption des Luis-Buñuel-Films in Frankfurt||