Die Kammeroper Frankfurt hat mit großem Erfolg die Oper "Sanatorio Express" des finnischen Komponisten Iiro Rantala im Palmengarten aufgeführt. Die endet eigentlich happy: Die beiden neurotischen Paare sind geheilt. Doch Regisseurin Ingrid El Sigai fand den Stoff zu gut, als dass man ihn nicht fortspinnen könnte. "Nach der Neurose ist vor der Neurose", dachte sie sich, und stellt nun mit "Die fröhliche Neurose" lauter unglücklich verliebte Neurotiker auf die Bühne. Die singen sich von klassischen Arien bis zu Biene Maja einmal quer durch die Musikgeschichte, und um ihres Liebeskummers Herr zu werden, treiben sie dabei unbeholfen Yoga. Der Effekt ist unglaublich komisch.
Natascha Pflaumbaum hat sich selten so gut amüsiert wie bei "Die fröhliche Neurose" im Palmengarten Frankfurt.||
"Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, ist es wahrscheinlich eine Ente." Diesen Spruch gab es im Englischen schon lange bevor die "Fake News" aufkamen. Die schottische Künstlerin Rachel Maclean produziert in ihrer Arbeit "Mama Mimi Duck" in der Kunsthalle Gießen Enten. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz versetzt sie sich in Kurzfilmen in die körperliche Hülle von Prominenten wie Marylin Monroe. Ein anderer Teil der Kunsthalle ist ganz in pink und hellblau gehalten, den Signalfarben für das Geschlecht von Babies. Hier geht es der Künstlerin darum, dass Mutterschaft nicht nur das reine Glück bedeuten muss, sondern auch ambivalente Gefühle auslösen kann. Und in "Mimi" thematisiert Maclean die Erwartung an junge Mädchen, umwerfend schön aussehen zu müssen. Wer diese Erwartung nicht erfüllt, wird unsichtbar gemacht. In Gießen gibt's trotzdem viel zu sehen.
Christiane Hillebrand fand in der Kunsthalle Gießen mit "Mama Mimi Duck" ein Füllhorn von Ideen vor.||
Vergangenen Freitag wäre der US-amerikanische Schriftsteller James Baldwin 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat das Deutsche Filmmuseum eine Filmreihe gestartet, mit Spielfilmen und Dokumentationen. Filme von 1958 bis 2018, von "Flucht in Ketten", bis "If Beale Street could talk", dazu der Oscar-gekrönte "I am not your negro" - eine wirklich gute, sehr politische Mischung, denn Baldwin hat sich auch als Bürgerrechtsaktivist verstanden.
Mario Scalla empfiehlt sich mit dem Autoren und seinen- Protagonisten zu beschäftigen - denn das Thema Rassismus hat (nicht nur) die USA fest im Griff||
Blockflöte, Klavier, Tuba und Bratsche - es ist schon eine ungewöhnliche Kombination, mit der die "Hanke Brothers" die Darmstädter Residenzfestspiele am Freitag eröffneten. Und weil es klassische Musikstücke für diese Kombination schlicht nicht gibt, sind alle Stücke eigens für die vier Brüder komponiert. Darunter sticht "Europa" von Aleksey Igudesman hervor, eine viertelstündiger Spaziergang durch die Musikkulturen Europas. Den "Hanke Brothers" gelang so ein fulminanter Auftakt der Residenzfestspiele. Einziger Wermutstropfen ist, das noch zahlreiche Sitze leer geblieben waren.
Stephan Hübner kehrte beschwingt vom Konzert der "Hanke Brothers" bei den Darmstädter Residenzfestspielen zurück.||
Wer "Stern", "taz" oder "Süddeutsche Zeitung" liest, kennt die Karikaturen von Miriam Wurster. Vor allem die Beziehungsschwierigkeiten von Mann und Frau nimmt sie gerne aufs Korn. Auf dem Plakat zur Ausstellung im Caricatura-Museum Kassel mit Wursters Werken steht eine Frau am Ufer und ruft ihrem ertrinkenden Mann zu: "Schrei mich bitte nicht so an!" Aber auch in die Politik mischt sie sich ein, wenn sie etwa einen "klimafreundlichen E-Panzer" konstruiert. Seit gut drei Jahrzehnten erfreut uns Wurster mit ihren Karikaturen, Cartoons und Comics, und so wurde es Zeit für den Gesamtüberblick im Caricatura-Museum Kassel.
Jens Wellhöner genießt den bösen Witz von Miriam Wurster im Caricatura-Museum Kassel.||
Welche Filmnation kann besser verletzte Gefühle im Kino zeigen als Frankreich? Doch leider garantiert auch das nicht gleichbleibend gute Ergebnisse. In "Liebesbriefe aus Nizza" von Ivan Calbérac entdeckt ein pensionierter General auf dem Dachboden Liebesbriefe an seine Frau, die definitiv nicht von ihm stammen. Und obwohl die Liebesbriefe 40 Jahre alt sind und seine Frau ihr Leben mit ihm verbracht hat, wird er von Eifersucht gepackt. Vor allem Sabine Azema lässt in einigen Szenen aufblitzen, was für eine hervorragende Schauspielerin in ihr steckt, aber insgesamt ist dieser Film viel zu schematisch geraten.
Ulrich Sonnenschein hat sich von dem Film "Liebesbriefe aus Nizza" mehr erhofft.||
Musik gehört in die Konzerthalle, bildende Kunst in die Kunsthalle. Die Kunsthalle Mainz unterläuft dieses Schubladendenken mit Ari Benjamin Meyers' "Always Rehearsing", also einer "endlosen Probe". Meyers' Kunst bewegt sich im Grenzgebiet zwischen Kunstinstallation und Komposition. Sogar einen Chor hat Meyers eigens gegründet mit Sängerinnen und Sängern aus dem Zollhafen, wo die Kunsthalle steht. Und in einer Installation laufen die Besucher zum Beispiel über unzählige Bleiplatten mit Musiknoten, die aus dem Archiv des Schott-Verlags stammen. Ein synästhetisches Erlebnis.
Gudrun Rothaug warf einen Blick über den Rhein mit Ari Benjamin Meyers' "Always Rehearsing" in der Kunsthalle Mainz.||
Das Stadttheater Gießen hat eine neue Intendantin, und Simone Sterr hat ihre erste Spielzeit mit einem großen Erfolg abgeschlossen: 18.000 Besucher mehr besuchten die Vorstellungen. Inzwischen wird im Theatergebäude renoviert, sodass die Intendantin kurzerhand eine Sommerbühne vor dem Theater aufbauen ließ. Hier lief zuletzt der Liederabend "Wunder gibt es immer wieder", und das Publikum ging trotz Nieselregens begeistert mit. Ein neuer Beweis, dass dieses Theater sich wirklich zur Stadt geöffnet hat.
Stephan Hübner erlebte ein begeistertes Publikum beim Liederabend "Wunder gibt es immer wieder" am Stadttheater Gießen.||
Die Stadt Mörfelden-Walldorf hat sich um die Förderung der Skulpturen-Kunst verdient gemacht, denn schon zum 26. Mal richtet sie ihren "Skulpturenpark" aus. Diesmal stellen elf Künstlerinnen und Künstler ihre Werke aus. Die Präsentation im Freien bedingt, dass die haltbaren Materialien vorherrschen: Stein, Beton, Glas und Stahl. Aber die besondere Leistung besteht darin, dass die Skulpturen wie naturwüchsig aus dem Boden hervorwachsen. Und wäre nicht der Lärm aus der Flugschneise zum Frankfurter Flughafen, wäre dies ein perfekter Ort zum Meditieren.
Martin Maria Schwarz verbrachte einen anregenden Aufenthalt im Skulpturenpark Mörfelden-Walldorf||
Das Museum für Moderne Kunst Frankfurt richtet in seiner Filiale im Tower dem Künstler Gustav Metzger erstmals in Deutschland eine Einzelausstellung aus. Metzger ist in der hiesigen Kunstszene kaum bekannt, nicht nur weil er in Großbritannien lebte und dort am Rande der Gesellschaft. Sein Protest gegen die Vermarktung von Kunst ging soweit, dass er 30 Jahre lang ganz verstummte. Dann schuf er aber seine stärksten Kunstwerke. "To Crawl Into - Anschluss" zeigt zum Beispiel Juden in Wien, die 1938 gezwungen werden, die Straße mit Zahnbürsten zu reinigen. Um das Foto zu betrachten, muss der Besucher allerdings dieselbe Haltung einnehmen wie die gequälten Juden.
Stefanie Blumenbecker lobt das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt dafür, den nahezu unbekannten Gustav Metzger groß herauszubringen.||
1965 war die "Die Ermittlung" von Peter Weiss das am meisten gespielte Theaterstück auf deutschen Bühnen. Weiss hatte die Aussagen aus dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess mit Zeitungsartikeln und persönlichen Aufzeichnungen collagiert. Rolf Peter Kahl hat das Theaterstück nun in einen Kinofilm übertragen. Und er geht radikal vor: Es gibt keine Spielszenen, keine der so beliebten Experteninterviews, noch nicht einmal eine Studiodekoration. Der Film wirkt allein durch das gesprochene Wort, und das wird von 60 der besten deutschen Schauspieler vorgetragen. Und dann ist da noch die Länge: Der Film dauert in seiner ungekürzten Fassung vier Stunden, aber keine Minute davon ist überflüssig.
Daniella Baumeister findet, dass jede einzelne Minute den vierstündigen Film "Die Ermittlung" von Rolf Peter Kahl trägt.||
Kaum eine Kunst ist so allgegenwärtig - und so leicht zu übersehen - wie die Schriftgestaltung. Immerhin gibt es in Offenbach ein eigenes Museum, das sich diesem Thema widmet. In der Ausstellung "Same Bold Stories?" des Klingspor-Museums geht es um den Beitrag den Frauen und Menschen, die sich als nicht-binär definieren, zur Schriftgestaltung geleistet haben. "Bold" steht hier für den Schriftschnitt "fett", kann aber auch als "mutig" oder "frech" gelesen werden. Die Schriftgestalterinnen schufen Schriften, die zum Beispiel Texte am Computer gut lesbar machen. Und manchmal gelingen ihnen Kunstwerke, die sogar zu Symbolen des Widerstands etwa im Iran aufstiegen.
Mario Scalla ließ sich von der Ausstellung "Same Bold Stories?" im Klingspor-Museum Offenbach überzeugen, dass auch Schriften gegendert werden können.||
Vorausgesetzt, das Wetter spielt mit, gibt es kaum einen schöneren Ort, als einen lauen Sommerabend bei einer "Kammeroper" im Palmengarten Frankfurt zu verbringen. Diesmal bewies die Kammeroper Mut und setzte eine neue Oper auf den Spielplan: "Sanatorio Express" des finnischen Komponisten Iiro Rantala. Ein Scharlatan hat ein Sanatorium eröffnet, wo er eine reiche Klientel mit allerlei Wehwehchen um ihr Geld erleichtert. Und weil Rantala fand, dass es Zeit wird, auch mal ein schwules Paar auf die Opernbühne zu stellen, hat er auch das untergebracht. Rantala hat sich einen Namen als Jazzpianist gemacht, doch die Musik hier ist ein gefälliger Stilmix.
Martin Grunenberg ist des Lobes voll über die neue Oper von Iiro Rantala "Sanatorio Express"||
Mit so einen "Karneval der Tiere" hatten die Besucher wohl nicht gerechnet, denn bei der Aufführung im Kurpark wirkten die Wiesbadener Halsbandsittiche lautstark und durchaus musikverständig mit. Von einem Kurpark darf man natürlich nicht die Akustik eines Konzertsaals erwarten. Die Musik muss künstlich verstärkt werden, was für die Besucher in der Mitte der Stuhlreihen eine Mischung aus natürlichen und künstlichen Quellen ergibt. Aber die Atmosphäre entschädigt für alles. Lang Lang und seine Frau - die Wiebadenerin Gina Alice - hatten sichtlich Spaß, einander die Bälle am Klavier zuzuwerfen. Das "Schleswig-Holstein Festival Orchestra" begleitete sie kongenial unter der Leitung von Ion Marin. Und Axel Milberg war die perfekte Wahl, um die Texte vorzutragen.
Meinolf Bunsmann verbrachte einen angenehmen Abend bei Klaviermusik von Lang Lang und Gina Alice und dem Gesang der Halsbandsittiche im Kurpark Wiesbaden.||
Die Jahresausstellung des Frankfurter Palmengartens "Verspielt?" widmet sich dem Verhältnis von Pflanzen und Insekten. Schließlich gäbe es keine Blüten, wenn sie nicht Bestäuber anlocken müssten. Gezeigt werden Arbeiten von 31 Künstlern, und auch ihre Medien sind mit Metallskulpturen, Videoanimationen, Klangkunst, Fotografie und Malerei äußerst vielfältig. Die Ausstellung konzentriert sich zwar auf eine Ausstellungshalle, doch sind einige Arbeiten im gesamten Palmengarten zu entdecken. Und vielen Kunstwerken ist ein melancholischer Zug eigen, der auf die menschengemachten Verluste in der Natur hinweist.
Mario Scalla war erstaunt über die verschiedenen Zugänge, die die Künstler in der Ausstellung "Verspielt?" im Frankfurter Palmengarten gewählt haben.||
Die neue Sommerkomödie aus Frankreich heißt "Juliette im Frühling". Das alleine wäre noch nicht Grund, den Film zu besprechen, wenn Regisseurin Blandine Lenoir ihn nicht so sorgfältig gearbeitet hätte. Im Mittelpunkt steht die Kinderbuchillustratorin Juliette (Izia Higelin), die sich im Kreis ihrer Familie zwei entspannte Wochen erhofft. Doch eigentlich hätte sie sich schon denken können, dass das ein Widerspruch in sich ist ...
Daniella Baumeister empfiehlt, bei der Sommerkomödie "Juliette im Frühling" genau auf die Dialoge zu achten.||
Hier wird seit mehr als 20 Jahren in immer neuen Konstellationen die Geschichte der Nibelungen erzählt, an historischer Stätte vor dem Wormser Dom - dort soll der berühmte Streit der Königinnen stattgefunden haben. Seit Jahren werden wichtige zeitgenössische Autoren gebeten, ihre Sicht auf den mythischen Stoff in ein Drama zu packen. Diesmal waren es Feridun Zaimoglu und sein Co-Autor Günter Senkel.
Ursula May ist treuer Fan der Festspiele und kann daher die Inszenierungen gut vergleichen||
Mit der hr2-Frühkritik geht es heute morgen nach Bad Hersfeld zu den Festspielen. Allerdings nicht in die Mauern der Stiftsruine, sondern in ein intimeres Ambiente, Schloss Eichhof am Rande der Stadt. Dort hatte das Theaterstücks "Der Vorname" Premiere: Es geht um ein Abendessen unter Freunden – die sind erstmal ganz locker, machen ihre üblichen Scherze. Bis einer der Männer, Vincent, die Bombe platzen lässt: Seine Freundin Anna ist schwanger und sie wollen ihr erstes Kind Adolphe nennen. - Ein witziges, intelligentes Stück, das Ensemble nimmt das Publikum von Anfang an mit. Schon in der ersten Minute wird gelacht. Unserer Frau im Parkett war es manchmal etwas zu viel seichtes Boulevard, aber schön fand sie dagegen die Anspielungen an die Region. Das hat natürlich für Extralacher in Bad Hersfeld gesorgt. Am Ende Standing Ovations und langen Applaus.
Vera John hat sich gut amüsiert und lobt Stoff und Umsetzung||
Warum sollte man einen erfolgreichen Film noch einmal auf die Theaterbühne bringen? Wer den "Club der toten Dichter" Anfang der 1990er-Jahre gesehen hat, dem werden die Bilder im Kopf geblieben sein: Wie die Schüler vom Lehrer aufgefordert werden, auf die Tische zu steigen, um eine andere Perspektive zu bekommen; wie Englischlehrer John Keating versucht, aus jedem Schüler das Beste herauszukitzeln. Und gerade das macht die Aufführung bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen so reizvoll: Die Zuschauer unternehmen eine Zeitreise in die 90er-Jahre, als die ökonomischen Verhältnisse noch stabil waren und das höchste Ziel des Individuums war, sich selbst zu optimieren.
Esther Boldt unternahm mit "Der Club der toten Dichter" bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen eine Zeitreise in die frühen 90er-Jahre.||
Was verbinden Sie mit marokkanischer Kunst? Vermutlich dürfte die meisten überraschen, was hier zu sehen ist. Ein Plakat zur Ausstellung zeigt knallbunte Wellenformen. In der Schau dann Farbblöcke, Schlaufen, die meisten Arbeiten sind geometrisch und abstrakt - und es sind fast ausschließlich große Formate, das geht bis hin zu riesigen Wandbildern, so genannten Murals, an öffentlichen Wänden, ob in Schulen oder in den Straßen direkt. Die Künstler der Casablanca Art School wollten damit ganz gezielt in die Gesellschaft hineinwirken! Jetzt ist der Moment, wo diese Kunst – völlig zu Recht – wieder entdeckt und wieder präsentiert wird!
Tanja Küchle hat in der Frankfurter Schirn viel Neues erfahren und lobt die Aktualität der Präsentation||
Es grenzt an ein Wunder, dass immer noch unabhängige Filme aus dem Iran kommen, wie zuletzt "Ein kleines Stück vom Kuchen" des Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Ihren Film mussten sie heimlich drehen; weil den Regisseuren die Ausreise verweigert wurde, mussten sie den Schnitt in Frankreich aus der Ferne überwachen. Das Thema des Filmes ist auch im Westen nicht ganz einfach: Liebe im Alter, wobei in diesem Fall die Frau die Initiative übernimmt.
Ulrich Sonnenschein staunt, dass Filme wie "Ein kleines Stück vom Kuchen" unter den repressiven Bedingungen des Irans noch entstehen können.||
Der amerikanische Tenor John Osborn ist gerade in einer Hauptrolle der Oper "La Juive" an der Oper Frankfurt zu erleben - nun stand er wieder auf der Bühne, diesmal ohne Kulissen, er war in der Reihe der Liederabende zu Gast. Bis zur Pause hatte der schon zu Beginn Umjubelte auf deutsches Repertoire konzentriert, Beethovens schwärmerischem "Adelaide", vier Lieder von Franz Schubert und drei Lieder von Johannes Brahms. Allesamt sehr gut artikuliert und akkurat gesungen, aber es waren schon recht getragene Tempi, die er gewählt hat, traf er da immer den "Lieder-Ton"? Abwarten...!
Martin Grunenberg schätzt John Osborn sehr, bevorzugt aber seine dramatischen Töne||
Das Stadttheater Gießen präsentiert Benjamin Brittens Kirchen-Parabel "Curlew River“ (1964) in reduzierter, stark fokussierter Weise - ganz so, wie es Britten selbst haben wollte. Verortet ist die gelungene Regiearbeit von Ute M. Engelhardt in der Gießener Johanneskirche – auch das im Sinne Brittens, der das Werk speziell für die Akustik von Kirchen komponierte.
Stephan Hübner machte den Kopfhörer-Walk gerne mit und lobt Benjamin Brittens Kirchenwerk am genau richtigen Ort||
Im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach öffnet die Ausstellung "Mozart, André, Offenbach – Der Klang der Zeitkapsel". Nicht nur Schriftsteller haben Verleger nötig, auch Komponisten. Und da hatte Mozart besonderes Glück, denn der Musikverleger Johann André aus Offenbach erwarb von dessen Witwe den handschriftlichen Notennachlass. 79 Erstdrucke von Mozart erschienen in der Folge in Offenbach, darunter "Eine Kleine Nachtmusik". Möglich war diese verlegerische Großtat auch dank einer neuen Drucktechnik, der Lithographie, die André anlässlich derselben Reise kennenlernte. Ein Muss für alle, die sich für Musikgeschichte interessieren!
Mario Scalla war von den sorgfältig ausgewählten Schaustücken in der Ausstellung "Mozart, André, Offenbach" entzückt.||
Das "Made-Festival" bringt Produktionen der freien Theaterszene einem Stadttheater-Publikum nahe. Dieses Jahr traf sich das Festival in Marburg, Darmstadt sowie in Gießen. Ein bemerkenswertes Stück war "Werwolfkommandos" von Marie Schwesinger, Julia Just und Fabiola Eidloth. Die drei hatten die Prozesse um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. verfolgt. Gerichtsverhandlungen und Theateraufführungen haben Einiges gemein: Sie folgen einem bestimmten Ritual, die Beteiligten nehmen bestimmte Rollen ein. Und so eignet sich das Theater durchaus um zu analysieren, wie die Justiz mit rechtsextremen Mordtaten umgeht.
Esther Boldt über die freie Theaterproduktion "Werwolfkommandos" auf dem Made-Festival in Gießen||
Die Band "Steppenwolf" hat nur einen Hit produziert, aber was für einen! "Born to be wild" traf das Lebensgefühl einer Generation. Oliver Schwehm zeichnet in "Born to be wild - eine Band namens Steppenwolf" nach, wie es dazu kommen konnte: Das Lied hatte die Band von ihren Vorgängern übernommen. Zum Kult wurde es durch den Film "Easy Rider", wo es die Motorräder förmlich vorwärts zu treiben scheint. Dadurch erhielt "Steppenwolf" ein Biker-Image, das gar nicht zu ihnen passte. Eigentlich quer zum Zeitgeist der Hippie-Jahre stand auch eine Sentenz aus dem Lied, das ein ganzes Genre eröffnete: "heavy metal thunder". Und auch das Ende der Träume markiert "Easy Rider", denn zum Schluss werden die beiden Biker erschossen.
Ulrich Sonnenschein schwärmt von dem Film "Born to be wild - eine Band namens Steppenwolf".||
Die "Carmina burana" sind zweifelsohne Carl Orffs Meisterwerk. Das muss man erst mal schaffen: Mit Lateinisch, Mittelhochdeutsch und Altfranzösisch die Zuhörer von den Sitzen zu lang anhaltendem Applaus zu reißen. Emmanuel Tjeknavorian ist inzwischen von der Geige zum Dirigieren gewechselt. Mitgebracht hatte er zum Rheingau-Musik-Festival das Sinfonische Orchester sowie den Chor aus Mailand; und die lateinischen Texte mit italienischer Intonation zu hören, hatte seinen besonderen Reiz. Vor allem aber bietet die Basilika des Klosters Eberbach mit ihrem langen Nachhall den perfekten Rahmen für dieses unvergängliche Werk.
Meinolf Bunsmann über eine Aufführung der "Carmina burana" in der Basilika des Klosters Eberbach bei der alles stimmte.||
Unter dem Titel "Der Sammlung zugeneigt" ist eine spannende Auswahl von Fotografien aus Winterthur gerade in der Ausstellungshalle der DZ-Bank-Kunststiftung in Frankfurt zu sehen. Wo sonst vor allem ästhetische Experimente und künstlerische Fotografie zu sehen ist, gibt es jetzt jede Menge dokumentarische Arbeiten ab den 1950er Jahren bis heute. Namhafte Fotografen und Fotografinnen sind ebenso vertreten wie interessante Neuentdeckungen. Bemerkenswerter Weise vor allem von Frauen.
Tanja Küchle lobt den dokumentarischen und gleichzeitig künstlerischen Blick in der Ausstellungshalle der DZ-Bank-Kunststiftung||
Eine ganz besondere Cellistin und ein ganz besonderes Instrument stehen im Fokus des Rheingau-Musik-Festivals. Anastasia Kobekina gilt als eine der besten Cellisten unserer Zeit, und ihr Instrument ist ein Stradivari-Violoncello von 1698. Für das Konzert im Hospitalkeller des Kloster Eberbachs hatte Kobekina die ersten drei Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach mitgebracht. Aber Kobekina beherrscht auch zeitgenössische Musik, darunter Stücke, die ihr Vater seiner Tochter gewidmet hat. Wer dieses außerordentliche Konzert im intimen Rahmen des Hospitalkellers miterleben durfte, wird es so leicht nicht vergessen.
Meinolf Bunsmann saß dicht gedrängt im Hospitalkeller des Kloster Eberbachs für ein Cello-Konzert von Anastasia Kobekina und wurde reich belohnt.||
Mitten in die erste Hitzewelle dieses Sommers fällt die Premiere des Stückes "Fifty Degrees of Now". Es spielt in der nahen Zukunft und verhandelt extreme Hitzewellen mit Todesfolgen - in Gießen wurden damit die Hessischen Theatertage eröffnet. Intendantin Simone Sterr macht aus dem erfolgreichen Roman von Kim Stanley Robinson ein Debattenstück, bei dem das Publikum gewissermaßen Teil von Meetings wird - auch sitzt es weit um die Szene herum (was akustische Probleme birgt). Am Ende siegt die Vernunft, aber erst, nachdem ein junger Mann "angry" wird. Kein schwieriger Stoff fürs Theater, aber wenn in der ersten Stunde ausschließlich bekannte Fakten wiederholt werden, ermüdet das die dem Thema doch aufgeschlossenen Zuschauer zu arg.
Esther Bold war bei "Fifty Degrees of Now" am Stadttheater Gießen ziemlich erschlagen||
Die Sonderausstellung "Graphic Revival" im Hessischen Landesmuseum Darmstadt präsentiert englische Radierungen aus der Wende vom 19. aufs 20. Jahrhundert. Die Radierung ist eine Technik, die man eher mit Rembrandt verbindet, aber um 1900 entdeckten englische Künstler ihre fantastischen Möglichkeiten wieder. Sie dokumentierten damit, wie die Industrialisierung die Landschaft veränderte: Statt Kirchtürmen beherrschten jetzt Fabrikschlote das Bild. Die Ausstellung umfasst 75 Werke von 25 Künstlern sowie sogar drei Künstlerinnen.
Tanja Küchle begeisterte sich für die Qualität der Drucke in der Sonderausstellung "Graphic Revival" in Darmstadt.||
Gehören Sie zu denjenigen, die in der Schule Mathe immer gehasst haben? Und für die sich die Welt der Zahlen nie erschlossen hat? Oder gehören sie zu denjenigen, die die Zahlen immer geliebt haben, die im Rest der Welt oft nicht verstanden oder als Außenseiter angesehen wurden? Im Film "Die Gleichung ihres Lebens" lernen wir Marguerite kennen, Mathematikstudentin an einer Pariser Elitehochschule, gespielt von Ella Rumpf. Sie macht aus dem vergeistigten Mauerblümchen eine selbstbewusste, attraktive Frau, die nicht nur beim illegalen Glücksspiel die chinesische Mafia vorführt - und sie ist bis in die letzten kleinen Gesten sehr überzeugend.
Daniella Baumeister steht mit Zahlen auf Kriegsfuß, empfiehlt aber "Die Gleichung ihres Lebens"||
Die Hersfelder Festspiele sind in die neue Saison gestartet. Zum Auftakt gab es eines der meistgespielten Theaterstücke überhaupt: Die sozialkritischen, satirisch-skurrilen Texte von Bertholt Brecht, dazu die Musik von Kurt Weill begeistern seit fast hundert Jahren. Und sie laden zu immer neuen Interpretationen und Inszenierungen ein.
Vera John fand den "Queen"-Zugang originell und erlebte rasante zweieinhalb Stunden in der Stiftsruine||
Der "Kultursommer Südhessen" lud am Samstag zum Kammerkonzert nach Bickenbach ins ehemalige Jagdschloss, das inzwischen als Rathaus dient. Wenn man heute Musik hören will, schaltet man einfach das Radio ein; im 18. Jahrhundert nahm der Fürst seine Musiker mit auf Reisen. Zu teuer durfte die Angelegenheit nicht sein, und so komponierte der Darmstädter Kapellmeister Georg Sartorius "Harmoniemusik" für insgesamt acht Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte. Das ehemalige Jagdschloss beherbergt keinen Konzertsaal. Aber was die "Darmstädter Harmoniemusik" unter diesen Umständen bot, war Kammermusik auf höchstem Niveau sowie als Zugabe ein unterhaltsames Quiz für Musikfreunde.
Meinolf Bunsmann verbrachte einen angenehmen Konzertabend mit der "Darmstädter Harmoniemusik" in Bickenbach.||
Das Theater Willy Praml hat "Der Feind" von Julien Green ins Programm genommen. Der französische Schriftsteller war kein Freund der Revolution, aber gerade das kann ja den Blick schärfen. Sein Stück spielt 1785, also vier Jahre vor der Französischen Revolution, was die Protagonisten noch nicht wissen, jedoch ahnen können. Der Graf von Silleranges langweilt sich auf seinem Schloss; weil er impotent ist, lässt er seine Frau von seinem Bruder befriedigen. "Der Feind", wenn man darunter das Volk versteht, betritt noch nicht die Bühne. Es fällt schwer, bei dem Stück aus dem Jahr 1954 nicht an das Frankreich von heute zu denken, das auch kurz vor einer Revolution zu stehen scheint.
Mario Scalla war überrascht, wie aktuell Julien Greens "Der Feind" aus dem Jahr 1954 heute wirkt.||
Die Ausstellung würdigt Filme seit 2000, allesamt hiesige Produktionen - da sind zwei goldene Ringe aus "Fuck ju Göte" aus dem Jahr 2013, das Plüschtier aus "Keinohrhasen" (2007) von und mit Til Schweiger, Requisiten aus "Good Bye Lenin", ein Filmplakat vom "Schuh des Manitu" und Geheimnisvolles aus "Bibi Blocksberg" von Hermine Huntgeburth, Bilder aus "Systemsprenger" von Nora Fingscheidt . Diese Schau vereint das Sinnliche mit dem Faktischen - welcher Film war erfolgreich, konnte sich (an der Kasse und im Gedächtnis) halten? Welche Rolle spielten die Festivals, wer wurde entdeckt, drehte was, wer wurde von wem beeinflusst? Und stimmt es, dass Beziehungskomödien hierzulande beliebt sind, aber Filme wie "Gegen die Wand" von Fatih Akin, oder "Toni Erdmann" mit Sandra Hüller international erfolgreich waren? Ja, die gezeigten (echten!) Oscars beweisen es, die "Im Westen nichts Neues" von Edward Berger als bester internationaler Film in L.A. abgeräumt hat.
Mario Scalla fühlte sich 20 Jahre jünger, als er aus der Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt kam||
"Evakuieren Sie die Erde jetzt!" Wer die Oper "Defekt" mit Musik von Mithatcan Öcal am Staatstheater Kassel besucht, wird schon beim Hinsetzen auf großen Bildschirmen auf das Thema eingestimmt. Doch wer dann düstere Untergangsstimmung erwartet, wird angenehm enttäuscht. Die Musik von Mithatcan Öcal ist harmonisch, die Protagonisten erheitern in ihrer Tolpatschigkeit. Und ist nicht gerade das ein Sinnbild für unsere heutige Lage? Wir steuern auf die große Katastrophe zu, haben keinen Planeten B zur Verfügung, und haben es uns doch im Untergang ganz lauschig eingerichtet.
Vera John überlegt, sogar ein zweites Mal die Oper "Defekt" am Staatstheater Kassel zu besuchen.||
Fromental Halévys Grand Opéra "La Juive" in der Premiere an der Oper Frankfurt: Das Stück spielt vor dem Hintergrund des Konzils von Konstanz 1414 – dort sollte die Einheit der Kirche wiederhergestellt werden. Rachel ist die Tochter des jüdischen Goldschmieds Eleazar, hat sich in einen Mann verliebt (der nur vorgibt, Jude zu sein), hat ein Verhältnis mit ihm (er heißt in Wirklichkeit Leopold, ist christlicher Reichsfürst und mit der Nichte des Kaisers verheiratet...). Das findet sie heraus und klagt Leopold als Verführer an – und als Christen, der sich mit einer Jüdin eingelassen hat. Eleazar, Rachel und Leopold werden zum Tode verurteilt. Und dieser Spirale aus Rache, Hass, Antisemitismus und Liebe versuchen sich die drei zu entkommen. Erschreckend aktuell – eine gespaltene Gesellschaft auf der Suche nach einem gemeinsamen Feind.
Bastian Korff hat es mitgerissen: Handlung, Regie, Stimmen - alles passt an der Oper Frankfurt!||
Am Rheinufer in Mainz-Kastel, also auf der hessischen Seite, gastiert bis 7. Juli der Cinque Bouffon - an der Reduit, ehemaligen Kasernen, die umgenutzt wurden: Mit einem außergewöhnlichen Programm, ausgezeichneten Akrobaten, Live-Musik, einem Zirkusdirektor in vielen Rollen - eine ausgefeilte Dramaturgie wird geboten, die Witz, körperliches Können und Poesie vereint. Ganz im Stille des französischen Nouveau Cirque, etwa dem "Soleil". Dass man gar nicht so viel Manpower und Ausstattung wie das große Vorbild braucht, hat dieser Zirkus unter Beweis gestellt. Bravo!
Ursula Mai hat den rasanten Abend in Mainz-Kastel genossen||
"Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne". Ein kleines Wunder ist geschehen, dass Saša Stanišić diesen Buchtitel bei seinem Verlag durchgesetzt hat; und man kann ihm nur wünschen, dass er seine Buchverkäufe nicht behindert. Der Autor trat bei einer Lesung seines neuen Erzählbandes im Schauspiel Frankfurt auf, und das Theater war für ihn die passende Bühne. Denn Stanišić liest im Gehen, passt seinen geschriebenen Text der gesprochenen Sprache an und lässt geschickt immer wieder offen, wie die Geschichte ausgehen mag. Das Publikum fühlte sich jedenfalls gut unterhalten.
Mario Scalla erlebte bei der Lesung von Saša Stanišić im Schauspiel Frankfurt ein Ein-Mann-Theater mit Autor.||