Die Kunst von Emma Talbot ist durchaus geeignet, beim ersten Anblick Ekelreflexe hervorzurufen. In "A journey you take alone" in der Kunsthalle Gießen behandelt Talbot Anfang und Ende des Lebens. Und vor allem die Geburt ist nun einmal ein blutiges Ereignis. Das Medium der Künstlerin ist die Seide. Auf meterlangen Seidenbahnen arbeitet sie auch immer wieder philosophische Gedanken ein. Und so verlässt man die Ausstellung sehr nachdenklich.
Natascha Pflaumbaum hat so eine Kunst, wie sie Emma Talbot in der Kunsthalle Gießen zeigt, noch nie gesehen.||
Terézia Moras "Muna oder die Hälfte des Lebens“ (Pengiun Books) kommt zunächst als Liebesgeschichte daher, die zu Endzeiten der DDR beginnt. Hauptfigur Muna steht kurz vor Volljährigkeit, macht erste Erfahrungen und erlebt die erste große Liebe. Am Anfang also romantische Gefühle einer Jugendlichen, nach einem Wiedersehen hätte es wunderbar sein können. Es wird aber früh angedeutet, ja dezent eingestreut, dass es nicht so bleiben wird. Und Terézia Mora erzählt, dass sie von 240.000 Fällen häuslicher Gewalt pro Jahr gegen Frauen und Kinder erfahren hat, "das wollte ich nicht länger bei mir behalten, da wollte ich ein Buch drüber schreiben“ - insofern ist dieser Roman einer über die Liebe, zumindest bei Muna, über eine intellektuelle Beziehung, eine emotional einseitige Beziehung – nicht nur eine Liebesgeschichte. In diesem Buch stecken mehrere drin, mehrere mögliche; mehrere, die nacheinander wirklich werden - das ist die große Qualität dieses Buches.
Mario Scalla denkt nach der Lektüre, dass viele Männer dieses Buch lesen sollten.||
Giulia Tonelli, 1. Solotänzerin am Opernhaus Zürich, hat die Bühne vermisst. Nach der Geburt ihres Sohnes kehrt sie nach elf Monaten aus dem Mutterschaftsurlaub zurück in den Arbeitsalltag einer professionellen Ballett-Tänzerin. Rücksicht auf Mütter wird kaum genommen, zwischen Proben und Vorführung ist die Zeit knapp, schon für einen Schokoriegel. Doch Giulia will nicht nur den Spagat zwischen Mutter und erstklassiger Ballerina schaffen, sondern auch ihre künstlerische Identität entfalten und anspruchsvollere Rollen im Ballett übernehmen. Bei den Proben, vor und während der Aufführungen und Zuhause am Küchentisch, dreht sich die Kamera mit ihr, beim Finden einer Balance zwischen den anspruchsvollen Welten einer Elite-Ballettkompanie und ihrem neuen Familienleben. (Pressetext des Verleihs)
"Becoming Giulia" ist für Ulrich Sonnenschein ein gut durchkompinierter Dokumentarfilm, der ihm die Welt des Tanzes näher gebracht hat||
Strom, Wasser, Varieté: Der oberhessische Grundversorger OVAG präsentiert internationale Stars der Akrobatik - und dieses Programm muss sich hinter dem Frankfurter "Tigerpalast" oder dem "Hansá-Theater" wirklich nicht verstecken. Sogar eine Pudel-Nummer gab es, schön "retro"! Unter "Weltklasse" mache es die OVAG nicht, schrieb vor Jahren schon die Circus-Zeitung. Stimmt!
Stephan Hübner fand die Show insgesamt etwas lang, hat aber einige persönliche Highlights erlebt||
Als Devid Striesow im Frankfurter Mousonturm aus der "Blechtrommel" liest, versucht er erst gar nicht mit Volker Schlöndorffs Verfilmung zu konkurrieren. Und glücklicherweise verzichtet er auch darauf, Oskar Matzeraths Schrei nachzuahmen, mit der Oskar Glas zum Zerspringen bringt. Dafür lässt Striesow seine Vortragskunst glänzen, hervorragend begleitet durch den Schlagzeuger Stefan Weinzierl.
Bastian Korff hat den Erfolgsroman von Günter Grass noch nie so lebhaft gehört.||
1774 wurden "Die Leiden des jungen Werthers" veröffentlicht. Sie machten Goethe so berühmt, dass er sogar noch auf seiner Italienischen Reise in Neapel darauf angesprochen wurde. Das Romantik-Museum in Frankfurt versucht, das Jahr 1774 in einer Studio-Ausstellung zum Leben zu erwecken. Da erfährt man zum Beispiel, dass Goethe am 2. Januar beim Schlittschuhlaufen ins Eis eingebrochen ist. Mit "Werther" hat das alles wenig bis gar nichts zu tun, und nur ausgesprochene Kenner der Epoche werden das Hintergrundwissen mitbringen, um die Exponate zu würdigen.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt "Werthers Welt" im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt nur ausgesprochenen Kennern der Epoche.||
Jack London kennt man eher für seine Abenteuerromane, umso interessanter ist es, den autobiographischen Text "König Alkohol" als Ein-Personen-Stück präsentiert zu bekommen. Johann Jürgens steht mit Cowboyhut auf der minimalistisch ausgestatteten Bühne des Kasseler Theater im Fridericianum (tif) und berichtet von seinen Erfahrungen mit dem zweifelhaften Adligen, von ersten Begegnungen, von ständigen Verführungen, von Phasen der Enthaltsamkeit. Jack Londons Text ist weder eine Verherrlichung noch eine Verteufelung des Alkohols, vielmehr eine soziale und psychologische Studie. Und die bringt Johann Jürgens eindrücklich auf die Bühne: Er spricht, singt, spielt Mundharmonika und lässt seine Geschichten ausgesprochen lebendig werden.
Andreas Wicke sieht nur eine Probe, bekommt aber Lust auf die Produktion||
Der Film "Vier Minuten" war 2006 ein großer Erfolg und bot Hannah Herzsprung die erste Kinohauptrolle. Mit "15 Jahre" kommt nun die Fortsetzung in die Kinos. Hannah Herzsprung spielt die Pianistin Jenny, die 15 Jahre für einen Mord abgesessen hat, den sie nicht begangen hat. Das Knastleben hat sie abstumpfen lassen; das Leben draußen überfordert sie. Sie sucht im Glauben Halt und zieht in eine christliche WG. Zufällig findet sie heraus, was ihre Jugendliebe, für die sie ins Gefängnis gegangen ist, heute macht. Jenny arbeitet als Putzkraft in einem Konservatorium, wo sie sich ans Klavier setzt. Und sie lernt den Flüchtling Omar kennen, der ebenfalls Pianist war. Für die zwei Stunden, die der Film dauert, ist das sehr viel Stoff. Doch Hannah Herzsprung glänzt wieder in der Hauptrolle.
Daniella Baumeister war sich bei "15 Jahre" nicht sicher, ob sie nun eine Romanze, eine Mediensatire oder einen Musikfilm vor sich hat. ||
Sein letztes Werk, wie der Titel "Last Work" vermuten lässt, ist das Tanzstück von Ohad Naharin glücklicherweise nicht, das er mit dem Hessischen Staatsballett am Staatstheater Wiesbaden einstudiert hat. Der Israeli Ohad Naharin hat in der Tanzszene einen Ruf wie Donnerhall. Das liegt an seiner besonderen Bewegungssprache namens "Gaga", um die Naharin ein großes Geheimnis macht. Immerhin hat er damit die "Batsheva Dance Company" zu internationalem Ruhm geführt. Dass auch andere Ballettkompanien "Gaga" lernen können, beweist das Hessische Staatsballett, das unter der Anleitung von Ohad Naharin eine große Präsenz entwickelt. Sehenswert!
Ursula May staunte über die große Präsenz, die die Tänzer unter der Anleitung von Ohad Naharin entwickelten.||
Regisseurin Sofia Coppola war bei ihrem neuen Film "Priscilla" gewiss nicht zu beneiden. Nicht nur diente die Autobiografie von Priscilla Presley ihr als Vorlage; Priscilla Presley war auch noch Produzentin des Films. Trotzdem ist "Priscilla" über die Ehefrau von Elvis Presley ein typischer Sofia-Coppola-Film geworden. Die beiden lernten sich in Wiesbaden kennen, und Priscilla muss sich in das Leben in den Vereinigten Staaten und als Ehefrau einer Berühmtheit erst mal eingewöhnen. Elvis überschüttet sie mit Schmuck und anderen Aufmerksamkeiten, nötigt sie aber auch dazu, regelmäßig Beruhigungsmittel zu nehmen. Als typisches Kind der 50er Jahre erwartet er von seiner Frau, dass sie sich fügt. Zum Beispiel muss sie sich die Haare schwarz färben, weil er es so schöner findet. Der Film wartet nicht mit neuen Enthüllungen über Elvis auf; für die Zerstörung seines Rufs hat er in seinen letzten Lebensjahren selbst gesorgt. Aber "Priscilla" bietet für alle, die sich für Elvis interessieren, den ergänzenden Blick von Seiten der Ehefrau.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Priscilla" von Sofia Coppola||
Das eigene Gesicht hat Künstlern aller Epochen als Vorlage gedient - man muss kein Modell bezahlen, und es ist immer verfügbar. Was Markus Walenzyk in der Ausstellung "Druck" im Kunsthaus Wiesbaden mit seinem Gesicht anstellt, geht allerdings weit darüber hinaus. In einer Video-Installation sieht man zum Beispiel wie er sich vornüber in weiche Erde fallen lässt, wieder aufsteht und sein Gesicht als Hohlform hinterlässt. In einer anderen Video-Installation schmiert er sich einen weißen Schleim ins Gesicht, bis nur noch ein Auge offen bleibt. Man kann die Arbeiten von Walenzyk als Kommentar zu unserer Selfie-Kultur lesen. Sie sind schmerzhaft, aber durchaus auch komisch.
Stefanie Blumenbecker war von den Arbeiten Markus Walenzyks im Kunsthaus Wiebaden beeindruckt.||
Intendant Uwe Eric Laufenberg ließ es sich nicht nehmen, die "Zauberflöte" als Abschluss der sieben Mozart-Opern am Staatstheater Wiesbaden selbst zu inszenieren. Seine Inszenierung ist traditionell gehalten, wozu interessanterweise auch gehört, dass Laufenberg auf die sonst üblichen Kürzungen verzichtet hat. So bekommt man auch einmal zu hören, was bei den meisten "Zauberflöte"-Inszenierungen weggelassen wird. Sängerisch überzeugen konnten Anastasiya Taratorkina in der Rolle der "Pamina", Kai Kluge als "Pamino", und die Rolle des "Papageno" - gesungen von Johannes Martin Kränzle - ist sowieso immer für Applaus gut. Hier trug auch ein Kniff der Regie zum Erfolg bei, denn die Sänger agieren häufig auf einem Steg vor dem Orchestergraben, wodurch sie sehr präsent sind.
Meinolf Bunsmann fand die Inszenierung der "Zauberflöte" am Staatstheater Wiesbaden schlüssig.||
Noch bis zum 7. Januar spielt in der Alten Oper Frankfurt das Musical "Ku'damm 56". Catherina Schöllack besitzt eine Tanzschule und drei Töchter. Zwei der Töchter erfüllen alle Wünsche, die eine Mutter in den 50er Jahren haben kann, allein die dritte hat ihren eigenen Kopf. Auch wer die Vorlage aus dem ZDF-Dreiteiler nicht kennt, wird schnell verstehen, wie die Handlung läuft. Die Schauspieler stellen Typen dar, die keine Entwicklung durchmachen - so stemmt zum Beispiel Catherina ständig die Hände in die Hüften wie es kein normaler Mensch tut. Musikalisch prägt der Rumba den Abend. Doch dafür, dass die Handlung in einer Tanzschule abläuft, wird erstaunlich wenig getanzt.
Für Bastian Korff sprang der Funken bei dem Musical "Ku'damm 56" in der Alten Oper Frankfurt nicht so recht über.||
Die Sängerin mit der glasklaren Stimme Joan Baez führt seit 60 Jahren ein öffentliches Leben auf der Bühne. Was kann da der Film "Joan Baez I am a noise" noch Neues bieten? Die drei Regisseurinnen Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle haben tatsächlich Unbekanntes über das Leben ihrer Protagonistin ausgegraben, was sie zum Teil selbst noch nicht kannte, etwa ein Archiv, das ihre Eltern angelegt hatten. Dazu kommt eine Joan Baez, die versucht, ehrlich mit ihrem Leben umzugehen. Als Kind von Quäkern war sie nach sozialem Engagement süchtig, was soweit ging, dass sie sich Sorgen machte, wogegen sie nach dem Ende des Vietnamkriegs protestieren könnte. Sie litt und leidet unter Depressionen und Panikattacken. Zu ihren Beziehungen zählten Bob Dylan, den sie bemutterte, aber auch mit einer Frau. Und mit 83 nimmt sie immer noch Gesangsunterricht, bei dem ihr Hund bei den hohen Tönen gerne mit einstimmt. Ein Film für die Fans von Joan Baez sowieso, aber auch für alle, die eine der großen Sängerinnen unserer Zeit kennenlernen wollen.
Daniella Baumeister ist nach dem Film "Joan Baez I am a noise" noch begeisterter von der Sängerin, als sie es eh schon war.||
In der Reihe "Interventionen" lädt das Museum Wiesbaden zeitgenössische Künstler ein, ihre Werke im Rahmen der Museumssammlung zu zeigen. Nadine Schemmann interveniert unter dem Titel "Amplituden" mit einem Rot, das einem schon zwei Räume vorher entgegen leuchtet. Sie erforscht die verschiedenen Nuancen dieser Farbe sowie die Materialität der Leinwände, die nicht nur leicht verspannt auf einem Rahmen hängen, sondern auch gefaltet im Raum. Ihre Werke müssen sich gegen Werke aus der Museumssammlung behaupten, darunter eine gigantische Leinwand von Sam Francis, die wegen ihres Überformats bisher nie gezeigt worden ist. Schemmann gelingt es, dagegen zu bestehen und den Werken aus der Museumssammlung sogar neue Frische einzuhauchen.
Stefanie Blumenbecker sieht Nadine Schemmann im Museum Wiesbaden als Erforscherin von Farbe und Leinwand||
Beim "Nussknacker" erwartet man zunächst ein Ballett mit der Musik von Tschaikowski, doch das Frankfurter Papageno Musiktheater greift bei seinem Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt stark auf E. T. A. Hoffmanns Vorlage "Nussknacker und Mäusekönig" zurück. Dort ist es Weihnachtsabend bei Familie Stahlbaum: Die Geschwister Marie und Fritz tanzen um den Weihnachtsbaum und beschädigen dabei den Nussknacker. Marie kümmert sich um die Holzfigur, und ihr Patenonkel beginnt zu erzählen: Eine rachsüchtige Maus habe einen jungen Mann in den Nussknacker verwandelt. Um Mitternacht werden die Figuren in Maries Traum lebendig, und Maus und Nussknacker treten gegeneinander an. In der Version des Papageno Musiktheaters kommen die Tanzeinlagen erst in der zweiten Hälfte, die Musik wird teils live, teils vom Band gespielt. Beim jungen Publikum kam diese Version des "Nussknacker" gut an.
Meinolf Bunsmann fühlte sich im jungen Publikum des "Nussknacker" vom Papageno Musiktheater gut aufgehoben.||
Regisseur Wim Wenders wendet sich in dem Film "Perfect Days" der Arbeit eines japanischen Toilettenputzers zu. Kaum eine Arbeit ist banaler als Toilettenputzen - sollte man denken - doch Wenders gelingt es, dem Thema einen abendfüllenden Film abzuringen. Das liegt einerseits an den Toiletten, die von Stardesignern geschaffen worden sind - etwa die transparente Toilette, deren Scheiben sich nach dem Abschließen eintrüben. Das liegt vor allem aber auch an dem großartigen Schauspieler Kōji Yakusho, der die Arbeit des Toilettenputzens mit buddhistischer Gelassenheit ausführt. Und der Film lenkt die Aufmerksamkeit auf die kleinen Abweichungen im Tagesablauf, die die scheinbar gleichförmig ablaufenden Tage zu kleinen Ereignissen machen. Wir müssen uns Wenders' Toilettenputzer als glücklichen Menschen vorstellen.
Ulrich Sonnenschein hält "Perfect Days" von Wim Wenders für einen nahezu perfekten Film.||
Als Frankfurter Erstaufführung ist Mozarts "Ascanio in Alba" noch bis Anfang Januar zu sehen, im Bockenheimer Depot - zwar für die Opernbühne geschrieben, aber im Grunde eine festliche Huldigungsmusik. Und zwar für den Sohn von Auftraggeberin Kaiserin Maria Theresia, Erzherzog Ferdinand von Österreich. Der war 1771 nur knapp älter als der Teen Mozart und musste Maria Beatrice d’Este in Mailand heiraten. Also schrieb Mozart ein Hochzeitgeschenk, in dem am Ende alle glücklich sind. Nina Brazier, seit fünf Jahren Spielleiterin in Frankfurt, bringt den vergleichsweise unkomplizierten Stoff in einer quietschgelben Halbkugel von Bühnenbildner Christoph Fischer unter, die liebliche Landschaft Oberitaliens wird durch eine Art Parteizentrale ersetzt, der Aspekt der Machtausübung wird stimmig in die heutige Zeit übertragen. Mozarts Musik hinkt der Akualität der Inszenierung ein bisschen hinterher, Dur-lastig, das Dramatische, das Abgründige fehlt bei dem Sujet. Egal: Musikalisch hat das gefallen, ein Abend der hohen Stimmen und der Frauenpower, nur den Alceste singt ein Tenor. Fünf Rollendebüts, viele Koloraturen - ein sehr virtuoser Abend, das Publikum hat alles sehr genossen, wie man am Applaus merken konnte.
Meinold Bunsmann genoss das Jugendwerk vom Wolferl, als Produktion der Oper Frankfurt||
Im Museum Kronberger Malerkolonie ist eine Retrospektive zu sehen, die sich dem Maler Fritz Wucherer widmet, geboren 1873. Das Gezeigte reicht von der Taunuslandschaft um 1900 bis zum Winter in Kronberg 1940. Er ist der Region dabei sehr treu geblieben, lässt das ländliche Leben dort Revue passieren – viele schöne Winterlandschaften erinnern in kühlen blauen, grünen Farben an Ruhe und Einsamkeit: Alles wirkt wie eingefroren, es bewegen sich keine Menschen draußen, Leben und Zeit stehen still, der Taunus war schließlich vor 100 Jahren sehr viel weniger bevölkert als heute. Wucherer kannte vermutlich einiges aus französischen Malerei, versuchte für seine Bilder, "dass mehr Licht und Luft hineinkommt". Man sieht, dass sein Pinselstrich gelegentlich etwas feiner, etwas bewegter wird, dass die Farbe Orange in Gemälden auftaucht - aber diese Einflüsse bleiben nur eingebunden. Er hat nicht impressionistisch gemalt, ist seinem Stil treu geblieben, bleibt in der Natur und versucht das Leben nicht als Boulevard zu malen. Eine sehr schöne, sehr gut übersichtlich kuratierte Würdigung.
Mario Scalla hat im Taunus Bilder gesehen, die bis heute viel Ruhe ausstrahlen||
Das Staatstheater Kassel hat für seinen "Don Giovanni" den Zuschauer- und Bühnenraum aufwändig umgebaut: Das Orchester sitzt in der Mitte der Bühne, drum herum spielen die Sänger bis in die Logen des Zuschauerraums; einige Zuschauer sitzen sogar mit auf der Bühne. Durch Fernsehtechnik werden auch noch die kleinsten Regungen der Mimik auf Bildschirme übertragen. Dieses Konzept macht das Spielen vor allem für das Orchester schwierig, die Sänger schienen dagegen bei der Premiere die Herausforderung zu genießen. Insgesamt geschieht so viel gleichzeitig, dass die Zuschauer kaum wissen, wo sie hinschauen sollen. Ein in jeder Hinsicht herausfordernder "Don Giovanni".
Andreas Wicke kommt insgesamt zu einer positiven Bewertung des Kasseler "Don Giovanni"||
1966 gab es in der ARD eine Kultserie, die oft wiederholt wurde, dann auch mal ins Kino kam - und jetzt digital ganz neu bearbeitet wurde. Für eine aufwändige neue DVD Kollektion, über 500 Minuten lang, und für 90 Minuten neu im Kino: Raumpatrouille Orion war schon damals Kult, vielleicht auch, weil es nur sieben Folgen gab - dennoch ist die Fangemeinde und damit die Quote über die Jahre größer geworden. Weil das All und die fernen Welten (und was man sich darunter vorstellte) immer noch eine ganz eigene Faszination haben. Die ausgeflippten Gesellschaftstänze, die hochtoupierten Perücken, die gigantischen Cognacgläser, das war damals vermutlich hochmodern und ist heute herrlich verstaubt - ein Märchen von übermorgen aus der Flimmerkiste von vorgestern und mit einem Spruch für heute: Alles wird galaktisch gut…!
Daniella Baumeister erliegt schon wieder dem Schwarzweiß-Charme von Dietmar Schönherr||
"Uwaga" heißt "Achtung" auf Polnisch, und "Uwaga!"-Schilder stehen in Polen an jeder Straßenbaustelle. Das war die rettende Idee für vier junge Musiker, die sich 2007 nicht auf einen Namen für ihr Quartett einigen konnten. Mit dabei sind ein Violinist, ein Akkordeonist, ein Geiger und ein Bassist. Zu ihren Konzerten holen sie sich weitere Musiker, für ein Konzert am Mittwoch in der Alten Oper Frankfurt unter anderen die israelische Pianistin Roglit Ishay und den ägyptischen Oud-Spieler Basem Darwisch. In wechselnden Besetzungen bieten sie ein Programm, das schwer zu charakterisieren ist, weil alles dabei ist - von Erik Satie bis Funk. Darunter sind auch eigene Werke, etwa wenn Roglit Ishay sich einen chassidischen Klarinettisten auf dem Rücken eines Kamels vorstellt. Und tatsächlich meint man das dann auch zu hören!
Meinolf Bunsmann erlebte mit "Uwaga!" einen wilden Ritt durch Klassik, Rock und Pop||
"Was vom Ende bleibt" heißt eine Ausstellung mit Fotos von Tina Ruisinger im Kasseler Museum für Sepulkralkultur. Dieses Museum beschäftigt sich mit dem Thema Bestattung, was für viele Menschen bereits ein Tabu-Thema ist. Tina Ruisinger dringt noch weiter in dieses Tabu ein, denn sie hat die Asche fotografiert, die nach der Kremation einer Leiche übrig bleibt. Wer einen unstrukturierten Aschehaufen erwartet, wird überrascht sein, denn da ragen zum Beispiel die Reste der Implantate aus der Asche, die dem Verstorbenen das Leben erleichtert haben. Hier wirken sie wie archäologische Funde. Makaber sind diese Fotos nicht, aber gewiss nicht leicht zu konsumieren.
Jens Wellhöner fühlte sich durch die Fotos im Kasseler Museum für Sepulkralkultur an archäologische Funde erinnert.||
Seit über 30 Jahren steht das britische Trio "The Tiger Lillies" für eine schräge Mischung aus Chanson, Zirkusmusik, Vaudeville, Straßenmusik und Punk, ihre Konzeptalben und Theaterproduktionen wie "Shockheaded Peter" sind legendär. Im Frankfurter "Zoom" gaben sie ihre Fassung von Charles Dickens‘ "Christmas Carol" zum Besten - eine wilde Wunderkammer an Instrumenten und Klängen, vor allem tut sich Adrian Stout hervor – singende Säge, Maultrommel, Kontrabass, ja sogar ein elektronisches Teremin kommen zum Einsatz. Das ist einfach wunderbar – dazu gibt es den ganzen Abend über ein unheimliches und effektvolles Licht. Weihnachtsstimmung? Gar nicht – bei Dickens selbst kommt sie durch die Läuterung des geizigen Ekels, bei den Tiger Lillies wird der Finger dagegen sehr ausführlich in die Wunde der Missstände gelegt, da liegt der Fokus aus dem Gossenleben in Armut. Unser Mann im Club hat sich gut unterhalten und großen Spaß an den musikalischen Qualitäten der Drei gehabt - und warnt vor zu frühem Gehen: In der Zugabe holen sie noch mal alles raus!
Bastian Korff hat sich köstlich amüsiert, kritisiert jedoch (geizig wie Scrooge!) den happigen Eintrittspreis||
Beinahe wäre die Aufführung von Donizettis "Der Liebestrank" am Staatstheater Darmstadt geplatzt, denn der Sänger des "Nemorino", der Tenor David Lee, war kurzfristig erkrankt. Für ihn sprang Matteo Roma ein, der sich in nur zwei Tagen in die Inszenierung einarbeitete. Von diesen Begleitumständen war bei der Premiere nichts mehr zu spüren. Regisseurin Geertje Boeden hatte auf der Bühne einen pastellfarbenen Traum bereitet. Zwei neue Rollen tauchen auf: Upupa und Colombina, zwei possierliche Vögel, die heftig miteinander turteln, und den Sängern gelegentlich die Show stehlen. Donizettis Musik ist abwechslungsreich, der Darmstädter Chor spielfreudig; Juliana Zara glänzt als "Adina". Für ihren Kraken-Rock mit Tentakeln gab es sogar einen Extra-Applaus. Eine Inszenierung für alle Liebhaber der leichten Oper und auch für Kinder ab zehn Jahren geeignet.
Meinolf Bunsmann ließ sich in Darmstadt vom Tschingderassa-Bumm in Donizettis "Liebestrank" mitreißen||
"Something rotten" am English Theatre Frankfurt spielt natürlich auf das Shakespeare-Zitat an, etwas sei faul im Staate Dänemark, und das ist genau das Problem, das die Brüder Nick und Nigel Bottom im England der Renaissance-Zeit haben: Wie hält man die eigene Theater-Truppe am Leben, wenn das Publikum nur noch die Stücke von diesem Shakespeare sehen will? Die Bottom-Brüder konsultieren ein Orakel, und das sagt ihnen voraus, dass im Theater der Zukunft geschauspielert, getanzt und gesungen werden wird und das alles gleichzeitig! Die beiden machen sich daran, das Musical zu erfinden. Das English Theatre bietet mit "Something rotten" eine hinreißende Show, die allerdings nur schätzen wird, wer über gediegene Englisch-Kenntnisse und einen soliden Bildungshintergrund zum Verständnis der Shakespeare-Anspielungen verfügt.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Something rotten" am English Theatre Frankfurt für Englisch-Fort-Fort-Fortgeschrittene||
Es ist noch keine 25 Jahre her und doch schon wieder sowas von Geschichte: Matt Johnson zeichnet in seinem Film "BlackBerry" die Geschichte des Smartphones mit den charakteristischen beerenförmigen Tasten nach, das Anfang des Jahrtausends zum Statussymbol von Managern und Möchtegern-Managern wurde. Eine Gruppe von technischen Überfliegern, die keine Ahnung von Betriebswirtschaft hatte, entwickelte den kleinen schwarzen Kasten, mit dem man nicht nur telefonieren, sondern auch E-Mails, SMS, Tweets absetzen und im Internet surfen konnte. Die Geschichte birgt viel komisches Potenzial, sodass "BlackBerry" keine trockene Dokumentation ist. Und dann kam Steve Jobs mit seinem iPhone, das auf die Tastatur verzichtete. Den Machern des Blackberry fiel darauf keine Antwort ein, was den Untergang der Firma einläutete.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt mit "BlackBerry" einen Film über einen kleinen, schwarzen Kasten mit viel komischem Potenzial||
Die Menschen haben sich wohnlich eingerichtet in der Klimakatastrophe. Mit dem Stück "Sonne / Luft" am Schauspiel Frankfurt fährt Elfried Jelinek in ihrer gewohnt gnadenlosen Art dazwischen. Es gelingt ihr, der Klimakatastrophe eine neue Seite abzugewinnen, indem sie keine menschliche Perspektive einnimmt, sondern die Sonne und die Luft auftreten lässt. "Ich bin der Sonnenmann, immerhin besser als der Sensenmann. Ich verbrenne die Länder und hinterlasse nichts für keinen. Geschlecht egal, denn nach uns wird kein Geschlecht mehr kommen." Dass die Zeit der Menschen vorbei geht, darüber freut sich auch die Luft. Diese - aus menschlicher Sicht - eher düsteren Aussichten werden vom Schauspiel-Ensemble munter vorgetragen. Die Klimakatastrophe schmort derweil weiter.
Mario Scalla hat mit "Sonne / Luft" am Schauspiel Frankfurt ein gnadenlos heiteres Stück von Elfriede Jelinek gesehen.||
Das Städel Museum in Frankfurt würdigt bis 14. April 2024 Miron Schmückle mit "Flesh for Fantasy". Nicht bei den Alten Meistern, nicht bei den Modernen in den unteren Gartenhallen, sondern genau dazwischen: dort, wo man normalweise nur durchläuft. Das ist neu - und der kuratierende Direktor Philipp Demandt beweist ein sehr gutes Händchen damit. Denn die zum Teil riesigen Werke des gebürtigen Rumänen zeigen nichts als Blumen, Phantasiegebilde in Aquarell. Hier kommen sie zur Geltung - nahezu hyperrealistisch echt in der Darstellung von Blüten und Knospen, bis hin zu kleinen Details in Staubgefäßen, Samenständen oder Luftwurzeln. Dabei strahlen diese Organismen in rot, blau, purpur, orange oder gelb. Auch in großem Format, das keck von der Decke hängt. Es gibt deutliche Anlehnungen an die Tradition der Blumenmalerei wie man sie bei den Miniaturen von Georg Hoefnagel im 16. Jahrhundert findet, über den Schmückle promoviert hat. Aber natürlich grüßt auch Maria Sybilla Merian von Ferne. Wir sehen kostbare Schmuckstücke, die sehr gut zum Städel passen.
Stefanie Blumenbecker lobt das Städel für den Mut, in diesem Transit-Raum derart hochwertige Kunst zu zeigen||
Es hat 42 Jahre gedauert, bis die Oper Frankfurt nach der Skandal-Inszenierung von Hans Neuenfels "Aida" wieder auf den Spielplan gesetzt hat. Vor allem, dass Neuenfels Aida als Putzfrau zeigte, stieß damals übel auf. In der Neu-Inszenierung von Lydia Steier ist Aida wieder eine Putzfrau - vielleicht eine Reverenz an Neuenfels -, aber heutzutage ist das Publikum Schlimmeres gewohnt. Immerhin ist Aida eine äthiopische Geisel am ägyptischen Hof, und die werden mit niederen Arbeiten beschäftigt. Doch insgesamt überzeugte die Neu-Inszenierung vor allem in der zweiten Hälfte nicht, sodass es zum Schluss nicht nur Bravo-, sondern auch Buhrufe für das Regie-Team gab. Musikalisch war "Aida" jedoch über allen Zweifel erhaben. Und besonderes Lob verdient Aida-Sängerin Guanqun Yu, die trotz einer Verletzung sich nichts anmerken ließ und bis zum Schluss durchhielt.
Meinolf Bunsmann genoss die Musik in der Neu-Inszenierung von "Aida" an der Oper Frankfurt, die Regie dagegen weniger.||
Der Schriftsteller Navid Kermani stellte im Schauspiel Frankfurt sein neues Buch "Das Alphabet bis S" vor. Autofiktion hat es in der Literatur schon immer gegeben, nur der Name dafür ist neu. Kermani hat eine Erzählerin gewählt, um aus seinem eigenen Leben zu erzählen. So kann es passieren, dass die Erzählerin dem Kollegen Rafik Schami begegnet, und man fragt sich schon, woher sie ihn überhaupt kennt, während dass bei Kermani keine Frage wäre. "Das Alphabet bis S" ist kein auf einen Schluss hin durchkomponierter Roman, sondern ein Tagebuch, was Kermani erlaubt, durch die Themen zu mäandern. Er schätzt den Zufall, wie er bei der Lesung betonte. Der Titel kam zustande, weil die Erzählerin sich zu Anfang des Jahres vornimmt, ihre ungelesenen Bücher zu lesen, und immerhin schafft sie es bis zum Buchstaben "S". Auf dem Weg dahin gelingen Kermani manche Einsichten, und vor allem die Reise-Eindrücke aus Städten wie Kairo sind lesenswert.
Mario Scalla verbrachte einen anregenden Abend bei Navid Kermanis Lesung aus "Das Alphabet bis S"||
Wer sich bei diesem unwirschen Wetter "Reif für die Insel" fühlt, für den ist der neue Film von Marc Fitoussi gerade das richtige. Als Jugendliche waren Blandine (Olivia Côte) und Magalie (Laure Calamy) unzertrennlich, doch irgendwann verloren sie sich aus den Augen. 30 Jahre später treffen sie sich wieder und beschließen, einen Traum von damals zu verwirklichen: eine Reise auf die Kykladen. Allerdings müssen sie feststellen, dass ihre Vorstellungen vom perfekten Urlaub sich auseinander entwickelt haben. Bevor ihr Urlaub jedoch scheitert, treffen sie Bijou (Kristin Scott Thomas), die trotz einer Brustkrebs-Diagnose Lebensfreude versprüht. Ein Film nicht nur für Liebhaber der griechischen Inseln.
Für Ulrich Sonnenschein bringt der Film "Reif für die Insel" Lebensfreude in die Trübnis||
Das ist nicht einfach eine Lesung: Das Licht geht aus, es ist ganz dunkel – und dann steht er auf einmal angeleuchtet vorne an der Bühne und fragt: "Mögen sie Regen?" Ferdinand von Schirach als bürgerliche Erscheinung, Maßanzug, sehr gewählte Ausdrucksform, formvollendet. Er liest nicht, sondern trägt den Text des Buches vor, ein paar spontane Exkurse inklusive. Niemand sollte sich gelangweilt haben, denn er nimmt sein Publikum gelegentlich mit, klagt über Raucherfeinde, zündet sich eine an – Applaus. Applaus auch, wenn er über die Unausweichlichkeit von Ambivalenz spricht – was ist schon eindeutig im Leben? Oder in der Literatur? Alles munter witzig dahererzählt, stets mit Haltung, etwa zum Antisemitismus. Ferdinand von Schirach versteht es geschickt, in Kulturanekdoten Nachdenkliches und Unterhaltendes zu verbinden. Das kommt sehr gut an, ob Tod oder Ehekrach, der tödlich ausging – seine Leichtigkeit hilft, auch die schlechte Nachrichten zu verarbeiten.
Mario Scalla bewundert, wie man das Kunststück vollbringt, lange Textpassagen auswendig vorzutragen||
Wutbürger sind ein vieldiskutiertes Phänomen unserer Zeit; die beiden flämischen Autoren Jan Sobrie und Raven Ruëll sind der Meinung, dass es auch das Gegenteil davon gebe: "Wutschweiger". Das Staatstheater Darmstadt hat ihr "Klassenzimmerstück" aufgeführt, das tatsächlich nur knapp eine Schulstunde dauert. Ebeneser ist mit seinen Eltern in einen Wohnblock umgezogen, weil sie sich ihr Häuschen nicht mehr leisten können. Mit seiner Freundin Sammy freut er sich auf den Höhepunkt des Jahres: Skiferien mit der ganzen Klasse. Doch dann können weder er, noch Sammy mitfahren, weil ihre Eltern das Geld nicht haben. Ebeneser und Sammy beschließen, fortan aus Wut zu schweigen, und wie sich herausstellt, ist das eine ganz schön laute Botschaft. Das Staatstheater Darmstadt bietet Schulen an, mit diesem "Klassenzimmerstück" in die Schulen zu kommen.
Ursula May findet "Wutschweiger" gut, gerade weil es auf den pädagogischen Zeigefinger verzichtet.||
The Old Oak ist ein Filmdrama von Ken Loach. Der Film spielt in einem ehemaligen Grubendorf in der Grafschaft Durham im Nordosten Englands und in dem titelgebenden, letzten verbliebenen Pub. Der Film feierte im Mai 2023 bei den Filmfestspielen in Cannes seine Premiere und ist seit gestern in unseren Kinos zu sehen. Weil die Gruben geschlossen werden, verlassen die Menschen das Land. Die Häuser sind hier daher billig und stehen leer, weshalb man in der Bergarbeiterstadt im Jahr 2016 syrische Flüchtlinge unterbringt. Eine von ihnen, die junge Yara, freundet sich mit ihrem Vermieter TJ Ballantyne an, dem Besitzer des "Old Oak", der ihnen seine Räumlichkeit als Refugium zur Verfügung gestellt hat. Gemeinsam versuchen sie, die lokale Gemeinschaft wiederzubeleben, indem sie eine Armenküche einrichten, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Essen gibt. Das Drehbuch schrieb Paul Laverty, der seit Loachs Film Carla’s Song mit dem Regisseur zusammenarbeitet. Loach kündigte an, "The Old Oak" werde sein letzter Film sein, bevor er sich als Filmemacher zur Ruhe setzt.
Ulrich Sonnenschein hat solch einen Ken Loach noch nie gesehen||
Die Sauna, um die sich der Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood" dreht, steht in Estland, aber sie könnte überall in Nordeuropa stehen. Anders als hierzulande üblich, besuchen im Norden die Geschlechter streng getrennt die Sauna. Dort öffnen sich nicht nur die Poren, sondern auch die Herzen. Die Frauen, die Regisseurin Anna Hints begleitet, sprechen über Schönheit und Familie, aber mit der Zeit kommen auch schwierigere Themen zur Sprache. Da berichtet die eine von ihrem lesbischen Coming-out, die andere von Geburtsschmerzen, die dritte von einer Vergewaltigung und dass das Spießrutenlaufen danach beinahe noch schlimmer war. Trotzdem versichert hr2-Kritiker Ulrich Sonnenschein, dass "Smoke Sauna Sisterhood" nichts Voyeuristisches an sich habe. Der Film wurde beim Sundance-Film-Festival für die beste Regie ausgezeichnet.
Ulrich Sonnenschein beschreibt "Smoke Sauna Sisterhood" als dokumentarisches Gedicht in Bildern.||
Theater für Kinder ist wahrscheinlich das schwerste - ist es nicht gut, dann herrscht Unruhe im Parkett. Im Staatstheater ist es dagegen mucksmäuschenstill, gespannt verfolgen Kinder und Anhang das Geschehen in diesem Musical: Lyman Frank Baums "Zauberer von Oz", vor über 100 Jahren als Wunderwelt ausgedacht, wird in Darmstadt ins Heute gebracht - man dreht kleine Videos und möchte damit viral gehen, der Vater findet das nicht so optimal - eine Alltagssituation, die viele Kinder und Eltern kennen. Und diese Version ist trotzdem phantastisch märchenhaft: Der Blechmann eine wunderbare Blechfrau, die köstlich quietscht und knarzt, die Hexe als Dragqueen mit glitzernden Plateaustiefeln und viel weniger bedrohlich als im Original. Per Heißluftballon mit vielen grünen Luftballons schwebt Doro in die Smaragdstadt, viele Seifenblasen begleiten sie - es folgt eine Stunde Wunderbares. Insgesamt eine bunte und besonders klangvolle Welt, viel Applaus kleiner Hände belohnen Sänger und das Team um Regisseurin Caroline Stolz, Designerin Nina Wronka und Timo Willecke, der komponiert und dirigiert hat.
Susanne Pütz imponierte die Band und ihre Geräusche aus dem Orchestergraben des Staatstheaters||
Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zeigt eine bedeutende Künstlerin, die über Jahrzehnte von den grossen Museen dieser Welt schlicht vergessen oder ignoriert wurde. Die US-amerikanisch-mexikanischen Malerin und Bildhauerin Elisabeth Catlett hatte ein, sagen wir mal, angespanntes Verhältnis zu ihrem Geburtsland USA, wo sie als schwarze Frau mit Haltung schikaniert und verfolgt wurde. Jetzt sehen wir Zeichnungen, Lithografien, Holz- und Linoldrucke, sehr viele Skulpturen. Catlett hat in ihrer 70 jährigen Schaffenzeit ein riesiges Werk hinterlassen, das von ihrer Person und ihrem "Schicksal" nicht zu trennen ist: Vor allem Porträts von Frauen, von Müttern mit Kindern, Skulturen von Frauen, die raumfüllend dastehen, die ihre Fäuste in die Luft recken, aufrecht mit beiden Beinen auf dem Boden - und stolz, im Kampf, gegen Unterdrückung. Höchste Zeit, dass wir Elizabeth Catlett würdigen und ihr den Platz einräumen, der ihr gebührt. In Frankfurt lernt man ihr Werk gut, sie als Mensch leider zu wenig kennen, noch nicht einmal ein Foto von ihr ist zu finden, schade.
"Momo" von Michael Ende ist ein Klassiker der Kinderbuchliteratur. Das Schauspiel Frankfurt beweist, dass die Geschichte auch auf der Bühne funktioniert. Momo, die in Ruinen am Rande der Stadt lebt, hat eine Gabe, für die sie alle lieben: Sie kann zuhören. Doch plötzlich hören die Menschen auf, sie zu besuchen; die grauen Herren von der Zeitsparkasse sind aufgetaucht, die den Menschen einreden, sie müssten Zeit sparen. Mit Hilfe der Schildkröte Kassiopeia bringt Momo den Menschen ihre Zeit zurück. Es gibt viel zu bestaunen in der Inszenierung, die so dicht gepackt ist, dass manche Kinder Schwierigkeiten haben werden zu folgen. Von daher ist es ratsam, vor dem Besuch der Vorstellung das Buch mit den Kindern zu lesen.
Bastian Korff hat Michael Endes "Momo" schon als Kind mit der Taschenlampe im Bett gelesen.||