"Die Hamletmaschine" ist ein "Musiktheater in fünf Teilen", das Wolfgang Rihm auf den gleichnamigen Text von Heiner Müller komponierte. Seit seiner Uraufführung 1987 war es selten live zu erleben, doch nun setzt sich das Staatstheater Kassel überzeugend für das monumentale Stück ein. Auf den "Ruinen von Europa" entfaltet sich eine Studie über das Scheitern von Revolutionen und die zerstörerische Natur des Menschen. Die spartenübergreifende Produktion von Oper, Schauspiel und Tanz_Kassel regt damit auch zum Nachdenken über die Gegenwart an.
Stephan Hübner war am Staatstheater Kassel von der Musik überwältigt und bekam viel Denkfutter||
"Auslöschung. Ein Zerfall" ist eigentlich ein Roman des großen Österreich-Hassers Thomas Bernhard, den Felix Metzner für die Bühne im Staatstheater Darmstadt adaptiert hat. Alles, was an Österreich hassenswert ist - die nationalsozialistische Vergangenheit, die Heuchelei der katholischen Kirche - läuft für Bernhard in einem Begriff zusammen: Wolfsegg, und dieses Wolfsegg muss ausgelöscht werden. Auf der Darmstädter Bühne erklingt der typische Bernhard-Sound. Und leider muss man feststellen, dass seine Österreich-Kritik in letzter Zeit wieder an Aktualität gewinnt.
Ursula May erlebte in Darmstadt mit "Auslöschung. Ein Zerfall", wie eine neue Generation von Theatermachern mit Thomas Bernhard umgeht.||
Im zeitgenössischen Tanz spielt der Bühnenraum meist keine große Rolle. Anders in der Choreografie "Glue light blue" von Nadav Zelner am Staatstheater Wiesbaden: Hier tanzen selbst die auf der Bühne herumliegenden Steine, Wände werden hochgezogen und senken sich. Die Szene ist in die Farben hellblau und rostbraun getaucht. Die Musik des israelischen Choreografen klingt orientalisch, und seine Themenwelt entführt in eine fantasievolle Kindheit. Dazu kommt eine hervorragende Leistung des Ensembles, die vom Publikum mit anhaltendem Applaus belohnt wurde.
Ursula May erlebte einen magischen Tanzabend mit "glue light blue" am Staatstheater Wiesbaden||
Wer die Verdi-Oper "Otello" am Staatstheater Darmstadt besucht, wird eine riesige Leinwand über der Bühne aufgespannt finden, auf der Otello, Jago und Desdemona als Avatare in einem Computerspiel auftauchen. Die Idee ist nicht schlecht, doch wird dafür immer wieder die Handlung unterbrochen, um das Publikum per Handy über den weiteren Ablauf abstimmen zu lassen. Die Zuschauer reagierten mit Buh-Rufen und Rufen nach mehr Musik. Endgültig zur Reizüberflutung wird die Inszenierung durch mehrere Bildschirme, auf denen alles Mögliche abgehandelt wird. Eine Oper lebt bekanntlich von der Musik. Die war durchaus achtenswert umgesetzt, ging aber durch die Inszenierung unter. Nach der Pause blieben zahlreiche Plätze leer. Das Regie-Team schien am Schluss der Vorstellung die Verstörung zu genießen, die es unter den Zuschauern angerichtet hatte.
Susanne Pütz brummte nach der Aufführung von "Otello" am Staatstheater Darmstadt der Kopf.||
Die Kunstsammlung des genossenschaftlichen Bankhauses befasst sich ausschließlich mit Fotografie. In den Ausstellungsräumen am Platz der Republik in Frankfurt werden seit vielen Jahren Kunstwerke gezeigt, die das breite Spektrum der künstlerischen Fotografie vor Augen führen. Die aktuelle Ausstellung heißt "Von hier aus – eine Bestandsaufnahme" und versucht genau das zu klären: Wo steht die Fotografie heute? Wie verändert sie sich durch die Digitalisierung, was kann Fotografie in Zukunft sein? Teile der Ausstellung befassen sich mit Fragen von Theorie und Geschichte der Fotografie, Digitales ist insofern ein Thema, als eine unübersehbar große Fülle an Möglichkeiten angedeutet wird. Das ist ein Ritt durch Geschichte und Möglichkeiten, macht neugierig auf die kommenden Ausstellungen - zumal die Kuratoren um Christina Leber immer ausführlichen und exzellenten Lesestoff dazu anbieten. Mit diesem kostenlosen Heft in der Hand erschließt sich auch diese Kunst besser und führt weiter.
Stefanie Blumenbecker war in der DZ Bank und empfiehlt die Lektüre des Katalogs||
Sind wir nicht alle ein bisschen Woyzeck? Regisseurin Eva Lange begreift Büchners "Woyzeck" am Hessischen Landestheater Marburg nicht als Individuum, sondern als Kollektiv. Deswegen stellt sie einen Chor von acht Personen auf die Bühne, die den Text gemeinsam skandieren. Und tatsächlich eignet sich Büchners Sprache gut zum Skandieren. Und weil der "Woyzeck" ein Fragment ist, erlaubt sich Eva Lange, noch einen modernen Schluss hinzu zu dichten: Woyzeck kommt in eine Gewaltpräventions-Therapie und Marie in ein Mutter-Kind-Heim. Manchmal wirkt das Ganze etwas verkopft, aber jedenfalls gibt es viel Stoff zum Nachdenken in Marburg.
Natascha Pflaumbaum über eine ungewöhnliche "Woyzeck"-Aufführung am Hessischen Landestheater Marburg||
"Shallow Lakes" ist eine Installation der Künstlerin Melike Kara. Sie ist in Deutschland geboren und hat einen kurdischen Familienhintergrund - der spielt hier eine bedeutende Rolle. Ihre Gestelle, die mit bemalten Leinwänden bespannt sind, bieten einen eher abstrakten Assoziationsraum. Man sieht festgefrorene Seen, bemerkt Kälte des Metalls, nach oben wandert der Blick: Zu Wandfolien, Tapeten, großformatigen alten Hochzeits- und Familienfotos, denen man ansieht, dass dort die Eltern- und Großelterngeneration verewigt wurde. In den Collagen wird einiges deutlich, es bleiben viele Unschärfen. Steckt Zerrissenheit in dieser Migrationsgeschichte? Wer durch diese Ausstellung geht, sammelt Informationen, setzt sich das alles peu à peu zusammen. Das ist Erinnerungsarbeit, ein Sammeln ohne Sicherheit. Es bleiben Geheimnisse und Rätsel. Insofern ist dieses Kunstwerk ein Ort für die verstreute kurdische Community - aber auch für jedeermann - um zu schauen, wie familiäre Vergangenheit kulturell aufbewahrt und erinnert werden kann.
Mario Scalla hat sich Zeit genommen und viele Details in dieser riesigen Collage entdeckt ||
Er ist seit vielen Jahren ein klingender Name in der Musikwelt: Zunächst als Pianist, später dann mehr und mehr als Dirigent. Die Liste der Orchester, bei denen er als Chefdirigent gewirkt hat, ist lang. Am Wochenende war Christoph Eschenbach in Kronberg und Frankfurt zu Gast, denn die Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hat ihm die Ehrendoktorwürde verliehen - feierlich, aber nicht zu akademisch oder gar steif, sondern in zwei Gesprächsrunden wurde Christoph Eschenbach den Anwesenden noch etwas persönlicher vorgestellt, als dass die Aufzählung seiner vielen und wichtigen Stationen als Musiker eben leisten könnte. Dazu gab es aber auch Musik von Ensembles der Musikhochschule. Im Herbst wird er noch einmal ein neues Amt antreten, dann wird Christoph Eschenbach für fünf Jahre die Breslauer Philharmonie leiten – und damit schließt sich ein Kreis: denn in Breslau wurde er 1940 geboren, unter denkbar schwierigsten Umständen. Nun kehrt er zurück und kann wieder mit einem neuen Orchester gemeinsam Musik erleben.
Martin Grunenberg skizziert den Lebensweg des wichtigen Dirigenten anlässlich eines Abends in der HfMDK Frankfurt||
Über wild abgelagerten Sperrmüll kann man sich ärgern - oder ihn als Kunst begreifen, so wie Maike Häusling in der Ausstellung "Entsorgte Moderne" im Studio West der Kunsthalle Darmstadt. Nicht nur malt sie auf Brettern aus dem Sperrmüll, ihr Thema sind auch die Sperrmüllhaufen, die bei näherer Betrachtung durchaus künstlerisch reizvoll sein können. Katja von Puttkamer nimmt sich dagegen Gebäudedetails der Nachkriegsmoderne vor. Und auch hier ist so manches architektonisch reizvolle Detail zu entdecken. Nicht zuletzt ist auch die Kunsthalle Darmstadt selbst ein Beispiel für diese Nachkriegsmoderne, die gegenwärtig massenhaft abgerissen und damit entsorgt wird.
Stefanie Blumenbecker findet, dass "Entsorgte Moderne" in Darmstadt Kunst ist, die nicht einfach weg kann.||
"Komödie der Worte", unter diesem Titel hat das Wiesbadener Staatstheater drei selten gespielte Einakter von Arthur Schnitzler herausgebracht: Der große Ergründer seelischer Zustände hat sie Anfang des vorigen Jahrhunderts geschrieben, über Beziehungsprobleme, wie man sie heute noch kennt. Regisseur Noah L. Perktold und die souverän agierenden Schauspieler toben sich ziemlich aus, es gibt sehr böse Pointen - die Stücke sind Steilvorlagen für gute Schauspieler: großartige Dialoge, Wendungen, die sich nicht unbedingt vorher sehen lassen - lustig und unterhaltsam.
Urusula May ist im Staatstheater Wiesbaden immer wieder das Lachen im Halse stecken geblieben.||
Am 19. Februar 2020 erschoss ein Täter neun Hanauer Bürger aus Einwandererfamilien, sowie seine eigene Mutter und sich selbst. Said Etris Hashemi wurde schwer verletzt, unter den Ermordeten waren ein Bruder und Freunde. Im Frankfurter Mousonturm stellte Hashemi nun sein Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte" vor. Zeugen berichten darin zum Beispiel, dass der Notausgang in dem Lokal auf Anordnung der Polizei versperrt gewesen sei. Und Hashemi erzählt, wie die fünf Minuten Gewalt sein Leben umgekrempelt haben; noch heute kann er nicht in einem Lokal sitzen, ohne die Umgebung ständig im Blick zu haben.
Mario Scalla kam beeindruckt aus der Lesung von Said Etris Hashemis Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte" zurück.||
Das Feuerwerk der guten Laune zündet im Publikum erst so richtig im 2. und 3. Akt, dafür aber umso mehr. Viele Lacher, viel Applaus und Bravorufe - diese Musik ist ein Fest für Jacques-Offenbach-Fans und macht Spaß! Was die Inszenierung angeht, bietet Regisseurin Katharina Thoma viel fürs Auge, eine Mischung aus Biederkeit und witzigen Regieeinfällen, aber auch sehr viel Stapstick. Eine Oper mit satirischem Potential, eine Verwechselungskomödie, eine Mischung aus Tradtion und Moderne im quasi barocken Bühnenbild von Etienne Pluss. Pourquoi pas? Alpenidyll mit Bergen und Bäumen, Grenzübergrang oder Autobahnrestaurant - dazu ein schlank besetztes agiles Orchester unter Gastdirigent Karsten Januschke, wie immer ein toller Chor mit witzigen choreographischen Einlagen, das Riesenaufgebot im Soloensemble: 22 Sängerinnen und Sänger, allein elf Tenöre, wohl ein Rekord. Fast alle aus dem eigenen Ensemble sind besetzt, Gerard Schneider als Räuberhauptmann; Elizabeth Reiter und Kelsey Lauritano als seine Tochter und seinen Schwiegersohn in spe stechen hervor - Kompliment!
Meinolf Bunsmann lobt Stimmen und Kurzweil in "Die Banditen" - und die Rutsche...||
So eine Schenkung bekommt man nicht alle Tage: Das Städel zeigt einen Querschnitt des kompletten Schaffens von Honoré Daumier. Die Werke stammen vom Frankfurter Sammler und Anwalt Hans-Jürgen Hellwig. Dieser vermachte mehr als 4.000 Lithographien, Zeichnungen, einige Bronzeplastiken und zwei Gemälde des französischen Karikaturisten und Künstlers des 19. Jahrhunderts. Im Kabinett gibt es neben fast jeder Karikatur einen kurzen Text, der relevante Hintergrund, Personen und Kontext erläutert. Das zeichnerische Können Daumiers, die große Ausdrucksstärke, gewonnen oft aus den genau richtig gesetzten, scharfen Kontrasten von schwarz und weiß, aus genau dem richtigen Schwung der solitären Linie, bereiten auch ästhetisches Vergnügen. So traurig und gravierend die Inhalte oft sind: Es macht – umso mehr mit dem zeitlichen Abstand zum Dargestellten, den wir heute einnehmen können – einen Riesenspaß, sich das anzusehen!
Tanja Küchle hat auf den sehenswerten Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert sogar den ein oder anderen Zensurvermerk entdeckt||
Eine Gruppe Menschen, die überraschend in einem Raum auf unbestimmte Zeit festgesetzt wird, ist ein beliebter Topos in der Kunst. Das komische wie tragische Potenzial dieser Situation buchstabiert Luis Buñuel in seinem Film von 1962 durch, Regisseurin Claudia Bauer hat diese Situation nun für die kleine Bühne des Schauspiels Frankfurts adaptiert. Es geht ganz klar um eine Handlungsfähigkeit einer gesellschaftlichen Klasse, die aufgrund ihrer guten wirtschaftlichen Situation mit großer Verantwortung betraut ist - die sich aber außerstande sieht, dieser gerecht zu werden und ins Handeln zu kommen, obgleich sich die Krisen anhäufen. Im Kammerspiel sieht unsere Besucherin einen handwerklich sehr gut gemachter Abend mit gut aufgelegtem Ensemble, der dramaturgisch allerdings Problem der Vorhersehbarkeit habe - entsprechend gebe es einige Längen. Inhaltlich bewege er sich nah an tagesaktuellen Diskursen, aber man erfahre wenig Neues, was schade ist.
Esther Boldt über die erste Bühnen-Adaption des Luis-Buñuel-Films in Frankfurt||
Jack London kennt man eher für seine Abenteuerromane, umso interessanter ist es, den autobiographischen Text "König Alkohol" als Ein-Personen-Stück präsentiert zu bekommen. Johann Jürgens steht mit Cowboyhut auf der minimalistisch ausgestatteten Bühne des Kasseler Theater im Fridericianum (tif) und berichtet von seinen Erfahrungen mit dem zweifelhaften Adligen, von ersten Begegnungen, von ständigen Verführungen, von Phasen der Enthaltsamkeit. Jack Londons Text ist weder eine Verherrlichung noch eine Verteufelung des Alkohols, vielmehr eine soziale und psychologische Studie. Und die bringt Johann Jürgens eindrücklich auf die Bühne: Er spricht, singt, spielt Mundharmonika und lässt seine Geschichten ausgesprochen lebendig werden.
Andreas Wicke sieht nur eine Probe, bekommt aber Lust auf die Produktion||
Regisseurin Sofia Coppola war bei ihrem neuen Film "Priscilla" gewiss nicht zu beneiden. Nicht nur diente die Autobiografie von Priscilla Presley ihr als Vorlage; Priscilla Presley war auch noch Produzentin des Films. Trotzdem ist "Priscilla" über die Ehefrau von Elvis Presley ein typischer Sofia-Coppola-Film geworden. Die beiden lernten sich in Wiesbaden kennen, und Priscilla muss sich in das Leben in den Vereinigten Staaten und als Ehefrau einer Berühmtheit erst mal eingewöhnen. Elvis überschüttet sie mit Schmuck und anderen Aufmerksamkeiten, nötigt sie aber auch dazu, regelmäßig Beruhigungsmittel zu nehmen. Als typisches Kind der 50er Jahre erwartet er von seiner Frau, dass sie sich fügt. Zum Beispiel muss sie sich die Haare schwarz färben, weil er es so schöner findet. Der Film wartet nicht mit neuen Enthüllungen über Elvis auf; für die Zerstörung seines Rufs hat er in seinen letzten Lebensjahren selbst gesorgt. Aber "Priscilla" bietet für alle, die sich für Elvis interessieren, den ergänzenden Blick von Seiten der Ehefrau.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Priscilla" von Sofia Coppola||
Das eigene Gesicht hat Künstlern aller Epochen als Vorlage gedient - man muss kein Modell bezahlen, und es ist immer verfügbar. Was Markus Walenzyk in der Ausstellung "Druck" im Kunsthaus Wiesbaden mit seinem Gesicht anstellt, geht allerdings weit darüber hinaus. In einer Video-Installation sieht man zum Beispiel wie er sich vornüber in weiche Erde fallen lässt, wieder aufsteht und sein Gesicht als Hohlform hinterlässt. In einer anderen Video-Installation schmiert er sich einen weißen Schleim ins Gesicht, bis nur noch ein Auge offen bleibt. Man kann die Arbeiten von Walenzyk als Kommentar zu unserer Selfie-Kultur lesen. Sie sind schmerzhaft, aber durchaus auch komisch.
Stefanie Blumenbecker war von den Arbeiten Markus Walenzyks im Kunsthaus Wiebaden beeindruckt.||
Beim "Nussknacker" erwartet man zunächst ein Ballett mit der Musik von Tschaikowski, doch das Frankfurter Papageno Musiktheater greift bei seinem Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt stark auf E. T. A. Hoffmanns Vorlage "Nussknacker und Mäusekönig" zurück. Dort ist es Weihnachtsabend bei Familie Stahlbaum: Die Geschwister Marie und Fritz tanzen um den Weihnachtsbaum und beschädigen dabei den Nussknacker. Marie kümmert sich um die Holzfigur, und ihr Patenonkel beginnt zu erzählen: Eine rachsüchtige Maus habe einen jungen Mann in den Nussknacker verwandelt. Um Mitternacht werden die Figuren in Maries Traum lebendig, und Maus und Nussknacker treten gegeneinander an. In der Version des Papageno Musiktheaters kommen die Tanzeinlagen erst in der zweiten Hälfte, die Musik wird teils live, teils vom Band gespielt. Beim jungen Publikum kam diese Version des "Nussknacker" gut an.
Meinolf Bunsmann fühlte sich im jungen Publikum des "Nussknacker" vom Papageno Musiktheater gut aufgehoben.||
Beinahe wäre die Aufführung von Donizettis "Der Liebestrank" am Staatstheater Darmstadt geplatzt, denn der Sänger des "Nemorino", der Tenor David Lee, war kurzfristig erkrankt. Für ihn sprang Matteo Roma ein, der sich in nur zwei Tagen in die Inszenierung einarbeitete. Von diesen Begleitumständen war bei der Premiere nichts mehr zu spüren. Regisseurin Geertje Boeden hatte auf der Bühne einen pastellfarbenen Traum bereitet. Zwei neue Rollen tauchen auf: Upupa und Colombina, zwei possierliche Vögel, die heftig miteinander turteln, und den Sängern gelegentlich die Show stehlen. Donizettis Musik ist abwechslungsreich, der Darmstädter Chor spielfreudig; Juliana Zara glänzt als "Adina". Für ihren Kraken-Rock mit Tentakeln gab es sogar einen Extra-Applaus. Eine Inszenierung für alle Liebhaber der leichten Oper und auch für Kinder ab zehn Jahren geeignet.
Meinolf Bunsmann ließ sich in Darmstadt vom Tschingderassa-Bumm in Donizettis "Liebestrank" mitreißen||
"Something rotten" am English Theatre Frankfurt spielt natürlich auf das Shakespeare-Zitat an, etwas sei faul im Staate Dänemark, und das ist genau das Problem, das die Brüder Nick und Nigel Bottom im England der Renaissance-Zeit haben: Wie hält man die eigene Theater-Truppe am Leben, wenn das Publikum nur noch die Stücke von diesem Shakespeare sehen will? Die Bottom-Brüder konsultieren ein Orakel, und das sagt ihnen voraus, dass im Theater der Zukunft geschauspielert, getanzt und gesungen werden wird und das alles gleichzeitig! Die beiden machen sich daran, das Musical zu erfinden. Das English Theatre bietet mit "Something rotten" eine hinreißende Show, die allerdings nur schätzen wird, wer über gediegene Englisch-Kenntnisse und einen soliden Bildungshintergrund zum Verständnis der Shakespeare-Anspielungen verfügt.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Something rotten" am English Theatre Frankfurt für Englisch-Fort-Fort-Fortgeschrittene||
Das Städel Museum in Frankfurt würdigt bis 14. April 2024 Miron Schmückle mit "Flesh for Fantasy". Nicht bei den Alten Meistern, nicht bei den Modernen in den unteren Gartenhallen, sondern genau dazwischen: dort, wo man normalweise nur durchläuft. Das ist neu - und der kuratierende Direktor Philipp Demandt beweist ein sehr gutes Händchen damit. Denn die zum Teil riesigen Werke des gebürtigen Rumänen zeigen nichts als Blumen, Phantasiegebilde in Aquarell. Hier kommen sie zur Geltung - nahezu hyperrealistisch echt in der Darstellung von Blüten und Knospen, bis hin zu kleinen Details in Staubgefäßen, Samenständen oder Luftwurzeln. Dabei strahlen diese Organismen in rot, blau, purpur, orange oder gelb. Auch in großem Format, das keck von der Decke hängt. Es gibt deutliche Anlehnungen an die Tradition der Blumenmalerei wie man sie bei den Miniaturen von Georg Hoefnagel im 16. Jahrhundert findet, über den Schmückle promoviert hat. Aber natürlich grüßt auch Maria Sybilla Merian von Ferne. Wir sehen kostbare Schmuckstücke, die sehr gut zum Städel passen.
Stefanie Blumenbecker lobt das Städel für den Mut, in diesem Transit-Raum derart hochwertige Kunst zu zeigen||
Es hat 42 Jahre gedauert, bis die Oper Frankfurt nach der Skandal-Inszenierung von Hans Neuenfels "Aida" wieder auf den Spielplan gesetzt hat. Vor allem, dass Neuenfels Aida als Putzfrau zeigte, stieß damals übel auf. In der Neu-Inszenierung von Lydia Steier ist Aida wieder eine Putzfrau - vielleicht eine Reverenz an Neuenfels -, aber heutzutage ist das Publikum Schlimmeres gewohnt. Immerhin ist Aida eine äthiopische Geisel am ägyptischen Hof, und die werden mit niederen Arbeiten beschäftigt. Doch insgesamt überzeugte die Neu-Inszenierung vor allem in der zweiten Hälfte nicht, sodass es zum Schluss nicht nur Bravo-, sondern auch Buhrufe für das Regie-Team gab. Musikalisch war "Aida" jedoch über allen Zweifel erhaben. Und besonderes Lob verdient Aida-Sängerin Guanqun Yu, die trotz einer Verletzung sich nichts anmerken ließ und bis zum Schluss durchhielt.
Meinolf Bunsmann genoss die Musik in der Neu-Inszenierung von "Aida" an der Oper Frankfurt, die Regie dagegen weniger.||
Wutbürger sind ein vieldiskutiertes Phänomen unserer Zeit; die beiden flämischen Autoren Jan Sobrie und Raven Ruëll sind der Meinung, dass es auch das Gegenteil davon gebe: "Wutschweiger". Das Staatstheater Darmstadt hat ihr "Klassenzimmerstück" aufgeführt, das tatsächlich nur knapp eine Schulstunde dauert. Ebeneser ist mit seinen Eltern in einen Wohnblock umgezogen, weil sie sich ihr Häuschen nicht mehr leisten können. Mit seiner Freundin Sammy freut er sich auf den Höhepunkt des Jahres: Skiferien mit der ganzen Klasse. Doch dann können weder er, noch Sammy mitfahren, weil ihre Eltern das Geld nicht haben. Ebeneser und Sammy beschließen, fortan aus Wut zu schweigen, und wie sich herausstellt, ist das eine ganz schön laute Botschaft. Das Staatstheater Darmstadt bietet Schulen an, mit diesem "Klassenzimmerstück" in die Schulen zu kommen.
Ursula May findet "Wutschweiger" gut, gerade weil es auf den pädagogischen Zeigefinger verzichtet.||
Eigentlich wollte die Oper Frankfurt György Ligetis "Le grand macabre" 2020 aufführen, aber da machte die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Das Warten hat sich gelohnt. Schon das üppige Bühnenbild bekam einen Sonderapplaus vom Publikum. Inhaltlich geht es um nichts weniger als den Weltuntergang, den der Prophet Nekrotzar verkündet: Ein Komet wird auf der Erde einschlagen und die Menschheit auslöschen. Die lässt daraufhin noch einmal die Sau raus. György Ligeti verlangt den Sängern und dem Orchester fast schon Unmögliches ab, doch sie meistern die Herausforderung. Am Ende fliegt der Komet an der Erde vorbei. "Die Moral von der Geschicht': Fürchtet den Tod nicht, gute Leut' / Irgendwann kommt er, doch nicht heut' / Und wenn er kommt, dann ist's soweit, / Lebt wohl so lang in Heiterkeit."
Meinolf Bunsmann war so begeistert, dass er sich "Le grand macabre" ein zweites Mal anschauen wird.||
Die Neue Galerie in Kassel zeigt die Sonderausstellung "Fritz Winter - documenta-Künstler der ersten Stunde". Wegen seiner Bildsprache zu Beginn der 50er Jahre gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Nachkriegsmalerei, war superprominent auf der ersten documenta ausgestellt und hat quasi im Alleingang dort demonstriert, dass Kunst in Deutschland wieder international auf der Höhe der Zeit ist: Schwarze Balken-Formen schweben vor gelb, grau und blau. Die Bilder sind farbstark, spielerisch, lyrisch. Sie leben von Rhythmus, Tonalität und Klang - ein bisschen wie farbgewordener Jazz. Man sieht immer wieder schwarze dünne Linien und kräftige Formen, die mit farbigen Flächen und Formen ein lebendiges Gleichgewicht finden. Auch wenn diese Malerei nichts konkret Politisches thematisiert, so erscheinen sie doch als intuitive Bildwerdung auf Bedrohung, eine sich schließende Gesellschaft und mächtige dunkle Kräfte. Unglaublich gute Malerei!
Stefanie Blumenbecker empfiehlt das Werk eines Künstlers, der Maßstäbe wie Picasso gesetzt hat||
Eine Premiere verschieben, das macht man nicht ohne weiteres, aber das Warten auf den Bariton Grga Peros hat sich gelohnt: Dieser Rigoletto an der Seite des warm timbrierten Michael Ha (Herzog von Mantua) und der klaren, zerbrechlichen "Gilda" Annika Gerhards ist großartig, kraftvoll, differenziert, ja: ergreifend gesungen! Die Erfolgsoper von Giuseppe Verdi über Moral, Liebe und eine Drei-Klassen-Gesellschaft kommt am Stadttheater Gießen im schlichten Bühnenbild daher, das Philharmonische Orchester unter Andreas Schüller kostet die kammermusikalischen Momente aus, ergänzt manch Düsternis auf der Bühne bis zur Gänsehaut. Die berühmte Arie "Donna e mobile", die am Ende aus dem Off ertönt und schaurige Gewissheit bringt, beendet eine sehenswerte Inszenierung und diesen hörenswerten Abend. Bravi!
Christiane Hillebrandt bewunderte am Stadttheater auch den herrlichen und gut mitspielenden Männerchor ||
Ihr Sohn hat einen Mord begangen - soviel ist unstrittig in "Die Masken des Teufels" von David Mamet am Staatstheater Wiesbaden. Eine Mutter würde trotzdem alles tun, um ihn vor dem Gefängnis zu bewahren. Darf sie wirklich alles, fragt David Mamet, denn die Mutter - wohlhabend und gut vernetzt - scheut vor keinem Mittel zurück. Zwei Polizisten, die schon längst den Glauben an den Rechtsstaat verloren haben, flüchten sich in ein zynisches Lob des Schlagstocks. Und die Mutter fragt sich: Könnte man nicht die Geschworenen bestechen? Und was ist mit dem Opfer? Hat sie nicht den Sohn verführt? Und dann ist die auch noch eine Jüdin. Je länger "Die Masken des Teufels" währt, desto monströser werden die Rettungsversuche, die sich die Mutter ausdenkt. David Mamet fragt in seiner Versuchsanordnung, was ein liberales Rechtssystem an Angriffen von prinzipienlosen Menschen aushält.
Mario Scalla bescheinigt dem Text von "Die Masken des Teufels" einige Schwächen, die aber geschickt von der Regie aufgefangen werden.||
Wer hat sich nicht schon gewünscht, bei einem Film die Regie zu übernehmen? Sei vorsichtig, was du dir wünschst, würde man in England dazu sagen, es könnte wahr werden. Bei der Video-Oper "Kairosis", die im Frankfurter Netzwerk Seilerei gezeigt wurde, durfte das Publikum immer wieder selbst entscheiden, wie es weitergehen sollte. Nur entschied das Publikum schlecht, wie der Schöpfer der Video-Oper Moritz Eggert es wiederholt wissen ließ. So starb die Protagonistin zweimal innerhalb von kurzer Zeit, sodass Eggert mit dem Film von vorne anfing. Gesungen wurde nicht, sodass die Erwartung auf eine Oper enttäuscht wurde. Die besten Musikstücke steckten in Handlungssträngen, gegen die sich das Publikum entschieden hatte, ließ der Komponist das Publikum wissen. Zum Schluss fragte sich nicht nur unser Kritiker, was das Ganze soll.
Bastian Korff liebt Oper, und er liebt Video-Spiele. Beides bekam er nicht.||
"Ich möchte Vergebung, gebt Ihr mir Nachsicht!" Uwe Eric Laufenberg verabschiedet sich in seiner letzten Spielzeit am Staatstheater Wiesbaden mit Shakespeares "Sturm". Der Intendant hatte die Inszenierung sowie die Hauptrolle des Prospero selbst übernommen. In Shakespeares letztem Stück geht es um Macht, um die Verantwortung im Umgang damit sowie ums Abschied-Nehmen. Eine passende Wahl zum Ende eines nicht immer ganz unumstrittenen Intendanten. Das Wiesbadener Publikum dankte es ihm mit Applaus.
Mario Scalla fand die Inszenierung bildgewaltig, hätte sich aber eine Inszenierung mit aktuellen Bezügen gewünscht.||
Ein Klassiker der Opernbühne und zugleich der Auftakt einer neuen Ära in Frankfurt: Generalmusikdirektor Thomas Guggeis zum ersten Mal in dieser Funktion, motiviert und kreativ, wie man den 30-Jährigen kennt und jetzt schon liebt. Das Bühnenbild spärlich, die Kostüme knallbunt, die Stimmen umwerfend: Frankfurt ist nicht umsonst Opernhaus des Jahres, das Quartett Elena Villalón (Susanna), Adriana González (Gräfin), Danylo Matviienko (ein Graf Almaviva mit viel Witz und großem Männlichkeitsego) und der Bassbariton Kihwan Sim als Figaro bereiteten sängerisch einen großen Abend! Guggeis leitet diese Inszenierung nicht nur vom Pult, sondern auch vom Hammerflügel aus, bindet die Rezitative bruchlos ein, alles mit viel Humor und sehr versiert. Freuen wir uns auf all das, was in dieser Spielzeit noch kommen wird!
Susanne Pütz wurde in der Oper Frankfurt von vielem sehr positiv überrascht||
Molière hat die Hauptfigur in "Der Geizige" eigentlich als Ekelpaket angelegt; er quält Diener und Kinder, versucht seinem Sohn die Frau auszuspannen. Nur zum Geld unterhält er ein erotisches Verhältnis. Peter Schröder gelingt am Schauspiel Frankfurt das Kunststück, diese Figur sogar charmant wirken zu lassen. Dazu kommen ein überzeugendes Bühnenbild und Kostüme voller Überraschungen, denn unter den schwarzen Talaren verstecken sich die buntesten Verkleidungen. Und das märchenhafte Ende, in dem es Goldlametta regnet, versöhnt dann endgültig mit dem Geizhals. Eine vollauf gelungene Inszenierung, die Mateja Koležnik zu verantworten hat.
Ursula May war von der Aufführung von Molières "Der Geizige" am Schauspiel Frankfurt verzaubert.||
Vor dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt steht Vera Röhms mächtige "Licht-Strahl-Eiche", in der Acrylglas einen Durchblick auf die Holzstruktur erlaubt. Die Bildhauerin hat Acrylglas als Material für die Bildhauerei entdeckt. In einem Gespräch im Hessischen Landesmuseum erzählte sie, wie sie auf die Idee kam, Acrylglas mit geborstenem Holz zu kombinieren. Nach einem Sturm war sie von den ungeknickten Bäumen fasziniert; aber es dauerte Jahre, bis sie heraushatte, wie sich Acrylglas, Holz und Stahl dauerhaft kombinieren lassen. Und Röhm erzählte, wie bei ihr der künstlerische Prozess von der Zeichnung bis zur fertigen Skulptur verläuft.
Stefanie Blumenbecker schätzt Vera Röhm als eine der großen Bildhauerinnen unserer Zeit.||
Das Klingspor-Museum in Offenbach widmet sich der Buch- und Schriftkunst. In seiner Ausstellung "Achtung: enthält Leben" zeigt es Tagebücher von Künstlern sowie von Menschen, die ihre Tagebücher nach einem Aufruf eingereicht hatten. Tagebuch-Schreiben als Mittel der Reflektion sei wieder modern, heißt es. Von "Tagebuch schreiben" kann allerdings häufig kaum mehr die Rede sein, wenn man die kleinen Kunstwerke mit Zeichnungen, Fotos und Ausschmückungen sieht. Andere haben den nüchternen Charakter von Notizbüchern. Und dann gibt es da noch die "Bullet Journals" in denen Menschen stichwortartig zum Beispiel ihr tägliches Körpergewicht, die gelaufene Schrittzahl oder die Haushaltsausgaben eintragen. Selbst hier gibt es Einiges zu entdecken, wie den Eintrag "verkatert, obwohl sehr viel Wasser getrunken".
Stefanie Blumenbecker betrachtet Tagebücher als Weg in die künstlerische Betätigung.||
Ob Sie mit ihr gespielt haben oder nicht, man kann ihr derzeit nicht entgehen: Ob im Kino oder in anderen Medien – Barbie ist allgegenwärtig. Auch in der Austellung, die jetzt an historischem Ort zu sehen ist. Wohltuend zurückhaltend präsentiert man die Geschichte der Kunststoffschönheiten, es schreien einen keinen grellen Farben an: Original-Puppen, die mitunter über 60 Jahre auf dem hübschen Buckel haben und mit denen auch gespielt wurde. Sogar die "Bild-Lilli" ist da, die als Comic erfunden wurde und als Ursprungs-Idee für Barbie gilt. Aus Deutschland kommt also der Hype um die ultraschlanke Blonde. Sie zog um die Welt und war auch züchtig gekleidet oder mit Hüftpolstern zu haben. Eine Zeitreise durch die Modepuppen-Geschichte, nicht nur für 6-Jährige.
Bastian Korff wollte im Brüder-Grimm-Haus in Steinau die Puppen gerne anfassen, durfte aber nicht||
Das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt stellt vor allem Handschriften aus. Da liegt es nahe, einmal die Schrift selbst zum Thema einer kleinen Ausstellung zu machen: "Schreiben mit der Hand in der Zeit der Romantik". Vom 17. Jahrhundert bis zum "Dritten Reich" schrieben die Deutschen vor allem in Kurrentschrift, die heute kaum noch jemand lesen kann. Fremdwörter wurden in der uns geläufigen lateinischen Schrift geschrieben. Das ging soweit, dass Goethe seinen "West-Östlichen Divan" in lateinischer Schrift verfasste, da es ja um ein ausländisches Thema ging, den "Faust" aber in Kurrentschrift.
Rosemarie Tuchelt war von der Vielzahl der Handschriften-Typen in der deutschen Geschichte fasziniert.||
Die Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse erinnert an einen mutigen Menschen. Während des "Dritten Reichs" transportierte die Reichsbahn zu Millionen Juden in die Vernichtungslager und an die Erschießungsorte in Osteuropa. Die Züge wurden von Reichsbahnarbeitern wie Fritz Kittel abgefertigt, der sich jedoch inmitten der Diktatur seine Menschlichkeit bewahrte. Er versteckte die beiden Jüdinnen Hella und Hannelore Zacharias.
Mario Scalla erzählt von der Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse||
Frankfurt und Offenbach im Zeichen des internationalen Theaters: Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler bei 286 Veranstaltungen prägten das Festival, das die Japanerin Chaiki Soma künstlerisch leitete und mit vielen japanischen Produktionen bereicherte. Bei der Frage, "Was ist Theater heute?" sollte das Publikum oft handeln, die Geschichte mitbestimmen - es gab in den Performances nicht immer Schauspieler, es gab Stücke, die auf sehr eigene Art mit Video und Animation umgingen, auch mit der Darstellung des Unerträglichen. Beispiel: Der Mord an drei Frauen in Brasilien: Grenzüberschreitungen von Performerin Carolina Blanchi, die kaum auszuhalten waren, die man nicht so einfach wegstecken kann - und die die Frage übriglassen, ob Theater wirklich so wirklich sein muss.
Ursula May hat sich viele Stücke bis zum Ende angesehen, auch wenn es oft schwerfiel||
Le Vin Herbé, der Zaubertrank, des Schweizers Frank Martin von 1942 erntet in Frankfurt viel Applaus. Die tragische Handlung gleicht Wagners "Tristan und Isolde" - ist musikalisch aber Gegenprogramm: Nicht vier Stunden, sondern knapp zwei, kein Riesenorchester, sondern sieben Streicher plus Klavier. Die Musik teils sehr archaisch, teils sehr modern, auch 12-Ton-Reihen, dann immer wieder tonale Klänge. Die passend sparsame Inszenierung von Tilmann Köhler, das geometrische, beeindruckende Bühnenbild von Karoly Risz und ein Chor, der vereinzelt aus 32 Logen singt, Chapeau!, ergeben ein Stück, das sich kennenzulernen lohnt. Bei den Solisten und Solistinnen überzeugen die lyrischeren Stimmen mehr, bei Tristan und Iseut bleiben Wünsche offen, zu viel Vibrato im Sopran, zu kraftvoll der Tenor. Dennoch: Diese Rarität sollte man sich nicht entgehen lassen!
Viel Lob und etwas Tadel unseres Kritikers Meinolf Bunsmann||
Daniel Hope ist ein begnadeter Conférencier, und als Ire ist ihm die deutsche Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik sowieso fremd. Und so reißt er als Fokus-Künstler bei einem Konzert des Rheingau-Musik-Festivals im Kurhaus Wiesbaden gnadenlos die vierte Wand nieder, die im deutschen Klassik-Betrieb normalerweise das Publikum vom Orchester trennt. Zu hören gab es unter anderem Filmmusik mit großem Orchester. Das Publikum dankte Hope mit lang anhaltendem Applaus.
Natascha Pflaumbaum sieht in Daniel Hope die Zukunft der Klassikmusik verkörpert.||
Der Portikus ist Frankfurts ungewöhnlichste Ausstellungshalle und in seiner himmelstrebenden Form nicht leicht zu bespielen. Simone Fattal ist zwar in der internationalen Kunstszene bekannt, aber in Deutschland bisher kaum aufgetreten. In der Installation "The Manifestations of the Voyage" greift sie zurück auf das Gilgamesch-Epos. Gleich zu Beginn besiegt hier Gilgamesch Humbaba, den Wächter des Waldes; in den Augen von Simone Fattal ein Gleichnis für die Naturzerstörung. Ihm stellt sie den "Young Man" gegenüber als Stellvertreter für kommende Generationen.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt einen Besuch von "The Manifestations of the Voyage" von Simone Fattal im Portikus Frankfurt||