Inmitten der Sammlung Alte Meister präsentiert das Städel Museum eine Ausstellung mit Arbeiten des rumänischen Künstlers Victor Man. Er gehört, so sagt das Museum, zu den gefragtesten und gleichzeitig rarsten Malern der Gegenwartskunst. Seine Bilder haben eine ungeheure malerische Qualität und etwas Unfassbares. Die Oberfläche seiner Ölmalereien zeigen einen regelrechten Schmelz, die Farben sind sehr dunkel, viel grün und blau. Immer wieder schimmern Lichter auf. Zwischen den tonigen Partien in tiefen Braun oder Grautönen strahlen Stoffe, Haut oder Blumen auf, als würden sie von innen heraus leuchten. Die Bilder verführen dazu, sie mit den Augen regelrecht abzutasten. Sie sind sinnlich und haben etwas überzeitliches. Der volle Titel der Ausstellung, der Hölderlin zitiert, lautet: "Die Linien des Lebens sind verschieden. Wie Wege sind, und wie Berge grenzen. Was wir sind, kann dort ein Gott ergänzen. Mit Harmonien und mit ewigem Lohn und Frieden." Wow!
Stfanie Blumenbecker empfindet die gewagte Hängung als Bereicherung||
"Tweets from the past" heißt eine neue Ausstellung im Archäologischen Museum Frankfurt - es geht um kleine Nachrichten aus der Vor- und Frühgeschichte Sloweniens, dem Gastland der Buchmesse. Gezeigt werden auch Funde aus dem 5. und 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, also lange Zeit vor der minoischen oder kretischen Kultur. Zu sehen sind Gefäße, Steine mit Inschriften, Mosaike, Schmuck- und Kultgegenstände – also Erwartbares und Überraschendes. Etwa ein Büchlein aus dem 2. Jahrhundert, gefertigt aus Knochen und Elfenbein mit Wachs im Innern, auf das man ritzend Notizen kritzeln konnte - und wieder löschen. Im Mittelpunkt steht der Beweis, dass frühe Menschen durchaus erfindungsreich waren: Ein Urmensch hat in einen Bärenknochen Löcher gebohrt und eine Föte geschaffen. Welche Melodien darauf gespielt wurden, bleibt unserer Phantasie heute überlassen...
Mario Scalla hat quasi das erste Smartphone der Weltgeschichte gesehen||
George Bizets dramatischer Klassiker über die Eifersucht ist ein Dauerbrenner auf den Opernbühnen. In Kassel setzt man im Rahmen des "Antipolis"-Projekts Teile des Publikums auf die Bühne und auf Gerüste neben und über die Akteure, sie schauen den Musikern auf die Noten und den Sängern in die Augen. So schön, so kompliziert: Einerseits die sehr nahe und großartige Interpretationen der Musik, andererseits verwirrt doch arg, dass auf den Video-Wänden die Lippen nicht mit dem Klang synchron sind. So erfrischend neu und gewagt das Bühnen"bild" von Sebastian Hannak ist, so politisch überstrapaziert ist die Interpretation von Regisseur Florian Lutz: Das Schicksal von Carmen findet nicht statt, dafür gibt es jede Menge Ironie und Kapitalismuskritik, Chormädchen klagen als "Letzte Generation" an, Carmen rettet am Ende die Welt. Unserer Kritikerin war das alles zu viel, von den musikalischen Höchstleistungen hat sie nicht viel mitbekommen. Am Ende saß sie da und dachte: "Ok...was mache ich jetzt damit?"
Astrid Gubin konnte die Oper kaum genießen, weil in mehrfacher Hinsicht nicht alles hinhaute||
Die Parabel von "Reineke Fuchs" reicht bis ins Mittelalter zurück, doch erst Goethe hat sie in die bis heute gültige Form als Vers-Epos gebracht. Es geht um den Kampf um die Macht, und wie man dabei seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge zieht. Vermutlich plaudert Goethe - immerhin der mächtigste Minister im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach - hier aus dem Nähkästchen. Das Vers-Epos "Reineke Fuchs" wird nun wiederum von der Volksbühne im Großen Hirschgraben, Frankfurt, mit Michael Quast in der Hauptrolle auf die Bühne gebracht. Ein schauriger Schalk, wenn Reineke Fuchs versichert, Vegetarier geworden zu sein, aber der Henne doch wieder einige Küken fehlen! Sehr komisch, aber auch sehr schlau, wie man hier die parabelhafte Einsichten und Unterhaltung verbindet. Trotzdem erst ab 14 Jahren, denn Grausamkeit will verdaut sein!
Mario Scalla empfiehlt "Reineke Fuchs" allen von 14 bis 99||
Er ist einer der, wenn nicht DER wichtigste Künstler der Gegenwart. Jetzt wird er von einem der wichtigsten zeitgenössischen Filmemacher filmisch begleitet. Ist das ein Kinoerlebnis? Wenders beginnt den Film nicht mit ersten Gemälden und Zeichnungen, sondern mit Kiefers Höhepunkt, mit riesigen Skulpturen. Er fährt nach Südfrankreich, wo Kiefer Anfang der 1990er Jahre ein 40 Hektar großes Areal bezogen hat, zeigt die Galeriehäuser, Ateliers,Tunnels und Türme, weiße Kleider, Köpfe aus Steinen oder Glassplittern - irgendwie schwerelos. Plötzlich sind wir in seinem Atelier in einem Vorort von Paris, einer gigantischen Halle voller Kunstwerke. An einer riesigen Leinwand arbeitet Kiefer per Hebebühne mit Farbeimern: Kunst ist harte Arbeit und in der Herstellung nicht immer angenehm...Wenders will mehr assoziativ als linear mit Kiefers Werk umgehen, subjektiv und mit der eindeutigen Wenders-Handschrift - er macht einen Film, aber in erster Linie macht er Kunst. Hat etwa Kiefer mehr Distanz zu seinem Werk als Wenders zu Kiefer?
Daniella Baumeister hat den langen Film genossen, hätte aber auf die ein oder andere Geigenuntermalung verzichten können.||
Dass sich in vielen deutschen Sammlungen Kunstobjekte aus Afrika befinden, die unrechtmäßig erworben wurden, ist seit mehreren Jahren immer wieder Thema. Vor allem die spektakulären „Benin-Bronzen“ werden dabei häufig genannt. Das Weltkulturenmuseum in Frankfurt zeigt jetzt dazu eine Ausstellung und eröffnet Perspektiven: Fünf nigerianische Künstler und Historiker schaffen mit ihren Arbeiten eine Dialogsituation mit alten Stücken. Man sieht die Gegenwart und die Vergangenheit. Das funktioniert erstaunlich gut und zeigt einen wichtigen Aspekt: Den Blick afrikanischer Künstler auf die Kunst des Königreiches Benin. Wie trägt diese zur Identitätsbildung bei? Und wie wird Geschichte bewusster Teil der Gegenwart? Unsere hr2-Kritikerin hat bei ihrem Besuch sehr viel gelernt und hat doch das starke Gefühl, dass sie trotzdem nur an der Oberfläche gekratzt hat.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt dringend eine Führung durch das Weltkulturenmuseum in Frankfurt||
Um diesen Mann kommt die Klassikwelt zur Zeit nicht herum: Erst am Sonntag ist Vikingur Ólafsson als "Instrumentalist des Jahres" beim "Opus Klassik" gefeiert worden. Das Publikum in Frankfurt war mindestens ebenso begeistert: Von seinem Spiel, von den Tempowechseln, der Virtuosität, der Hingabe, der Bescheidenheit des Superstars. Am Ende hält er inne, auch fürs Publikum: Erst als sich sein Körper löst, tobt der Applaus los, Bravo-Rufe. Der sympathische Mann verabschiedet sich in seiner schüchternen Art ohne Zugabe - was soll er nach 75 Minuten Goldberg-Variationen noch draufsetzen?! Was Ólafsson macht, ist teilweise unkonventionell - unser Klavier spielender Kritiker hat viele Aha-Momente gehabt, hat neue Strukturen und Melodielinien entdeckt - in einem Varationszyklus, der ihm und uns doch ziemlich vertraut ist, eigentlich...
Meinolf Bunsmann war in der Alten Oper Frankfurt beeindruckt||
"Ich möchte Vergebung, gebt Ihr mir Nachsicht!" Uwe Eric Laufenberg verabschiedet sich in seiner letzten Spielzeit am Staatstheater Wiesbaden mit Shakespeares "Sturm". Der Intendant hatte die Inszenierung sowie die Hauptrolle des Prospero selbst übernommen. In Shakespeares letztem Stück geht es um Macht, um die Verantwortung im Umgang damit sowie ums Abschied-Nehmen. Eine passende Wahl zum Ende eines nicht immer ganz unumstrittenen Intendanten. Das Wiesbadener Publikum dankte es ihm mit Applaus.
Mario Scalla fand die Inszenierung bildgewaltig, hätte sich aber eine Inszenierung mit aktuellen Bezügen gewünscht.||
Das Museum für Kommunikation Frankfurt hat sich eine besondere Form menschlicher Kommunikation vorgenommen: den Streit. Nicht jeder ist so abgeklärt wie Montaigne, der sagte: "Wenn man mir widerspricht, weckt man meine Aufmerksamkeit, nicht meinen Unwillen." Das Museum fächert das Thema "Streit" in den Feldern Kunst, Liebe, Macht und Geld auf. In Beziehungen sind zum Beispiel das Bett und der Tisch die bevorzugten Orte für einen Streit. Und die Ausstellung gibt auch Ratschläge, wie man sich konstruktiv streiten kann. So sollten Streithähne im Beziehungsstreit das Wörtchen "immer" aus ihren Vorwürfen streichen.
Mario Scalla nimmt sich vor, beim nächsten Streit einige Ratschläge zu berücksichtigen||
Alicia Aumüller (im Bild rechts) und Patrycia Ziółkowska haben gemeinsam den Gertrud-Eysoldt-Ring für ihre herausragende Leistung in "Ödipus Tyrann" in der Regie von Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich bekommen: Jetzt kamen sie an den Ort der Preisverleihung zurück und zelebrierten diesen Krimi, der auch in der Gegenwart spielen könnte - eine der spannendsten Geschichten in der Theatergeschichte. Es ist in der Tat grandios, den beiden dabei zuzusehen, wie sie sich diesen Stoff aneignen, der ja eigentlich für acht Rollen geschrieben wurde, in dem Chor und Seher und noch eine Reihe mehr an Figuren vorkommen. Ein Fest für das Theater!
Ursula May schließt sich der Begeisterung im Parktheater an||
Eine Mutter lässt ihren Sohn am Bahnsteig stehen, verspricht gleich wiederzukommen - und verschwindet. Das ist die Ausgangslage in Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau", der mit dem Deutschen Buchpreis geehrt wurde. Julia Franck hat diese Situation nicht etwa erfunden; sie ist ihrem Vater tatsächlich passiert, und das Buch ist der Versuch zu ergründen, was ihre Großmutter dazu getrieben haben könnte. Die österreichische Regisseurin Barbara Albert hat sich des Stoffs jetzt angenommen und in einen Film überführt. Und noch immer erschüttert die Frage: Was tun, wenn eine Mutter ihr Kind einfach nicht liebt?
Ulrich Sonnenschein lobt die Umsetzung von Julia Francks "Die Mittagsfrau" in einen Film||
Ein Klassiker der Opernbühne und zugleich der Auftakt einer neuen Ära in Frankfurt: Generalmusikdirektor Thomas Guggeis zum ersten Mal in dieser Funktion, motiviert und kreativ, wie man den 30-Jährigen kennt und jetzt schon liebt. Das Bühnenbild spärlich, die Kostüme knallbunt, die Stimmen umwerfend: Frankfurt ist nicht umsonst Opernhaus des Jahres, das Quartett Elena Villalón (Susanna), Adriana González (Gräfin), Danylo Matviienko (ein Graf Almaviva mit viel Witz und großem Männlichkeitsego) und der Bassbariton Kihwan Sim als Figaro bereiteten sängerisch einen großen Abend! Guggeis leitet diese Inszenierung nicht nur vom Pult, sondern auch vom Hammerflügel aus, bindet die Rezitative bruchlos ein, alles mit viel Humor und sehr versiert. Freuen wir uns auf all das, was in dieser Spielzeit noch kommen wird!
Susanne Pütz wurde in der Oper Frankfurt von vielem sehr positiv überrascht||
Molière hat die Hauptfigur in "Der Geizige" eigentlich als Ekelpaket angelegt; er quält Diener und Kinder, versucht seinem Sohn die Frau auszuspannen. Nur zum Geld unterhält er ein erotisches Verhältnis. Peter Schröder gelingt am Schauspiel Frankfurt das Kunststück, diese Figur sogar charmant wirken zu lassen. Dazu kommen ein überzeugendes Bühnenbild und Kostüme voller Überraschungen, denn unter den schwarzen Talaren verstecken sich die buntesten Verkleidungen. Und das märchenhafte Ende, in dem es Goldlametta regnet, versöhnt dann endgültig mit dem Geizhals. Eine vollauf gelungene Inszenierung, die Mateja Koležnik zu verantworten hat.
Ursula May war von der Aufführung von Molières "Der Geizige" am Schauspiel Frankfurt verzaubert.||
Vor dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt steht Vera Röhms mächtige "Licht-Strahl-Eiche", in der Acrylglas einen Durchblick auf die Holzstruktur erlaubt. Die Bildhauerin hat Acrylglas als Material für die Bildhauerei entdeckt. In einem Gespräch im Hessischen Landesmuseum erzählte sie, wie sie auf die Idee kam, Acrylglas mit geborstenem Holz zu kombinieren. Nach einem Sturm war sie von den ungeknickten Bäumen fasziniert; aber es dauerte Jahre, bis sie heraushatte, wie sich Acrylglas, Holz und Stahl dauerhaft kombinieren lassen. Und Röhm erzählte, wie bei ihr der künstlerische Prozess von der Zeichnung bis zur fertigen Skulptur verläuft.
Stefanie Blumenbecker schätzt Vera Röhm als eine der großen Bildhauerinnen unserer Zeit.||
Das Klingspor-Museum in Offenbach widmet sich der Buch- und Schriftkunst. In seiner Ausstellung "Achtung: enthält Leben" zeigt es Tagebücher von Künstlern sowie von Menschen, die ihre Tagebücher nach einem Aufruf eingereicht hatten. Tagebuch-Schreiben als Mittel der Reflektion sei wieder modern, heißt es. Von "Tagebuch schreiben" kann allerdings häufig kaum mehr die Rede sein, wenn man die kleinen Kunstwerke mit Zeichnungen, Fotos und Ausschmückungen sieht. Andere haben den nüchternen Charakter von Notizbüchern. Und dann gibt es da noch die "Bullet Journals" in denen Menschen stichwortartig zum Beispiel ihr tägliches Körpergewicht, die gelaufene Schrittzahl oder die Haushaltsausgaben eintragen. Selbst hier gibt es Einiges zu entdecken, wie den Eintrag "verkatert, obwohl sehr viel Wasser getrunken".
Stefanie Blumenbecker betrachtet Tagebücher als Weg in die künstlerische Betätigung.||
Ob Sie mit ihr gespielt haben oder nicht, man kann ihr derzeit nicht entgehen: Ob im Kino oder in anderen Medien – Barbie ist allgegenwärtig. Auch in der Austellung, die jetzt an historischem Ort zu sehen ist. Wohltuend zurückhaltend präsentiert man die Geschichte der Kunststoffschönheiten, es schreien einen keinen grellen Farben an: Original-Puppen, die mitunter über 60 Jahre auf dem hübschen Buckel haben und mit denen auch gespielt wurde. Sogar die "Bild-Lilli" ist da, die als Comic erfunden wurde und als Ursprungs-Idee für Barbie gilt. Aus Deutschland kommt also der Hype um die ultraschlanke Blonde. Sie zog um die Welt und war auch züchtig gekleidet oder mit Hüftpolstern zu haben. Eine Zeitreise durch die Modepuppen-Geschichte, nicht nur für 6-Jährige.
Bastian Korff wollte im Brüder-Grimm-Haus in Steinau die Puppen gerne anfassen, durfte aber nicht||
Das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt stellt vor allem Handschriften aus. Da liegt es nahe, einmal die Schrift selbst zum Thema einer kleinen Ausstellung zu machen: "Schreiben mit der Hand in der Zeit der Romantik". Vom 17. Jahrhundert bis zum "Dritten Reich" schrieben die Deutschen vor allem in Kurrentschrift, die heute kaum noch jemand lesen kann. Fremdwörter wurden in der uns geläufigen lateinischen Schrift geschrieben. Das ging soweit, dass Goethe seinen "West-Östlichen Divan" in lateinischer Schrift verfasste, da es ja um ein ausländisches Thema ging, den "Faust" aber in Kurrentschrift.
Rosemarie Tuchelt war von der Vielzahl der Handschriften-Typen in der deutschen Geschichte fasziniert.||
Die Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse erinnert an einen mutigen Menschen. Während des "Dritten Reichs" transportierte die Reichsbahn zu Millionen Juden in die Vernichtungslager und an die Erschießungsorte in Osteuropa. Die Züge wurden von Reichsbahnarbeitern wie Fritz Kittel abgefertigt, der sich jedoch inmitten der Diktatur seine Menschlichkeit bewahrte. Er versteckte die beiden Jüdinnen Hella und Hannelore Zacharias.
Mario Scalla erzählt von der Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse||
Frankfurt und Offenbach im Zeichen des internationalen Theaters: Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler bei 286 Veranstaltungen prägten das Festival, das die Japanerin Chaiki Soma künstlerisch leitete und mit vielen japanischen Produktionen bereicherte. Bei der Frage, "Was ist Theater heute?" sollte das Publikum oft handeln, die Geschichte mitbestimmen - es gab in den Performances nicht immer Schauspieler, es gab Stücke, die auf sehr eigene Art mit Video und Animation umgingen, auch mit der Darstellung des Unerträglichen. Beispiel: Der Mord an drei Frauen in Brasilien: Grenzüberschreitungen von Performerin Carolina Blanchi, die kaum auszuhalten waren, die man nicht so einfach wegstecken kann - und die die Frage übriglassen, ob Theater wirklich so wirklich sein muss.
Ursula May hat sich viele Stücke bis zum Ende angesehen, auch wenn es oft schwerfiel||
Le Vin Herbé, der Zaubertrank, des Schweizers Frank Martin von 1942 erntet in Frankfurt viel Applaus. Die tragische Handlung gleicht Wagners "Tristan und Isolde" - ist musikalisch aber Gegenprogramm: Nicht vier Stunden, sondern knapp zwei, kein Riesenorchester, sondern sieben Streicher plus Klavier. Die Musik teils sehr archaisch, teils sehr modern, auch 12-Ton-Reihen, dann immer wieder tonale Klänge. Die passend sparsame Inszenierung von Tilmann Köhler, das geometrische, beeindruckende Bühnenbild von Karoly Risz und ein Chor, der vereinzelt aus 32 Logen singt, Chapeau!, ergeben ein Stück, das sich kennenzulernen lohnt. Bei den Solisten und Solistinnen überzeugen die lyrischeren Stimmen mehr, bei Tristan und Iseut bleiben Wünsche offen, zu viel Vibrato im Sopran, zu kraftvoll der Tenor. Dennoch: Diese Rarität sollte man sich nicht entgehen lassen!
Viel Lob und etwas Tadel unseres Kritikers Meinolf Bunsmann||
Daniel Hope ist ein begnadeter Conférencier, und als Ire ist ihm die deutsche Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik sowieso fremd. Und so reißt er als Fokus-Künstler bei einem Konzert des Rheingau-Musik-Festivals im Kurhaus Wiesbaden gnadenlos die vierte Wand nieder, die im deutschen Klassik-Betrieb normalerweise das Publikum vom Orchester trennt. Zu hören gab es unter anderem Filmmusik mit großem Orchester. Das Publikum dankte Hope mit lang anhaltendem Applaus.
Natascha Pflaumbaum sieht in Daniel Hope die Zukunft der Klassikmusik verkörpert.||
Der Portikus ist Frankfurts ungewöhnlichste Ausstellungshalle und in seiner himmelstrebenden Form nicht leicht zu bespielen. Simone Fattal ist zwar in der internationalen Kunstszene bekannt, aber in Deutschland bisher kaum aufgetreten. In der Installation "The Manifestations of the Voyage" greift sie zurück auf das Gilgamesch-Epos. Gleich zu Beginn besiegt hier Gilgamesch Humbaba, den Wächter des Waldes; in den Augen von Simone Fattal ein Gleichnis für die Naturzerstörung. Ihm stellt sie den "Young Man" gegenüber als Stellvertreter für kommende Generationen.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt einen Besuch von "The Manifestations of the Voyage" von Simone Fattal im Portikus Frankfurt||
Der neue Film von Christoph Hochhäusler war einer der deutschen Beiträge im internationalen Wettbewerb der Berlinale, den Silbernen Bären gab es für Thea Ehre als beste Nebendarstellerin. Eine Kriminalgeschichte, verdeckte Ermittler sind auf der Spur eines Online-Drogenhändlers - und eine äußerst komplexe Liebesgeschichte: Was ist Wahrheit, was Lüge, was Täuschung, was ist inszeniert, wann sind Gefühle gespielt, wann sind sie echt? Und wer überhaupt sind die Guten, die Bösen - oder sind alle gut oder alle böse? Es gibt viele Anspielungen auf das Genre des Thrillers, den Film Noir - also unbedingt auf der großen Leinwand schauen! Und wer sich in Frankfurt auskennt, wird einige Schauplätze wieder erkennen oder mit ganz neuen Augen sehen.
Hadwiga Fertsch-Röver bewundert Thea Ehre, die den Film trägt||
In "Jugend ohne Chor" von Anne Lepper am Staatstheater Darmstadt muss Dirk hinaus in die große weite Welt. Damit er nicht verloren geht, gibt ihm seine Mutter einen Chor mit, der ihm den Weg weisen soll. Die große weite Welt nimmt die Gestalt einer Backstube an. Bühnenbildnerin Carolin Mittler hat sichtlich viel Spaß dabei gehabt, das Staatstheater dafür in Mehlstaub zu tauchen. Ob nun aber eine Backstube die geeignete Metapher für die kapitalistische Verwertungslogik ist, daran hatte unsere Theaterkritikerin Ursula May dann doch ihre Zweifel.
Ursula May ließ die Uraufführung von "Jugend ohne Chor" am Staatstheater Darmstadt etwas ratlos zurück.||
Kann die letzte Runde in einer Bar ein Leben nachhaltig verändern? Jamie ist gerade dabei zu schließen, als ein älterer Herr hineinstürmt. Er bietet ihm und seiner Freundin Abby viel Geld, wenn sie noch einen letzten Drink mit ihm nähmen. Während die drei sich also unterhalten, fängt Jamie an, seine Ambitionen als Musiker und seine Pläne mit Abby zu hinterfragen. Langsam realisiert das junge Paar, dass der mysteriöse Unbekannte ungewöhnlich intensiv interessiert ist. Ist der Grund, den er vorgibt, glaubwürdig? Als eine weitere, ungehaltene Person auftaucht, scheint seine zuvor noch als unrealistisch abgetane Geschichte plötzlich gar nicht mehr so abwegig. - "Now and Then", eine berührende romantische Komödie über die Konsequenzen unserer Entscheidungen, und die Menschen, die sie mit uns tragen.
Ulrich Sonnenschein genoss den Abend im English Theatre Frankfurt||
Richard Wagners "Ring des Nibelungen" - ein spektakuläres Musiktheater-Großereignis, das gerade in Kassel über die Bühne des am Staatstheaters geht. Coronabedingt musste man dort ziemlich lange warten, bis es als Zyklus mit allen vier Teilen zu sehen war: Das Rheingold – Die Walküre – Siegfried – Die Götterdämmerung. Inszeniert hat die vier Abende der ehemalige Schauspieldirektor Markus Dietz. Astrid Gubin hat den kompletten Zyklus in Kassel gesehen und zieht Bilanz.
Astrid Gubin hat Wagners "Ring" mehrfach gesehen und ist begeistert||
In "Embodying Bodies" zeigt Choreograf Fabrice Mazliah am Künstlerhaus Mousonturm getanzte Theorien der Biologin Lynn Margulis: Der menschliche Körper sei keine abgeschlossene Einheit, sondern ein ganzes Ökosystem. Da werden Steine in Kniekehlen geklemmt und über Bauchnabel gerollt, Arme in Wasser geplatscht und Beine mit anderen Beinen verschränkt. Der Abend ist sehr detailgenau gearbeitet, wie das bei Mazliah meist der Fall ist - die Choreografie wirkt oft wie eine bewegte Installation, die das Empathievermögen anspricht und wortwörtlich "berührt". Wie das funktioniert, ist sehr faszinierend - wer sich darauf einlässt, fühlt mit!
Esther Boldt hat auch körperlich eine symbiotische Beziehung zu den Tanzenden aufgebaut||
Dumm gelaufen: Stimmung und Hemd vergiftet, die Frau neurotisch und böse - am Ende stirbt Hercules, obwohl er doch der Gute ist! Diese Barockoper bietet in Frankfurt Dank des Ensembles, Laurence Cummings' Dirigat und der Inszenierung von Barrie Kosky alles, was das Genre ausmacht: Chaos, Liebe, Charaktere. Perfekt gesungen (Chor!), lustvoll und herrlich gespielt, auch im Graben auf historischen Instrumenten: Tempo und Gefühl - ganz große Klasse! Auch für Familien geeignet ;-)
Astrid Gubin möchte unbedingt noch einmal in die Oper Frankfurt||
2015 setzt Lars Kraume dem Generalstaatsanwalt mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" ein Denkmal. Das Politdrama zeigt Bauers akribische Suche nach Adolf Eichmann, dem meistgesuchten Nazi-Verbrecher, der hier vor Gericht gebracht werden soll. Im Deutschland der 50er Jahre fehlt es aber an Unterstützung zur Aufklärung der Nazi-Verbrechen, Verdrängung und Denunzierung herrschen vor. Nun ist der Stoff als Theateradaption in Gießen zu sehen - und gleitet in eine Art Jan-Böhmermann-Humor ab. Sehr schade, findet unsere Kritikerin - und schlägt vor, dass die beiden Schauspieler, die Fritz Bauer und Karl Angermann darstellen, die Inszenierung von Jenke Nordalm crashen sollten!
Natascha Pflaumbaum konnte sich der Begeisterung des Gießener Publikums nicht anschließen||
Am Hessischen Landestheater Marburg inszeniert Nino Haratischwili den Roman von Aglaja Veteranyi "Warum das Kind in der Polenta kocht" als Theaterstück. Es geht um eine rumänische Künstlerfamilie, die sich ein besseres Leben in der Schweiz erhofft. Erzählt ist das Stück aus der Perspektive eines Kindes, das, um die schreckliche Wirklichkeit zu bewältigen, sich noch schrecklichere Geschichten ausdenkt. Der gelungene Kunstgriff von Haratischwili besteht darin, zwischen den Sprachen Deutsch und Georgisch hin- und herzuwechseln, sodass auch die deutschen Zuschauer ein Gefühl von Fremdheit überwältigt.
Natascha Pflaumbaum erlebte mit "Warum das Kind in der Polenta kocht" einen denkwürdigen Theaterabend in Marburg.||
Nur für zwei Wochen (bis 7. Mai) zeigt das Fotografie Forum Frankfurt (FFF) künstlerischen Positionen, die für die Shortlist des Prix Pictet ausgewählt wurden. 13 Serien zeigen Feuer als Zerstörer, Hoffnung und Licht, auch als Neuanfang. Und als Faszinosum, das eine Art "Tor zur Ewigkeit" darstellt. Besonders beeindruckt die Vielfalt der Themen und Techniken, von greller Farbcollage bis zu Scherenschnitten und uralten Fotografie-Techniken. Künstler aus unterschiedlichsten Kulturen und Ländern kommen zusammen - mit Bildern, die im Gedächtnis bleiben. Unbedingt ansehen, Eintritt ist frei!
Stefanie Blumenbecker ist vom Formenreichtum im Fotografie Forum Frankfurt begeistert||
Kurz vor seinem 80. Geburtstag führte Sir John Eliot Gardiner Bachs h-Moll-Messe in der Alten Oper auf. Von Routine ist dabei keine Spur zu hören. Gardiner beschäftigt sich ständig mit den historischen Quellen, versucht neue Zugänge zu finden. Dafür hat er sich zwei einzigartige Instrumente geschaffen: die "English Baroque Soloists" sowie den "Monteverdi Choir". Mit ihnen kann er seine musikalischen Gedanken perfekt umsetzen. Und auch wenn Bachs Messe von Glaubenszweifeln und Glaubensgewissheit handelt, Gardiners Glaube an Bach ist unerschütterlich.
Natascha Pflaumbaum begeistert sich für Sir Gardiners Interpretation der h-Moll-Messe von Bach||
Wer eignet sich besser, um Macht, Machtmissbrauch und Gewalt zu analysieren, als der gute, alte Shakespeare? Da liegt es nahe, "Macbeth" auf die heutigen russischen Verhältnisse zu projizieren. Am Schauspiel Frankfurt streicht Regisseur Timofej Kuljabin einige vertraute Stellen, fügt anderswo neue hinzu. Insgesamt aber gelingt es ihm, einen Mann zu zeigen, der durch sein unstillbares Verlangen nach Macht zum Tyrannen und Mörder wird. Dieser Macbeth regiert wie Putin von einem langen Tisch aus. Aber auch er hinterlässt eine Blutspur, und es bleibt offen, was danach noch kommen kann.
Ursula May lobt die Inszenierung von "Macbeth" durch den Russen Timofej Kuljabin am Schauspiel Frankfurt||
Die fünf Phasen der Trauer sind für eine Tanz- oder Physical-Theatre-Produktion geradezu perfekt, weil wir es hier mit emotionaler und körperlicher Bewegung zu tun haben. Das Stadtthetaer Gießen zeigt - wie so oft - ein spartenübergreifendes Projekt, mit Tanzensemble, Opernchor, Orchester, zeitgenössischer Livemusik, Schauspiel, Filmzuspielungen: Man bricht die klassische, frontale Theatersituation auf, die Bühne wird zum Zuschauerraum. Eine fulminante Ensembleleistung, Körperbeherrschung vom Feinsten und ergreifend umgesetzte Emotionen. Die verzerrten Körper und Gesichter geben viel mit auf den Heimweg, vor allem eins: Hoffnung.
Christiane Hillebrandt ließ sich am Stadttheater Gießen fesseln||
Die Idee der Oper Frankfurt erscheint zunächst absurd, zwei deutsche Opern zusammenzubinden, die eine 1928 uraufgeführt, die andere 1943. In "Der Zar lässt sich fotografieren" von Kurt Weill geht es um einen Attentatsversuch auf den Zaren in einem Foto-Atelier - übrigens eine komische Oper. Carl Orff schrieb "Die Kluge" im Auftrag der Oper Frankfurt während der schlimmsten Phase des "Dritten Reichs". Umso erstaunlicher, dass so ein Satz damals die Zensur passieren konnte: "Wer die Macht hat, hat das Recht; und wer das Recht hat, beugt es auch".
Imke Turner überzeugte die Idee, Opern von Kurt Weill und Carl Orff gemeinsam an einem Abend aufzuführen.||
Das Museum der Goethe-Universität in Frankfurt zeigt Künstler, die aus der Region stammen oder hier verwurzelt sind, aber weitgehend unbekannt blieben. Jetzt Ernst Weil, einen typischen Nachkriegskünstler: Seine Werke sind nicht vollkommen abstrakt, weil - so Weil - "eine rein gegenstandslose Kunst nicht möglich" sei. Man merkt, dass er viele Aufträge im Bereich angewandte Kunst angenommen hat, er illustrierte Kurzgeschichten, Zeitungen und Bücher, machte Werbegrafik und Wanddekorationen. Dabei kreist er um sich selbst, unserer Kritikerin ist alles zu ordentlich, am Ende zu konservativ, zu brav. Angelehnt an die Strömungen der Moderne, aber dann doch provinziell.
Stefanie Blumenbecker fand die Bilder dekorativ, aber zu unpolitisch||
Wenn das Bockenheimer Depot - ein ehemaliges Straßenbahndepot - ganz leergeräumt wird, bekommt es die Anmutung einer dreischiffigen Kirche. Das passt zu den beiden Einaktern, die Benjamin Britten nach biblischen Gleichnissen komponiert hat. Wer angesichts des Namens nun große Oper erwartet, wird enttäuscht sein. Hier gibt es keine Dramatik, weibliche Stimmen fehlen. Dafür gibt es aber Musik, die der Geschichte vom verlorenen Sohn aus dem Lukas-Evangelium und der Episode von den Jünglingen im Feuerofen aus dem Buch Daniel angemessen ist.
Imke Turner meint, wer sich auf Brittens Musik einlässt, wird durch ein reiches Erlebnis belohnt werden. ||
Verdi hat in diese Oper alles hineingepackt, was an Dramatik möglich ist: In "La forza del destino" verflucht der Vater den Liebhaber der Tochter Leonora. Der erschießt versehentlich den Vater. Daraufhin will Leonoras Bruder den Vater rächen und jagt den Liebhaber durch mehrere Länder. Am Staatstheater Kassel inszenierte Valentin Schwarz diesen Opernthriller so überzeugend, dass das Publikum mehrfach zu Szenenapplaus hingerissen wurde, woran die hervorragenden Sänger nicht den geringsten Anteil hatten.
Robert Kleist schwelgte mit dem Kasseler Publikum in Verdis "La forza del destino" am Staatstheater||
Das Frankfurter Naturmuseum Senckenberg hat nie vor dem Kontakt mit der Kunst zurückgeschreckt. Aktuell zeigt es die Ausstellung "The Machine" von Maria Loboda, die hauptsächlich aus einem viertelstündigen Film besteht. Der Film setzt vor 49 Millionen Jahren in der Grube Messel ein, die einmal eine Müllgrube werden sollte, fragt dann aber hauptsächlich, was für Fossilien unser Zeitalter produzieren wird. Die ästhetischen Kriterien künftiger Generationen sind uns natürlich noch unbekannt, aber Maria Loboda hat da einige hübsche Ideen für Fossilien aus menschlichem Müll. Die Kunstreihe wird fortgesetzt.
Mario Scalla fand Maria Lobodas "The Machine" am Frankfurter Senckenberg-Museum anregend.||
Der Bachmann-Preisträger Ferdinand Schmalz hat mit "Mein Lieblingstier heißt Winter" 2021 seinen Debütroman vorgelegt. Das Schauspiel Frankfurt hat den grotesken Krimi als skurriles Who-done-it auf die Bühne gebracht. Regisseurin Rieke Süßkow stellt die verrückte Geschichte um den Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht auf eine schier unendlich sich kreisende Drehbühne, in der Szene an Szene in kleinen Dioramen - den kunstvollen Museumsschaukästen ähnlich - seriell aneinander gereiht wird. Es geht um Leben und Tod, um das Sterben, das sich darauf Vorbereiten im Hier und Jetzt im alltäglichen Klimawandel.
Natascha Pflaumbaum hat sich mit "Mein Lieblingstier heißt Winter" am Schauspiel Frankfurt köstlich amüsiert.||