Daniel Hope ist ein begnadeter Conférencier, und als Ire ist ihm die deutsche Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik sowieso fremd. Und so reißt er als Fokus-Künstler bei einem Konzert des Rheingau-Musik-Festivals im Kurhaus Wiesbaden gnadenlos die vierte Wand nieder, die im deutschen Klassik-Betrieb normalerweise das Publikum vom Orchester trennt. Zu hören gab es unter anderem Filmmusik mit großem Orchester. Das Publikum dankte Hope mit lang anhaltendem Applaus.
Natascha Pflaumbaum sieht in Daniel Hope die Zukunft der Klassikmusik verkörpert.||
Der Portikus ist Frankfurts ungewöhnlichste Ausstellungshalle und in seiner himmelstrebenden Form nicht leicht zu bespielen. Simone Fattal ist zwar in der internationalen Kunstszene bekannt, aber in Deutschland bisher kaum aufgetreten. In der Installation "The Manifestations of the Voyage" greift sie zurück auf das Gilgamesch-Epos. Gleich zu Beginn besiegt hier Gilgamesch Humbaba, den Wächter des Waldes; in den Augen von Simone Fattal ein Gleichnis für die Naturzerstörung. Ihm stellt sie den "Young Man" gegenüber als Stellvertreter für kommende Generationen.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt einen Besuch von "The Manifestations of the Voyage" von Simone Fattal im Portikus Frankfurt||
Der neue Film von Christoph Hochhäusler war einer der deutschen Beiträge im internationalen Wettbewerb der Berlinale, den Silbernen Bären gab es für Thea Ehre als beste Nebendarstellerin. Eine Kriminalgeschichte, verdeckte Ermittler sind auf der Spur eines Online-Drogenhändlers - und eine äußerst komplexe Liebesgeschichte: Was ist Wahrheit, was Lüge, was Täuschung, was ist inszeniert, wann sind Gefühle gespielt, wann sind sie echt? Und wer überhaupt sind die Guten, die Bösen - oder sind alle gut oder alle böse? Es gibt viele Anspielungen auf das Genre des Thrillers, den Film Noir - also unbedingt auf der großen Leinwand schauen! Und wer sich in Frankfurt auskennt, wird einige Schauplätze wieder erkennen oder mit ganz neuen Augen sehen.
Hadwiga Fertsch-Röver bewundert Thea Ehre, die den Film trägt||
In "Jugend ohne Chor" von Anne Lepper am Staatstheater Darmstadt muss Dirk hinaus in die große weite Welt. Damit er nicht verloren geht, gibt ihm seine Mutter einen Chor mit, der ihm den Weg weisen soll. Die große weite Welt nimmt die Gestalt einer Backstube an. Bühnenbildnerin Carolin Mittler hat sichtlich viel Spaß dabei gehabt, das Staatstheater dafür in Mehlstaub zu tauchen. Ob nun aber eine Backstube die geeignete Metapher für die kapitalistische Verwertungslogik ist, daran hatte unsere Theaterkritikerin Ursula May dann doch ihre Zweifel.
Ursula May ließ die Uraufführung von "Jugend ohne Chor" am Staatstheater Darmstadt etwas ratlos zurück.||
Kann die letzte Runde in einer Bar ein Leben nachhaltig verändern? Jamie ist gerade dabei zu schließen, als ein älterer Herr hineinstürmt. Er bietet ihm und seiner Freundin Abby viel Geld, wenn sie noch einen letzten Drink mit ihm nähmen. Während die drei sich also unterhalten, fängt Jamie an, seine Ambitionen als Musiker und seine Pläne mit Abby zu hinterfragen. Langsam realisiert das junge Paar, dass der mysteriöse Unbekannte ungewöhnlich intensiv interessiert ist. Ist der Grund, den er vorgibt, glaubwürdig? Als eine weitere, ungehaltene Person auftaucht, scheint seine zuvor noch als unrealistisch abgetane Geschichte plötzlich gar nicht mehr so abwegig. - "Now and Then", eine berührende romantische Komödie über die Konsequenzen unserer Entscheidungen, und die Menschen, die sie mit uns tragen.
Ulrich Sonnenschein genoss den Abend im English Theatre Frankfurt||
Richard Wagners "Ring des Nibelungen" - ein spektakuläres Musiktheater-Großereignis, das gerade in Kassel über die Bühne des am Staatstheaters geht. Coronabedingt musste man dort ziemlich lange warten, bis es als Zyklus mit allen vier Teilen zu sehen war: Das Rheingold – Die Walküre – Siegfried – Die Götterdämmerung. Inszeniert hat die vier Abende der ehemalige Schauspieldirektor Markus Dietz. Astrid Gubin hat den kompletten Zyklus in Kassel gesehen und zieht Bilanz.
Astrid Gubin hat Wagners "Ring" mehrfach gesehen und ist begeistert||
In "Embodying Bodies" zeigt Choreograf Fabrice Mazliah am Künstlerhaus Mousonturm getanzte Theorien der Biologin Lynn Margulis: Der menschliche Körper sei keine abgeschlossene Einheit, sondern ein ganzes Ökosystem. Da werden Steine in Kniekehlen geklemmt und über Bauchnabel gerollt, Arme in Wasser geplatscht und Beine mit anderen Beinen verschränkt. Der Abend ist sehr detailgenau gearbeitet, wie das bei Mazliah meist der Fall ist - die Choreografie wirkt oft wie eine bewegte Installation, die das Empathievermögen anspricht und wortwörtlich "berührt". Wie das funktioniert, ist sehr faszinierend - wer sich darauf einlässt, fühlt mit!
Esther Boldt hat auch körperlich eine symbiotische Beziehung zu den Tanzenden aufgebaut||
Dumm gelaufen: Stimmung und Hemd vergiftet, die Frau neurotisch und böse - am Ende stirbt Hercules, obwohl er doch der Gute ist! Diese Barockoper bietet in Frankfurt Dank des Ensembles, Laurence Cummings' Dirigat und der Inszenierung von Barrie Kosky alles, was das Genre ausmacht: Chaos, Liebe, Charaktere. Perfekt gesungen (Chor!), lustvoll und herrlich gespielt, auch im Graben auf historischen Instrumenten: Tempo und Gefühl - ganz große Klasse! Auch für Familien geeignet ;-)
Astrid Gubin möchte unbedingt noch einmal in die Oper Frankfurt||
2015 setzt Lars Kraume dem Generalstaatsanwalt mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" ein Denkmal. Das Politdrama zeigt Bauers akribische Suche nach Adolf Eichmann, dem meistgesuchten Nazi-Verbrecher, der hier vor Gericht gebracht werden soll. Im Deutschland der 50er Jahre fehlt es aber an Unterstützung zur Aufklärung der Nazi-Verbrechen, Verdrängung und Denunzierung herrschen vor. Nun ist der Stoff als Theateradaption in Gießen zu sehen - und gleitet in eine Art Jan-Böhmermann-Humor ab. Sehr schade, findet unsere Kritikerin - und schlägt vor, dass die beiden Schauspieler, die Fritz Bauer und Karl Angermann darstellen, die Inszenierung von Jenke Nordalm crashen sollten!
Natascha Pflaumbaum konnte sich der Begeisterung des Gießener Publikums nicht anschließen||
Am Hessischen Landestheater Marburg inszeniert Nino Haratischwili den Roman von Aglaja Veteranyi "Warum das Kind in der Polenta kocht" als Theaterstück. Es geht um eine rumänische Künstlerfamilie, die sich ein besseres Leben in der Schweiz erhofft. Erzählt ist das Stück aus der Perspektive eines Kindes, das, um die schreckliche Wirklichkeit zu bewältigen, sich noch schrecklichere Geschichten ausdenkt. Der gelungene Kunstgriff von Haratischwili besteht darin, zwischen den Sprachen Deutsch und Georgisch hin- und herzuwechseln, sodass auch die deutschen Zuschauer ein Gefühl von Fremdheit überwältigt.
Natascha Pflaumbaum erlebte mit "Warum das Kind in der Polenta kocht" einen denkwürdigen Theaterabend in Marburg.||
Nur für zwei Wochen (bis 7. Mai) zeigt das Fotografie Forum Frankfurt (FFF) künstlerischen Positionen, die für die Shortlist des Prix Pictet ausgewählt wurden. 13 Serien zeigen Feuer als Zerstörer, Hoffnung und Licht, auch als Neuanfang. Und als Faszinosum, das eine Art "Tor zur Ewigkeit" darstellt. Besonders beeindruckt die Vielfalt der Themen und Techniken, von greller Farbcollage bis zu Scherenschnitten und uralten Fotografie-Techniken. Künstler aus unterschiedlichsten Kulturen und Ländern kommen zusammen - mit Bildern, die im Gedächtnis bleiben. Unbedingt ansehen, Eintritt ist frei!
Stefanie Blumenbecker ist vom Formenreichtum im Fotografie Forum Frankfurt begeistert||
Kurz vor seinem 80. Geburtstag führte Sir John Eliot Gardiner Bachs h-Moll-Messe in der Alten Oper auf. Von Routine ist dabei keine Spur zu hören. Gardiner beschäftigt sich ständig mit den historischen Quellen, versucht neue Zugänge zu finden. Dafür hat er sich zwei einzigartige Instrumente geschaffen: die "English Baroque Soloists" sowie den "Monteverdi Choir". Mit ihnen kann er seine musikalischen Gedanken perfekt umsetzen. Und auch wenn Bachs Messe von Glaubenszweifeln und Glaubensgewissheit handelt, Gardiners Glaube an Bach ist unerschütterlich.
Natascha Pflaumbaum begeistert sich für Sir Gardiners Interpretation der h-Moll-Messe von Bach||
Wer eignet sich besser, um Macht, Machtmissbrauch und Gewalt zu analysieren, als der gute, alte Shakespeare? Da liegt es nahe, "Macbeth" auf die heutigen russischen Verhältnisse zu projizieren. Am Schauspiel Frankfurt streicht Regisseur Timofej Kuljabin einige vertraute Stellen, fügt anderswo neue hinzu. Insgesamt aber gelingt es ihm, einen Mann zu zeigen, der durch sein unstillbares Verlangen nach Macht zum Tyrannen und Mörder wird. Dieser Macbeth regiert wie Putin von einem langen Tisch aus. Aber auch er hinterlässt eine Blutspur, und es bleibt offen, was danach noch kommen kann.
Ursula May lobt die Inszenierung von "Macbeth" durch den Russen Timofej Kuljabin am Schauspiel Frankfurt||
Die fünf Phasen der Trauer sind für eine Tanz- oder Physical-Theatre-Produktion geradezu perfekt, weil wir es hier mit emotionaler und körperlicher Bewegung zu tun haben. Das Stadtthetaer Gießen zeigt - wie so oft - ein spartenübergreifendes Projekt, mit Tanzensemble, Opernchor, Orchester, zeitgenössischer Livemusik, Schauspiel, Filmzuspielungen: Man bricht die klassische, frontale Theatersituation auf, die Bühne wird zum Zuschauerraum. Eine fulminante Ensembleleistung, Körperbeherrschung vom Feinsten und ergreifend umgesetzte Emotionen. Die verzerrten Körper und Gesichter geben viel mit auf den Heimweg, vor allem eins: Hoffnung.
Christiane Hillebrandt ließ sich am Stadttheater Gießen fesseln||
Die Idee der Oper Frankfurt erscheint zunächst absurd, zwei deutsche Opern zusammenzubinden, die eine 1928 uraufgeführt, die andere 1943. In "Der Zar lässt sich fotografieren" von Kurt Weill geht es um einen Attentatsversuch auf den Zaren in einem Foto-Atelier - übrigens eine komische Oper. Carl Orff schrieb "Die Kluge" im Auftrag der Oper Frankfurt während der schlimmsten Phase des "Dritten Reichs". Umso erstaunlicher, dass so ein Satz damals die Zensur passieren konnte: "Wer die Macht hat, hat das Recht; und wer das Recht hat, beugt es auch".
Imke Turner überzeugte die Idee, Opern von Kurt Weill und Carl Orff gemeinsam an einem Abend aufzuführen.||
Das Museum der Goethe-Universität in Frankfurt zeigt Künstler, die aus der Region stammen oder hier verwurzelt sind, aber weitgehend unbekannt blieben. Jetzt Ernst Weil, einen typischen Nachkriegskünstler: Seine Werke sind nicht vollkommen abstrakt, weil - so Weil - "eine rein gegenstandslose Kunst nicht möglich" sei. Man merkt, dass er viele Aufträge im Bereich angewandte Kunst angenommen hat, er illustrierte Kurzgeschichten, Zeitungen und Bücher, machte Werbegrafik und Wanddekorationen. Dabei kreist er um sich selbst, unserer Kritikerin ist alles zu ordentlich, am Ende zu konservativ, zu brav. Angelehnt an die Strömungen der Moderne, aber dann doch provinziell.
Stefanie Blumenbecker fand die Bilder dekorativ, aber zu unpolitisch||
Wenn das Bockenheimer Depot - ein ehemaliges Straßenbahndepot - ganz leergeräumt wird, bekommt es die Anmutung einer dreischiffigen Kirche. Das passt zu den beiden Einaktern, die Benjamin Britten nach biblischen Gleichnissen komponiert hat. Wer angesichts des Namens nun große Oper erwartet, wird enttäuscht sein. Hier gibt es keine Dramatik, weibliche Stimmen fehlen. Dafür gibt es aber Musik, die der Geschichte vom verlorenen Sohn aus dem Lukas-Evangelium und der Episode von den Jünglingen im Feuerofen aus dem Buch Daniel angemessen ist.
Imke Turner meint, wer sich auf Brittens Musik einlässt, wird durch ein reiches Erlebnis belohnt werden. ||
Verdi hat in diese Oper alles hineingepackt, was an Dramatik möglich ist: In "La forza del destino" verflucht der Vater den Liebhaber der Tochter Leonora. Der erschießt versehentlich den Vater. Daraufhin will Leonoras Bruder den Vater rächen und jagt den Liebhaber durch mehrere Länder. Am Staatstheater Kassel inszenierte Valentin Schwarz diesen Opernthriller so überzeugend, dass das Publikum mehrfach zu Szenenapplaus hingerissen wurde, woran die hervorragenden Sänger nicht den geringsten Anteil hatten.
Robert Kleist schwelgte mit dem Kasseler Publikum in Verdis "La forza del destino" am Staatstheater||
Das Frankfurter Naturmuseum Senckenberg hat nie vor dem Kontakt mit der Kunst zurückgeschreckt. Aktuell zeigt es die Ausstellung "The Machine" von Maria Loboda, die hauptsächlich aus einem viertelstündigen Film besteht. Der Film setzt vor 49 Millionen Jahren in der Grube Messel ein, die einmal eine Müllgrube werden sollte, fragt dann aber hauptsächlich, was für Fossilien unser Zeitalter produzieren wird. Die ästhetischen Kriterien künftiger Generationen sind uns natürlich noch unbekannt, aber Maria Loboda hat da einige hübsche Ideen für Fossilien aus menschlichem Müll. Die Kunstreihe wird fortgesetzt.
Mario Scalla fand Maria Lobodas "The Machine" am Frankfurter Senckenberg-Museum anregend.||
Der Bachmann-Preisträger Ferdinand Schmalz hat mit "Mein Lieblingstier heißt Winter" 2021 seinen Debütroman vorgelegt. Das Schauspiel Frankfurt hat den grotesken Krimi als skurriles Who-done-it auf die Bühne gebracht. Regisseurin Rieke Süßkow stellt die verrückte Geschichte um den Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht auf eine schier unendlich sich kreisende Drehbühne, in der Szene an Szene in kleinen Dioramen - den kunstvollen Museumsschaukästen ähnlich - seriell aneinander gereiht wird. Es geht um Leben und Tod, um das Sterben, das sich darauf Vorbereiten im Hier und Jetzt im alltäglichen Klimawandel.
Natascha Pflaumbaum hat sich mit "Mein Lieblingstier heißt Winter" am Schauspiel Frankfurt köstlich amüsiert.||
Einen riesigen Erfolg feiert diese Oper am Stadttheater: Minutenlanger Applaus und Bravo-Rufe belohnten die vielen Beteiligten und das Regieteam um Regisseur Martin Andersson. Grga Peroš als Scarpia, Michael Ha als Cavaradossi und Tosca Margarita Vilsone sind das perfekte Trio, unserem Zuhörer erschienen ihre Stimme durch die Platzierung des Orchesters auf der Bühne manchmal zu schrill. Das Verlegen der Handlung in eine moderne Dikatur ist keine neue Idee, wird aber packend aktualisiert, spannend dargestellt und gesungen - und ist sicherlich nachvollziebar auch für Menschen, die wenig Kontakt mit der Oper haben. Bestimmt auch etwas für jüngere Zuschauer - toll, was man hier geboten bekommt!
In seinem 4. Abo-Konzert präsentierte das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt fünf Werke von Malte Giesen, Joanna Bailie, Natalie Dietterich, Elnaz Seyedi und Christopher Trapani. Corinna Niemeyer hat den Abend dirigiert, der zu den Sternstunden des frühen Konzertjahres 2023 zählen dürfte, weil die Werke inhaltlich, handwerklich, musikalisch begeistern, aber vor allem ganz neue, unerwartete Hörerfahrungen ermöglichen.
Natascha Pflaumbaum benutzte das Programmheft, um hinter die Geheimnisse der Kompositionen zu kommen||
"Lulu" von Alban Berg ist in jeder Hinsicht eine aufwändige Oper - nicht leicht einzuüben, musikalisch schwierig, und sie erfordert viel Personal. Das Staatstheater Darmstadt ist derzeit die einzige Bühne in Deutschland, die diesen Kraftakt wagt. Alban Berg hat die Oper nicht abgeschlossen, das Ende stammt von Friedrich Cerha. Ihm ist es eigentlich zu verdanken, dass wir heutzutage eine komplette "Lulu" sehen und hören können. Cerha ist am im Februar mit 96 verstorben.
Susanne Pütz meint, man solle sich von der Zwölftontechnik der "Lulu" nicht abschrecken lassen||
Man nehme das wirre Märchen über Liebe, Weisheit, Intrige und Macht, nämlich die erfolgreichste Mozart-Oper, zerlege sie, führe sie in verschiedenen Regiefassungen auf - und beteilige das Publikum. Warum nicht: Die betrunkene Königin der Nacht fuchtelt in enger Ledermontur mit einem blutigem Messer herum, das Parkett singt "Ein Mädchen oder Weibchen" mit - und stimmt ab: Bitte jetzt aber die traditionelle Fassung! Das Kasseler Publikum konnte das alles nur in Teilen gut finden, "Buhs" waren unüberhörbar. Unser Kritiker war fasziniert, nicht überzeugt - aber sehr angetan von den sängerischen Leistungen in experimenteller Umgebung.
Robert Kleist konnte, wollte aber nicht mitsingen||
Dürer zog es schon vor 500 Jahren nach Venedig; Goethe fühlte sich in Rom so richtig frei. Doch die Klischees, die das Italienbild der Deutschen prägen, sind erst vor 150 Jahren dank der damals neuen Technik der Fotografie entstanden. In der Ausstellung "Italien vor Augen" präsentiert das Städel die ersten Italien-Fotos. Natürlich sind sie schwarz-weiß, aber von einer erstaunlichen Qualität. Und weil die Belichtungszeiten noch Stunden erforderten, wirken die Landschaften und Städtebilder oft menschenleer.
Stefanie Blumenbecker über die Geburt der Italien-Klischees durch die Fotografie||
Wieviel Zeit geben Sie noch der Menschheit? Margaret Atwood ist da pessimistisch: In ihrem Roman "Oryx and Crake" hat nur noch Snowman - mutmaßlich der letzte Mensch - überlebt. Er ist umgeben von genmanipulierten Wesen, die zwar friedfertig, aber eben keine Menschen mehr sind. In dieser Situation sehnt er sich nach seinem alten Freund Crake und seiner Liebe Oryx. Das Staatstheater Wiesbaden hat Atwoods Roman als Science-Fiction-Oper auf die Bühne gebracht. Keine Angst, die Musik ist durchaus singbar!
Natascha Pflaumbaum sah die Science-Fiction-Oper "Oryx and Crake" in Wiesbaden.||
"Hug of a swan" im Fotografie-Forum Frankfurt (bis 9.4.), die Umarmung des Schwans - ein Wortspiel mit dem Namen der Künstlerin: Nhu Xuan Hua. Das neue Talent der Mode- und Portraitfotografie ist in zwei Welten großgeworden, der elterlichen vietnamesischen und der von Paris. Ihre Bilder zeigt sie in vier thematischen Räumen - gestaltet in intensiven Wand- und Bodenfarben: Gesamtkunstwerke über starke und eigensinnige Frauen mit einer Ikonografie, die man so im Fotografie-Forum noch nie sah, sehr spannend!
Stefanie Blumenbecker war von der Modefotografie im FFF verzaubert||
Dieses Shakespeare-Stück ist oft vertont worden, Benjamin Brittens Fassung aus dem 20. Jahrhundert ist musikalisch anspruchsvoll. In Gießen wagt man das Experiment, die leere Bühne mit bloßem Licht als aufgeladenen Raum für Phantasien aller Art zu gestalten - gelungen! Die Inszenierung toppt das Verwirrspiel - gelungen! Der Kobold Puck singt aus dem Off und wird durch Effekte ersetzt - gelungen! Und es gibt herrliche Stimmen zu entdecken, die einen Besuch wert sind.
Niels Kaiser kam beseelt aus dem Gießener Stadttheater zurück||
Die Kunststiftung der DZ Bank, die auf Fotografie spezialisiert ist, zeigt "Himmel – Die Entdeckung der Weltordnung" in ihren Räumen am Platz der Republik in Frankfurt. Der religiöse, der romantische, der meteorologische oder der astronomische Himmel? Bilder und Installationen zeigen eine sehr breite Vielfalt an Formaten, künstlerischen Strategien und Misch-Techniken. Unsere Besucherin hat vieles gelernt und empfiehlt die Führungen: Der Physikalische Verein ergänzt den Kunst-Blick auf den Himmel.
Stefanie Blumenbecker hat über van Gogh etwas lernen können||
Am Ende sind es immer ganz ähnliche Probleme, Antigones Dilemma lässt sich auch ins Anthropozän übertragen: Dominieren die Gesetze des Menschen und geht es um Fortschritt? Am Ende sind es immer ganz ähnliche Probleme, Antigones Dilemma lässt sich auch ins Anthropozän, das Zeitalters des Menschen und seiner Übermacht, übertragen: Dominieren die Gesetze des Menschen und geht es um Fortschritt und Selbstoptimierung - oder lassen sich mit der "Liga des terrestrischen Widerstands" auch ein Gesetz der Erde und eine Rechtsprechung für den Planeten fordern?
Andreas Wicke ist begeistert von Alexander Eisenachs Klassiker-Adaption||
"La Traviata" von Giuseppe Verdi ist eine der am meisten gespielten Opern der Welt. Regisseur Karsten Wiegand durfte am Staatstheater Darmstadt also davon ausgehen, dass das Publikum weiß, wie die Sache ausgeht. "La Traviata" heißt "Die vom Weg Abgekommene" und Wiegand lässt Violetta häufig am Bühnenrand getrennt vom Hauptgeschehen auftreten. Musik und Stimmen überzeugen; das Boschs "Garten der Lüste" nachempfundene Bühnenbild ist grandios. Und auch das lange Sterben Violettas an Tuberkulose inszeniert Karsten Wiegand überzeugend.
Meinolf Bunsmann über eine rundum gelungene Inszenierung von "La Traviata" am Staatstheater Darmstadt||
Seit 2007 vergibt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt Preise für herausragende Gebäude, die zukunftsweisend sind. Es geht stark um Nachhaltigkeit: Nicht abreissen und neu bauen, sondern umbauen und weiterbauen! Das Landratsamt von Starnberg ist der Sieger 2023, am See im Grünen gelegen, kammartig gebaut, aufgeteilt in Pavillons, die zusammenhängen. Architekt Fritz Auer hat den Kaiserpalast von Kyoto zum Vorbild genommen: Groß, aber ganz leicht gebaut, offen und mit modernster Technik. Richtungsweisende und anregende Bauten zeigt die Ausstellung, öffentliche und private Bauherren sollten sie sehen und beherzigen.
Gudrun Rothaug war in einer wichtigen Ausstellung im DAM||
In Händels Oper "Orlando" hat der Titelheld die Qual der Wahl: Liebe oder Krieg. In der Inszenierung von Ted Huffman an der Oper Frankfurt nimmt das Stück erst im zweiten Akt an Fahrt auf. Orlando wird von der Mezzosopranistin Zanda Švēde gesungen, die manchmal Mühe hat, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Und damit das Publikum nicht den Faden verliert, leuchtet eine Glühbirne auf, wenn Orlando sich im Liebeswahn verliert.
Meinolf Bunsmann über eine mäßig gelungene Inszenierung von Händels "Orlando" an der Oper Frankfurt||
Das Schauspiel Frankfurt und die Dresden Frankfurt Dance Company zeigen in "10 odd emotions" von Saar Magal Rituale der Demütigung und Unterwerfung: 20 Tanzende verhüllen mit Stoff die Köpfe, beginnen eine Sex-Gewalt-Orgie mit brutalsten Video-Szenen. Das wirkt gespenstisch, unpersönlich, ja verharmlosend: Der Anspruch, Tanztheater gegen "das Böse" zu machen, zerstiebt in einer Art Leni-Riefenstahl-Ästhetik. Applaus für Folter, Vergewaltigung und Hinrichtungen? Merkwürdig, denn ein Ausweg aus den Spiralen fehlt.
Das Märchen von der Meerjungfrau, die aus dem Wasser kommt, wird oft gespielt. Hier singt Olesya Golovneva die Titelpartie (sie führt mit Daniela Kerck gleichzeitig Regie) - und wir erleben DIE Rusalka schlechthin: Die Golovneva singt weich und sinnlich, rührt uns und sich selbst am Ende zu Tränen. Dazu sinnvolle Videos und ein Orchester, das diese komplexe Musik beherrscht - Dvoraks Oper über eine Frau, die ihren Gefühlen nachgeht und in ihrer Ver(w)irrung den Tod bringt, ist eine unbedingte Empfehlung!
Natascha Pflaumbaum fand die oft gespielte Oper phantastisch-schön||
Vito Žuraj hat im Auftrag der Oper Frankfurt "Blühen" nach einer Erzählung von Thomas Mann komponiert. Aurelia verliebt sich in einen jungen Mann, der ihr Sohn sein könnte. Eigentlich glaubte sie sich schon in der Menopause, erlebt aber wieder eine Regelblutung. Was für sie zunächst ein Zeichen des Glücks ist, stellt sich als Zeichen einer unheilbaren Krankheit heraus. Die komplexe Musik wird vom Ensemble Modern gespielt; als Sängerin ragt Bianca Andrew hervor.
Susanne Pütz lobt die komplexe Musik der Oper "Blühen" von Vito Žuraj ||
Die Uraufführung von "Where we are @" ist die erste Gießener Arbeit von Constantin Hochkeppel, dem neuen künstlerischen Leiter der Abteilung Tanz. Seine Visitenkarte ist die Ästhetik der "Physical Art", hier zeigen die sieben Tanzenden atemberaubende Akrobatik der Leichtigkeit, dazu sprechen sie: Wo kommen wir her, was macht uns als Menschen aus, was haben wir aus dem Planeten Erde gemacht? Insgesamt eine geräuschhafte, flirrende, rhythmische Inszenierung - alles gerät irgendwie aus den Fugen, eineinhalb Stunden lang, ohne Pause, sehr eindrucksvoll!
Christiane Hillebrand empfiehlt die Produktion des Stadttheaters Gießen||
Oh, hr-Tatort-Kommissar Murot singt auch? Aber ja: Ulrich Tukur bringt schon seit 1995 Tanzmusik und Eigenkompositionen im Stil der 20er- bis 40er-Jahre auf die Bühne! Und da ist jemand absolut in seinem Element, hier schlüpft er nicht in eine fremde Rolle – er lebt seine große Leidenschaft aus: Swing, Rumba, Foxtrot: Alles dabei, inklusive Stapstick und Selbstironie. Tolle Stimmung im Staatstheater von Anfang an, bis zum Schluss, als es nach den Zugaben Standing Ovations gab.
Robert Kleist war hingerissen vom Auftritt in Kassel||
Das Fridericianum in Kassel stellt regelmäßig international beachtete Künstler vor, die in Deutschland bislang nicht zu sehen waren, jetzt Roberto Cuoghi. Der Italiener beschäftigt sich intensiv mit Materialien, etwa Keramiken und Abgüssen, und lässt eine Klanginstallation ohrenbetäubend erschallen. Er blättert quasi in geistigen und ästhetischen Bedeutungsschichten - eine schockiernde und anstrengende Werkschau, die eine gewaltige Erfahrung darstellt. Man braucht einige Zeit, um sie auch nur annähernd zu erfassen.
Stefanie Blumenbecker ist von der Ausstellung tief beeindruckt||
In der Ausstellung "Alter Meister" in der Kunsthalle Darmstadt fragt der Künstler Thomas Sturm nach dem Verhältnis von Original und Reproduktion. Er fotografiert zum Beispiel in einem Museum Bilder Alter Meister, druckt sie auf Leinwand und überstreicht sie mit so genannter Malbutter, die das Bild wie durch einen Nebel erahnen lässt. Und dann nimmt er sich das Recht heraus, das neue Bild mit großem Pinselstrich zu signieren. Ist das nun ein Original, eine Reproduktion, oder doch ein neues Original?
Stefanie Blumenbecker fand sich durch die Ausstellung "Alter Meister" in Darmstadt zum Nachdenken über Kunst angeregt.||