Konzert Terri Lyne Carrington & hr-Bigband +++ Heidi Bayer‘s "Virtual Leak" +++ Jakob Bro & Joe Lovano „Once Around the Room“ feat. friends

Deutsches Jazzfestival Frankfurt
Jakob Bro Joe Lovano
Frankfurt am Main
hr-Sendesaal
Bertramstraße 8
60320 Frankfurt am Main

Gemeinsam mit der hr-Bigband ist Terri Lyne Carrington der erste Act am Samstag, 28. Oktober, im hr-Sendesaal. Jim McNeely wird Stücke aus dem von ihr zusammengestellten Songbook "New Standards – 101 Lead Sheets by Women Composers" für die hr-Bigband arrangieren. Danach steht Trompeterin Heidi Bayer mit ihrem Quartett "Virtual Leak" auf der Bühne: Voller Spielfreude präsentiert es ihre Musik zwischen Komposition und Improvisation. Und schließlich sind Gitarrist Jakob Bro und Saxofonist Joe Lovano mit ihrem Programm "Once Around the Room" zu erleben. Mit am Start ist ihre Allstars-Band rund um die Bassisten Larry Grenadier, Thomas Morgan und Anders Christensen sowie die Schlagzeuger Jorge Rossy und Joey Baron. 

19:00 Uhr: Terri Lyne Carrington & hr-Bigband: New Standards  

Terri Lyne Carrington

Ihren zahlreichen künstlerischen Erfolgen und Auszeichnungen (u. a. gewann sie als erste Frau einen Grammy für das beste Instrumentalalbum) fügt Terri Lyne Carrington seit einigen Jahren einen wichtigen Posten hinzu: Gründerin und künstlerischere Leiterin des "Institute of Jazz and Gender Justice" am Bostoner Berklee College of Music. Die renommierte Institution diente von Toshiko Akiyoshi bis zu Esperanza Spalding schon vielen Instrumentalistinnen als Startrampe für ihre Karriere, auch Carrington selbst, die bereits als 12-jährige Jungstudentin parallel zur High School am Berklee College Unterricht bekam. Heute arbeitet sie an den Strukturen, um die patriarchale Welt des Jazz auf allen Ebenen gendergerechter und -offener aufzustellen.  

Im vergangenen September gab Terri Lyne Carrington das Buch "New Standards – 101 Lead Sheets by Women Composers" heraus. Von historischen Figuren wie Lil Hardin Armstrong oder Alice Coltrane, die zu Unrecht im Schatten berühmter Männer standen, bis hin zu aktuellen Musikerinnen wie der chilenischen Saxofonistin Melissa Aldana oder der Sängerin Cécile McLorin Salvant, will das Buch den Kanon des Jazzrepertoires um weibliche Stimmen ergänzen. Elf der 101 neuen Standards hat die Ausnahme-Schlagzeugerin auf ihrem Album "New Standards Vol. 1" mit illustren Kolleg*innen auch musikalisch realisiert. Für das Deutsche Jazzfestival trifft Jim McNeely eine neue Auswahl und orchestriert die Stücke exklusiv für die hr-Bigband.

Terri Lyne Carrington kennt das Frankfurter Jazzorchester und hat zuletzt 2014 mit ihm zusammengearbeitet, beim spektakulären "Tribute to Tony Williams", das man bis heute im YouTube-Channel der hr-Bigband finden kann. Auch damals war Jim McNeely für die Arrangements verantwortlich. Beide, Jim und Terri, freuen sich auf das neuerliche Zusammentreffen – und damit sind sie sicher nicht allein! 

Terri Lyne Carrington Schlagzeug
Jim McNeely Leitung
hr-Bigband

20:30 Uhr: Heidi Bayer‘s "Virtual Leak" 

Heidi Bayer

Während eines Studienjahrs in Miami gewann Heidi Bayer eine wichtige Erkenntnis. Der dortige Unterricht bei Brian Lynch bestand nämlich größtenteils aus dem "Einüben von Licks (...) berühmter Jazztrompeter", wie Heidi Bayer der Jazzzeitung erzählt hat. Das aber interessierte sie gar nicht: "Es macht mir einfach keinen Spaß, andere nachzuspielen." Stattdessen sucht und findet die Trompeterin neue Linien, setzt mit sicherem Gespür eigene Akzente und ist dabei frei von den sattsam bekannten Klischees.  

Ihr weicher und zugleich durchsetzungsstarker Ton auf Trompete und Flügelhorn macht sie zur begehrten Mitspielerin etwa in den Bands von Shannon Barnett, Janning Trumann oder Stefan Karl Schmid. Dabei war das erste Instrument der 1987 in der oberfränkischen Kleinstadt Lichtenfels geborenen Musikerin die Klarinette. Erst im Alter von 17 Jahren griff Heidi Bayer zur Trompete, um in der Schulbigband "nicht eine von gefühlt 13 Saxofonisten zu sein". Nach dem Abi studierte Heidi Bayer zunächst in Marburg Kulturwissenschaften, bevor sie in Mainz bei Axel Schlosser und Frank Wellert ein Jazzstudium antrat. Seit ihrem Master an der Essener Folkwang Hochschule ließ sie sich in Köln nieder, wo sie sich in Bigbands wie dem Subway Orchestra den Respekt der Szene erspielte.  

Aber es sind vor allem ihre eigenen Formationen, in denen Heidi Bayer auch ihr kompositorisches Können ausloten kann. Ihr 2018 gegründetes Quartett "Virtual Leak" verzichtet dabei auf ein Harmonieinstrument. Die so entstehende Transparenz und die Reduzierung auf Dreiklänge empfindet sie als befreiend. So entstünden "Inseln, wo man loslassen kann." Vielleicht sind das auch gerade die virtuellen Lecks, die Bruchstellen im musikalischen Gefüge, die den Weg in unentdecktes Terrain öffnen, denn es geht Heidi Bayer darum, auch ins Risiko gehen zu können und das nicht Perfekte zuzulassen. 

Altsaxofonist Johannes Ludwig bildet mit seinem warmen Ton, der durchaus in scharfe Akzente ausbrechen kann, den melodischen Gegenpol zur Trompete. Dazu kommen der Bassist Phil Donkin und der Schlagzeuger Karl Degenhardt. Durch sie klingt die Band jetzt noch geerdeter als auf dem Debütalbum, mit mehr Biss und mehr Pfund, sagt Heidi Bayer. Voller Spielfreude schaffen sie gemeinsam eine Musik zwischen Komposition und Improvisation, strukturiert und frei, schön und aufregend, lyrisch und mitreißend zugleich, dabei mit eigenem Profil und auf der Höhe der Zeit. Beim Festivalauftritt wird neues Material zu hören sein fürs nächste Album, das Anfang 2024 aufgenommen werden soll. 

Heidi Bayer Trompete, Flügelhorn
Johannes Ludwig Altsaxofon
Phil Donkin Bass
Karl Degenhardt Schlagzeug 

21:30 Uhr: Jakob Bro & Joe Lovano: Once Around the Room 
featuring Larry Grenadier, Thomas Morgan, Anders Christensen, Joey Baron & Jorge Rossy  

Jakob Bro Joe Lovano

Ein Tribut an den außergewöhnlichen Schlagzeuger und Bandleader Paul Motian verlangt nach einer außergewöhnlichen Besetzung, haben sich Jakob Bro und Joe Lovano wohl gesagt, als sie an dessen 10. Todestag mit drei Bassisten und zwei Schlagzeugern zusammen in ein Kopenhagener Studio gingen, um "Once Around the Room" (ECM) aufzunehmen. Beide haben mit Motian gespielt, Lovano u. a. im bahnbrechenden Trio mit Bill Frisell ab den 1980er- und Bro in den 2000er-Jahren.

Wie für sie war Paul Motian für ganze Generationen von Jazzmusikern zu einer wichtigen Inspiration geworden. Anfang der 1960er-Jahre hatte er im musikalischen Gespräch mit Bill Evans und Scott LaFaro die Rollenverteilung zwischen Piano, Bass und Schlagzeug neu ausgehandelt und dabei auch auf dem Schlagzeug selbst neue Wege zwischen rhythmischer Gestaltung und klanglicher Kolorierung gefunden. Später blieb Paul Motian auch in seinen eigenen Bands immer interessiert am Dialog mit offenem Ausgang, gerade mit den besten Instrumentalist*innen der jüngeren Generation, für die seine Electric Bebop Band zur begehrten Talentschmiede wurde.

Und es ist dieser Dialog, der Bro, Lovano und ihrer Allstar-Band auf beeindruckende und berührende Weise gelingt. Sie spielen nur die "Dinge, die die Musik voranbringen und bedeutungsvoll machen", wie Bill Frisell mal Motians besondere Qualität umschrieb.

Der Respekt vor dem Werk des großen Musikers und die Zuneigung für den Menschen Paul Motian ist in sämtlichen Titeln der Studiosession zu spüren, egal ob die Kompositionen aus den Federn von Lovano oder Bro stammen oder ob es sich um Motians eigene "Drum Music" handelt. Dabei scheint die klangliche und stilistische Offenheit des Schlagzeugers immer durch, ob in den flirrenden Texturen, apokalyptischen Sounds oder der Folk-Ästhetik von Jakob Bros Gitarre oder dem Saxofonspiel von Joe Lovano, der von zärtlich getupften Tönen bis hin zu expressivem Linienwerk sein ganzes Können abruft. Musik hat vor allem mit Atmen und genauem Hören zu tun, hat Paul Motian mal gesagt, "du solltest gleichzeitig führen und folgen, den Raum mit den anderen teilen und dich von der Musik tragen lassen."  

Jakob Bro Gitarre
Joe Lovano Saxofon
Larry Grenadier, Thomas Morgan & Anders Christensen Bass
Joey Baron & Jorge Rossy Schlagzeug 

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