Zurück im hr-Sendesaal startet der Samstag, 26. Oktober, mit 125 Jahre Ellington: hr-Bigband feat. Jason Moran. Der Pianist wird die Original-Arrangements wie einst der Meister vom Klavier aus dirigieren. Aber nicht museal, sondern kreativ sind seine Ellington-Interpretationen für die hr-Bigband. Als zweiter Act sind das Lisa Wulff Trio feat. Philipp Schiepek zu erleben. Wulff gilt als eine Bassistin, die ihr Instrument mit gesundem Selbstvertrauen und großer musikalischer Autorität in den klanglichen Fokus rückt. Zu den Höhepunkten des diesjährigen Deutschen Jazzfestivals Frankfurt gehört sicher der Gitarrist Bill Frisell mit seinem Projekt FOUR. Sonst vorzugsweise vom Solo bis zum Trio unterwegs, brachte ihn das Album „Four“ wieder näher an einen jazzgemäßen Ensemble-Sound.
Samstag, 26.10.2024 / hr-Sendesaal
125 Jahre Ellington - hr-Bigband feat. Jason Moran
Edward Kennedy Ellington, 1899 als Sohn eines Butlers in Washington D.C. geboren und wegen seines eleganten Auftretens schon von seinen Mitschülern „Duke“ genannt, inszenierte sich selbst als Künstler, der dem aus der Sphäre der niederen Unterhaltung kommenden Jazz einen höheren Anspruch verpasste. Ein Anspruch, den seine Musik in jeder Hinsicht einlöste. Wo Zeitgenossen sich mit dem Komponieren oder Arrangieren von Liedformen begnügten, schuf er eine hoch individuelle Klangsprache, die Jazztraditionen mit seiner ganz eigenen Vision eines orchestralen Jazz verschmolz. Ellington experimentierte mit raffinierten Stimmführungen und Mischklängen, mit neuen Kombinationen aus Komposition und Improvisation und er schuf von den expressiven Sounds seines Jungle Style bis hin zu seinen Big-Band-Suiten, den orchestralen Werken und geistlichen Konzerten ein Werk, an dem sich noch Generationen von Musiker:innen abarbeiten werden.
Die hr-Bigband hat es wiederholt getan, hat sich sowohl den frühen Ellington als auch sein Spätwerk vorgenommen, es mal historisch reproduzierend, mal neu interpretierend zum Leben erweck. Auch Jason Moran hat sich im Verlauf seiner Karriere immer wieder mit Duke Ellington beschäftigt, denn auch sein Schaffen steht im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation und das nicht nur, wenn er sich an historischen Größen wie Thelonious Monk oder dem Ragtime von James Reese Europe abarbeitet. Immer wieder werden Morans Projekte und Veröffentlichungen mit höchstem Kritikerlob bedacht und das nicht wegen der musikalischen Meisterschaft des Pianisten und Bandleaders. Moran begeistert sich für Literatur, Malerei, Architektur und andere Kunstformen, sieht und schafft Querverbindungen von ihnen zum Jazz. Auf seinem Social Media Kanal postet er Fotos von Museumsbesuchen etwa im Frankfurter Museum für Moderne Kunst oder von Fundstücken aus den Nachlässen von Louis Armstrong oder Duke Ellington. Wenn Moran sich mit einem Thema beschäftigt, dann tut er es mit großer Hingabe. Im Ellington-Jahr 2024 ist er dem Meister solistisch, im Duo mit Christian McBride oder eben auch im Bigband-Format auf der Spur.
Die Musiker der hr-Bigband, mit denen er dieses Ellington-Projekt bereits im April für Konzerte in der Elbphilharmonie und in Luxemburg realisiert hat, sind von Morans Ansatz begeistert. Er dirigiert die Original-Arrangements wie einst der Meister vom Klavier aus, aber er interpretiert sie nicht museal, sondern kreativ, indem er sie etwa formal öffnet, neue Rhythmen und Vamps unterlegt und vor allem jeden ermutigt, auf seine eigene Weise zu spielen. Mehr als um die Noten geht es ihm nämlich um den Spirit der Ellington-Band und ihrer Musiker, die immer den Mut hatten, sich selbst zu spielen und über allen künstlerischen Ansprüchen eines nie vergaßen: „It don don’t mean a thing, if it ain’t got that swing“. Und weil Ellington eben auch ein Song-Komponist war, ist die in Köln lebende Belgierin Eva Buchmann bei einigen Stücken mit von der Partie.
Jason Moran Piano, Leitung
hr-Bigband
Lisa Wulff Trio feat. Philipp Schiepek
Sie wechselte im Alter von neun Jahren von Klavier und Gitarre zum E-Bass, weil sie einmal etwas nicht ihrem Bruder nachmachen wollte, erzählt Lisa Wulff im Interview. Es war eine gute Entscheidung für sich selbst und für die deutsche Jazzszene. Denn die gebürtige Hamburgerin ist eine der umtriebigsten Tieftönerinnen hier zu Lande. Nicht nur in ihrer Heimatstadt fest verwurzelt, ist sie auch vernetzt mit den Szenen in Köln und München, spielte mit Rolf Kühn oder Nils Landgren und hat keine Probleme damit, über den Tellerrand des Jazz zu schauen, indem sie etwa mit der Liedermacherin Anna Depenbusch auf Tournee geht.
Wer allerdings das ganze Spektrum ihrer Künstlerpersönlichkeit erfassen will, der sollte die fünf Alben hören, die Lisa Wulff unter eigenem Namen veröffentlicht hat. Von „Encounters“ aus dem Jahr 2016 bis zum aktuellen Album „Poison Ivy“, erschienen im März 2024, spiegeln sie ihre kompositorische Fantasie und ihr breites stilistisches Interesse. Von zeitgenössischem Jazz über groovende Fusion bis hin zu ätherischen Klangmalereien tut sich da ein großes Spektrum auf. Hier zeigt sich eine Musikerin, der Schubladendenken fremd ist und die nach eigenem Bekunden gern experimentiert. Und man erlebt eine Bassistin, die ihr Instrument mit gesundem Selbstvertrauen und großer musikalischer Autorität in den klanglichen Fokus rückt. Egal ob auf dem Kontrabass, dem E-Bass oder dem elektrischen Sopranbass, zeigt sie sich dabei nicht nur als souveräne Begleiterin, sondern auch als ausdrucksstarke und ideenreiche Improvisatorin.
Nach Frankfurt bringt Lisa Wulff den kraftvoll-virtuosen Saxofonisten Gabriel Coburger mit. Bekannt u. a. durch die NDR-Bigband, pflegt der Hamburger einen offenen, kreativen Jazzbegriff, in dem von melodischem Schönklang bis zum eruptiven Ausbruch alles seinen Platz hat. Es wird spannend zu sehen, wie der eher lyrisch veranlagte Philip Schiepek, einer der talentiertesten und interessantesten Gitarristen hier zu Lande, Coburgers Intensität pariert.
Lisa Wulff Bass
Gabriel Coburger Saxofon
Philipp Schiepek Gitarre
Konrad Ullrich Schlagzeug
Bill Frisell "Four"
Kaum einer verkörpert den Gegenentwurf zur virtuosen Kraftmeierei so unwiderstehlich wie Bill Frisell. Seine Kunst mit wenigen Tönen viel zu sagen und mit kleinen Mitteln weite Assoziationsräume zu öffnen, macht ihn einzigartig und zu einem der stilprägenden Gitarristen des Jazz.
Sonst vorzugsweise vom Solo bis zum Trio in kleinen Besetzungen unterwegs, brachte ihn das Album „Four“ (Blue Note, 2022) wieder näher an einen jazzgemäßen Ensemble-Sound, wenn auch mit einem besonderen Twist: „Ohne Bass war anfangs etwas beängstigend“, gesteht Frisell, „aber es geht eigentlich nie um die Instrumente, sondern um die Chemie zwischen den Musikern“. Mit dem Saxofonisten und Klarinettisten Greg Tardy stimmt die schon lange, wie u. a. auch auf einem Duo-Album der beiden dokumentiert ist. Gerald Clayton lernte Frisell bei einem gemeinsamen Konzert mit Charles Lloyd kennen, der den Pianisten ja auch zu seinem Auftritt beim 50. Deutschen Jazzfestival 2019 mit nach Frankfurt gebracht hatte. Wer diesen Auftritt mit dem berührenden Klavier-Intro von „La Llorona“ oder Claytons aufregenden Interplay mit dem Ausnahmeschlagzeuger Eric Harland in Erinnerung hat, wundert sich kein bisschen über Bill Frisells intuitives Vertrauen zu dem Mann mit dem sensiblen Anschlag und dem breiten Horizont. Dieselben Qualitäten machen übrigens auch Johnathan Blake zum idealen Mann an den Fellen und Becken für dieses Projekt.
Entstanden am Ende der Pandemie, von der Frisell sagt, seine Gitarre habe ihn durch die einsame Zeit gerettet, brachte er etliche neue Kompositionen mit ins Studio, aber nur in Form von Ideenskizzen. Daraus entstand dann während der Aufnahme spontan das, was man hört: Wie Wegweiser werden die melodischen Fragmente von mehreren Instrumenten gemeinsam angespielt, während dazwischen alle gemeinsam an einem Ensembleklang weben, der keine klare Rollenaufteilung in Solist und Begleitung mehr kennt.
„Lookout for Hope“, Titelstück von Frisells drittem Album (ECM, 1987), erlebt so eine Neuinterpretation, kommt ohne lange Hallfahnen und Verzerrer aus und wirkt dadurch verletzlicher und authentischer. „Four“ ist dem 2022 gestorbenen Trompeter Ron Miles gewidmet, Frisells „engsten und langjährigsten Bruder-Freund“. Aber der melancholische Grundton des Albums wird auch immer wieder aufgehellt, und welche Stücke die vier Musiker zum letzten Sendesaal-Akt des diesjährigen Festivals mitbringen werden, wissen sie vermutlich selbst noch nicht einmal. Eines ist trotzdem schon klar: Es wird einmal mehr zu erleben sein, wie empathische Kommunikation und gelebte musikalische Demokratie dazu führen, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile.
Bill Frisell Gitarre
Greg Tardy Tenorsaxofon, Klarinette
Gerald Clayton Klavier
Johnathan Blake Schlagzeug